Queerer Buchclub Hamburg: "Wir sind ein durchmixter, wilder Club"
Gemeinsames Lesen ist beliebt wie nie. Digitale Medien haben den klassischen Buchclub dabei stark verändert. Viele verschiedene Konzepte sind in den letzten Jahren entstanden - wie der queere Buchclub Hamburg.
Hochkultur meets Popkultur: Anfang des Jahres war die polnische Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk im digitalen Buchclub "Service95" der Popsängerin Dua Lipa zu Gast. Was zunächst nach einer wilden Mischung klingt, scheint einen Nerv zu treffen. Auch andere große Namen kamen schon zur Sängerin, der mehr als 87 Millionen Menschen auf Instagram folgen, ins digitale Gespräch.
Der moderne Buchclub: Phänomen der breiten Masse

Der klassische Buchclub hat eine starke Wandlung durchlaufen. Die Tradition von Lesekreisen reicht dabei bis in die Antike zurück. Während sie in der Vergangenheit vor allem im Bildungsbürgertum verbreitet waren, sind sie mittlerweile in sehr diversen Gesellschaftsschichten vertreten und haben sich durch digitale Medien stark weiterentwickelt. Heute sind Buchclubs ein Phänomen der breiten Masse und nicht mehr nur einer bestimmten sozialen Schicht vorbehalten.
Neben klassischen Buchclubs gibt es mittlerweile diverse innovative Formate wie beispielsweise den "Silent Book Club", hier steht das gemeinsame Lesen ohne Austausch im Vordergrund. Auch feministische oder queere Leseclubs gibt es vermehrt - wie den queeren Buchclub in Hamburg. Seit 2023 gibt es ihn, an jedem letzten Donnerstag im Monat kommen die Teilnehmenden zusammen, berichtet Stina Eichmann, eine der Organisator*innen: "Wir sind super durchmischt", erzählt sie. Ein fester Kern von circa sieben bis zehn Personen komme bei den Treffen zusammen. "Wir sind wirklich eine große Bandbreite an Leuten, sowohl was Alter angeht - ich glaube, die jüngste Person, die da war, war 16, und bei der ältesten schätze ich so Pi-mal-Daumen in den 50ern, 60ern - alle Geschlechter, alle Altersstufen. Wir sind echt ein durchmixter, wilder Club."
Die Bedeutung von Social Media
Verlage haben das Potenzial von Buchclubs längst erkannt und stellen beispielsweise Diskussionsmaterial bereit oder organisieren Events mit Autorinnen und Autoren. Vor allem junge Leserinnen und Leser entdecken dabei Bücher mittlerweile über Social Media. Das verändert nicht nur das Leseverhalten, sondern auch die Vermarktungsstrategien der Verlage und die Wahrnehmung von Büchern. Instagram spielt auch für den queeren Buchclub Hamburg eine große Rolle. Mehr als 1.000 Menschen folgen dem Club:
"Wir haben den Instagram-Account von Anfang an. Dadurch ging es ein bisschen los", berichtet Stina Eichmann. Mittlerweile sei der Kanal ohne viel Zutun verhältnismäßig groß geworden. "Aber wir versuchen auch immer, ein bisschen Community Work da mit einfließen zu lassen, also auf Events hinzuweisen, die in der queeren Community relevant sein könnten - und zeigen an, was als Nächstes gelesen wird. Oder wir machen jedes Jahr im Mai das Queer-History-Month-Projekt mit und leisten unseren Beitrag da noch mal", so Eichmann.
In diesem Jahr wird es im Queer-History-Month als neues Projekt den Queer-Poetry-Walk geben. "Das sind in acht Stationen ein 45-minütiger Spaziergang durch Hamburg, auch an queere Orten oder queerfreundlichen Orten vorbei", berichtet Eichmann. An jedem Ort gebe es einen QR-Code, den man einscannen kann und so auf die Website des Clubs gelangt. Dort werde dann jeweils ein Gedicht aus der Reihe "Parabolis Virtualis" vorgelesen.
Der queere Buchclub bietet seiner Community einen geschützten Rahmen, um über queere Literatur und queere Themen zu sprechen. Das war nicht immer selbstverständlich. Stina hätte sich auch in ihrer Jugend einen Ort gewünscht: "Ich glaube, je mehr, desto besser: Je mehr Orte es für queere Personen gibt, wo man sich austauschen kann, wo man sein Hobby vielleicht auch mit Community verbinden kann. Ich bin 32, aber als ich Teenie war, kann ich mich nicht erinnern, dass es so etwas großartig gab." Es sei gut, dass es jetzt immer mehr queere Buchclubs gibt. "Kiel wäre da noch ein Beispiel, mit denen wir auch engem Kontakt stehen."
Gemeinsames Lesen gegen Einsamkeit
Und noch einen Vorteil bieten Buchclubs: In einer Gesellschaft, in der sich immer mehr Menschen einsam fühlen, können sie einen verbindenden Ort schafften: "Wenn man jetzt guckt, wie viele neue Buchclubs es in Hamburg seit Corona gibt, würde ich das auf jeden Fall sagen. Wenn man sich jetzt mit Leuten austauschen kann, die das gleiche Hobby betreiben, lässt einen das auf jeden Fall weniger einsam sein."
Buchclubs machen nicht nur Literatur zugänglich, sondern schaffen einen Raum für Austausch und Reflexion und fördern die Multiperspektivität. In einer Zeit, in der Soziale Medien oft polarisiert sind und der öffentliche Diskurs leidet, können Buchclubs als Räume fungieren, in denen kritisches Denken, respektvolle Kommunikation, Empathie sowie Engagement und Teilhabe geübt und gefördert werden. Das macht gemeinsames Lesen und das Sprechen darüber aus.
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