Tobias Rüther: "Herrndorf - eine Biografie" (Buchcover) © Rowohlt
Tobias Rüther: "Herrndorf - eine Biografie" (Buchcover) © Rowohlt
Tobias Rüther: "Herrndorf - eine Biografie" (Buchcover) © Rowohlt
AUDIO: Biograf über Wolfgang Herrndorf: "Er hat mich wahnsinnig gemacht" (6 Min)

"Tschick": Zehnter Todestag von Autor Wolfgang Herrndorf

Stand: 27.08.2023 00:00 Uhr

Vor zehn Jahren ist der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf gestorben - vielen bekannt durch seinen erfolgreichen Jugendroman "Tschick", aber auch durch sein kurzes Leben aufgrund einer schweren Krankheit.

So passt es auch, dass gerade eine Biografie über Wolfgang Herrndorf erschienen ist - unter dem Titel "Herrndorf". Geschrieben hat sie der Journalist Tobias Rüther. Ein Gespräch über seine Recherche und Zusammenarbeit mit der Familie Herrndorf, über journalistische Distanz, über die Faszination am Jugendbuchklassiker "Tschick", über die Bücher und die Malerei von Wolfgang Herrndorf und warum er Tobias Rüther bei der Recherche "ein bisschen wahnsinnig gemacht hatte" - weil "er so ein widersprüchlicher Charakter war".

Herr Rüther, Wolfgang Herrndorf hat testamentarisch verfügt, "niemals Germanisten ranzulassen", und Journalisten "mit der Waffe in der Hand" zu verjagen. Warum haben Sie sich trotzdem getraut, eine Herrndorf-Biografie zu schreiben?

Tobias Rüther: Ich habe mich getraut es zu tun, weil mir Wolfgang Herrndorf wirklich so viel bedeutet. Als die Witwe Carola Wimmer und die Eltern Herrndorf mich gefragt haben, weil sie sich eine Biografie gewünscht haben und mir dafür den Nachlass öffnen wollten, habe ich direkt "ja" gesagt. Weil das einerseits ein wahnsinniger Vertrauensbeweis war und ich andererseits dachte: "Wie schön, die Geschichte dieses fantastischen Schriftstellers zu erzählen, der so früh sterben musste." Da habe ich sofort gedacht: Das muss ich machen!

Tobias Rüther: "Herrndorf - eine Biografie" (Buchcover) © Rowohlt
AUDIO: Neue Bücher: "Herrndorf. Eine Biographie" von Tobias Rüther (4 Min)

Wenn er Ihnen so viel bedeutet: Wie schwer ist es gewesen, journalistische Distanz zu halten? Oder braucht man die in diesem Fall nicht?

Rüther: Die journalistische Distanz ergab sich fast automatisch: Dadurch, dass ich ihn nicht persönlich kannte. Wir hatten gemeinsame Freunde. Ich gehörte am Anfang zu dem Kreis der Personen in seinem Internet-Forum, die ihn bei seiner Arbeit und auch beim Sterben begleitet hatten. Ich kannte also einerseits die Welt, in der er in Berlin unterwegs war, bin ihm aber nie persönlich begegnet.

Als ich dann angefangen habe, diese schwierige Geschichte zu erzählen, war es hilfreich, einerseits sehr traurig und betroffen zu sein von diesem Schicksal, aber gleichzeitig gab es den Abstand. Das hat eine gewisse Freiheit beim Schreiben gewährleistet, die ich auch brauchte.

Wie haben Sie für dieses Buch recherchiert?

Rüther: Die Recherche war zweiteilig. Mir war von Anfang an klar, dass ich mit möglichst vielen Leuten um ihn herum reden muss. Ich habe dort begonnen, wo er aufgewachsen ist: Ich habe mit seinen Eltern und mit Carola Wimmer, der Witwe, intensiv gesprochen, und mich erstmal persönlich über diese Gespräche angenähert. Ich bin auch in Nürnberg gewesen, wo er Kunst studiert hat, und habe mir die Orte angeschaut - eine ganz klassische journalistische Recherche.

Tobias Rüther © Sebastian Gollnow/dpa Foto: Sebastian Gollnow
Tobias Rüther hat sich sehr über die Gelegenheit gefreut, "die Geschichte dieses fantastischen Schriftstellers zu erzählen".

Dann war da aber auch dieser Zugang zum Nachlass, den mir Carola Wimmer gegeben hat, beispielsweise zu den ganzen Vorarbeiten zu "Tschick". Es war unglaublich, so tief in seine Arbeitsweisen einsteigen zu können. Es war also einerseits viel Gespräch, viel Zuhören, viele Fragen stellen, und andererseits sich in diesen Berg von Papier, den er hinterlassen hat, hinein zu arbeiten und zu versuchen, mit interessanten Antworten auf die Fragen herauszukommen.

Haben Sie ihn auch als Mensch intensiver kennengelernt? Wie war er?

Rüther: Er hat mich zwischendurch auch ein bisschen wahnsinnig gemacht, weil er so ein widersprüchlicher Charakter war. Man sagt das immer so leichtfertig, dass Widersprüche interessant machen, aber im Fall von Wolfgang Herrndorf ist es so, dass er Zeit seines Lebens gehadert hat mit der Frage, wie gut er eigentlich in dem ist, was er tut. Nicht nur beim Schreiben, sondern auch beim Malen.

Damit fing es im Grunde an: Er hat Malerei studiert und das abgebrochen, weil er dachte, dass er das nicht kann. Doch alle, mit denen ich gesprochen habe, mich eingeschlossen, sind Bewunderer und Bewunderinnen dieser unglaublichen Kunst von ihm. Aber er hat es nie geglaubt. Er hat auch nicht wirklich geglaubt, dass die Sätze, die er fertig geschrieben hat, wirklich zu Ende sind, sondern hat immer wieder neu angesetzt. Diesem ewigen Zweifeln, diesem Hadern auf die Spur zu kommen, worin das Problem stecken könnte, darauf habe ich versucht, Antworten zu finden. Aber die sind wahrscheinlich nur vorläufig, weil das auch das Rätsel ist, das da geblieben ist.

Weitere Informationen
Wolfgang Herrndorf, deutscher Schriftsteller und Maler © picture-alliance/ dpa Foto: Erwin Elsner
15 Min

Wolfgang Herrndorf: Durchbruch mit dem Jugendroman "Tschick"

Am 26. August 2013 stirbt der Schriftsteller mit 48 Jahren an einem Hirntumor. Der Jugendroman "Tschick" macht ihn berühmt. 15 Min

Glauben Sie, dass diese tragische Geschichte, dieses schnelle, frühe Ende auch dazu beiträgt, dass seine Geschichten so viele Menschen berühren und bewegen?

Rüther: Das ist eine der Fragen, die ich mir die ganze Zeit bei "Tschick" gestellt habe und versucht habe, mich einer Antwort zu nähern. In dem Fall ist es ganz schwierig: Wenden sich die Leute mit Interesse Wolfgang Herrndorf zu, weil sie von diesem Schicksal gehört haben und neugierig sind darauf, was er geschrieben hat? Oder lesen Sie "Tschick" und erfahren dann, wer der Autor ist? Es gibt für beides unendlich viele Beispiele. "Tschick" ist auf dem Weg zur Vier-Millionen-Grenze verkaufter Exemplare. Aber wenn dieser Text nicht so wäre, wie er ist, dann wäre Wolfgang Herrndorf nicht sofort zum Klassiker geworden.

Das Interview führte Julia Westlake.

Weitere Informationen
Schauspielerin Josephin Busch singt bei einer öffentlichen Gedenkfeier im St. Pauli Theater in Hamburg vor einem Foto des verstorbenen Schauspielers Uwe Bohm. © dpa Foto: Jonas Walzberg

Hamburg: Bewegender Abschied von Schauspieler Uwe Bohm

Am Sonntag haben sich im Hamburger St. Pauli Theater Familie, Freunde und Kollegen von Uwe Bohm verabschiedet. Der Schauspieler war unerwartet Anfang April gestorben. mehr

Spielzeug-VW-Bulli auf einem Globus. © colourbox Foto: Deyan Georgiev
4 Min

Bücherschwerpunkt Reisen: Überblick Reisen in der Literatur

Ob Abenteuergeschichten, Reiseberichte oder Verfolgungsjagden durch die Welt: Mittels Literatur können alle (ver-)reisen. 4 Min

Der Hamburger Filmemacher Fatih Akin mit Brille und Norwegerpulli © picture alliance / Presse- und Wirtschaftsdienst | Bernd Kammerer Foto: Bernd Kammerer

Fatih Akin: Der Regisseur des Rauen ist 50

Fatih Akin gewann einen Golden Globe, war im Oscar-Rennen und Stammgast in Cannes. Nun ist der Hamburger 50. mehr

"Tschick" von Wolfgang Herrndorf (Cover der Jubiläumsausgabe von 2020) © Rowohlt

Zwölf Jahre Kultroman "Tschick" von Wolfgang Herrndorf

Die Abenteuer von Maik und Tschick wurden in fast 40 Sprachen übersetzt, waren im Theater und im Kino erfolgreich. Rowohlt verlegte 2020 den Kultroman "Tschick" zum zehnjährigen Jubiläum neu. mehr

Anne Wübber im Studio mit einem ihrer Stücke © Screenshot
3 Min

Porträt: Filmkostüm-Designerin Anna Wübber

Sie hat zum Beispiel Kostüme für die Filme "Berlin Alexanderplatz" oder "Tschick" von Fatih Akin entworfen. 3 Min

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 23.08.2023 | 17:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Sachbücher

Ein Latte Macchiato, eine Brille und eine Kerze liegen auf einem Buch © picture alliance / Zoonar | Oleksandr Latkun

Neue Bücher 2024: Die spannendsten Neuerscheinungen

Unter anderem gibt es Neues von Dana von Suffrin, Michael Köhlmeier und Bernardine Evaristo. mehr

Logo vom NDR Kultur Podcast "eat.READ.sleep" © NDR Foto: Sinje Hasheider

eat.READ.sleep. Bücher für dich

Lieblingsbücher, Neuerscheinungen, Bestseller – wir geben Tipps und Orientierung. Außerdem: Interviews mit Büchermenschen, Fun Facts und eine literarische Vorspeise. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Entwurf für das neue Rostocker Volkstheater

Rostock: Erster Spatenstich für Volkstheater-Neubau am Montag

Seit Jahrzehnten wird in Mecklenburg-Vorpommerns größter Stadt in einem Provisorium Theater gespielt. Jetzt bekommt Rostock den von vielen lang ersehnten Neubau. mehr