"Der junge Häuptling Winnetou": Viel Aufregung um ein banales Buch
Große Aufregung herrscht zur Zeit um ein Buch aus dem Ravensburger Verlag: "Der junge Häuptling Winnetou". Das Kinderbuch ist zum gleichnamigen Film erschienen und wurde in den sozialen Medien heftig kritisiert.
Das Buch sei kulturelle Aneignung und reproduziere rassistische Stereotype - so die Vorwürfe. Der Verlag hat reagiert und das Buch vom Markt genommen, was wiederum Kritik aus der anderen Richtung nach sich zog: Völlig übertrieben, man müsse doch nicht wegen eines Shitstorms einknicken, wo würde das denn hinführen. NDR Kinderbuchexpertin Katharina Mahrenholtz hat das Buch gelesen.
Frau Mahrenholtz, ist diese Aufregung um das Buch denn berechtigt?
Katharina Mahrenholtz: Nein, diese Aufregung ist sicher nicht berechtigt. Das Buch ist es gar nicht wert, dass alle darüber sprechen. Es gibt so gute Kinderliteratur und nun reden alle über ein Buch, das eben einfach nur sehr banal einen Film nacherzählt: "Der junge Häuptling Winnetou" ist eine völlig unspektakuläre, ziemlich platte Geschichte von zwei Jungen, Winnetou als etwa Zwölfjähriger und ein Weißer namens Tom Silver, die sich erst streiten, dann anfreunden und am Ende den Stamm der Apachen vor den bösen Weißen retten. Zwischendurch gibt es betrunkene Pokerspieler, Prügeleien im Saloon, Wanted-Plakate, Verfolgungsjagd mit Pferdekutsche, Blutsbrüderschaft - alles sehr erwartbar.
Also kein großer literarischer Wurf - aber was ist denn dran an den Vorwürfen?
Mahrenholtz: Es gibt ja keine konkreten Vorwürfe, die sich auf bestimmte Textstellen beziehen, sondern es heißt ganz allgemein "kulturelle Aneignung" und "Reproduktion rassistischer Stereotype". Wo kulturelle Aneignung anfängt und wo sie aufhört, ist ein weites Feld. Was die Stereotype betrifft: Ja, es gibt Sätze, die unnötig schlicht eine Pseudo-Indianersprache abbilden. Wenn Inschu-Tschuna sagt: "Euer Häuptling kehrt mit leeren Händen zurück, die Büffel, die sonst immer um die Zeit des fallenden Blattmondes unsere Jagdgründe durchstreifen, sind ausgeblieben." Oder "Den Schrei eines Falken später stapfte Winnetou durch den Auslauf der Pferde." Ich weiß nicht, ob die Apachen wirklich den "fallenden Blattmond" oder den "Schrei eines Falken" als Zeitangabe genutzt haben. Das ist so auf dem Niveau von "Yakari und kleiner Donner", dieser Comic- und Zeichentrickserie, die auch immer noch läuft. Die ist allerdings auch schon 30, 40 Jahre alt.
Aber sind solche Sätze denn verwerflich?
Mahrenholtz: Nicht verwerflich, nein. Es ist eben eine ausgedachte Geschichte, keine Dokumentation. Es ist eine Romantisierung des Wilden Westen, genau wie bei Karl May und in zig anderen Büchern und Filmen. Literatur hat aber auch nicht die Aufgabe, die Wirklichkeit abzubilden. Und nicht jede Geschichte, die sich jemand ausdenkt, der nicht dabei war, ist dann gleich kulturelle Aneignung. Aber es war auf jeden Fall etwas blauäugig von dem Verlag, so ein Buch im Jahr 2022 herauszugeben. Es ist - gerade in den letzten Jahren - ein anderes Bewusstsein für Klischees entstanden. Man hätte also ahnen können, dass es nicht gut ankommt, wenn man Karl Mays Phantasie-Indianerland aus den 1890er-Jahren einfach so zu einer Kindergeschichte zusammenrührt.
Das heißt, dass es die klassischen Cowboy-und-Indianer-Geschichten in Zukunft nicht mehr geben wird im Kinderbuch?
Mahrenholtz: Die klassischen Geschichten wird es weitergeben. Ich denke nicht, dass Karl May verboten wird und auch Ursula Wölfels "Fliegender Stern", ein Kinderbuch von 1959, ist weiterhin lieferbar. Aber neue Geschichten werden sich mit der Thematik sicherlich anders beschäftigen.