Bettina Stark-Watzinger: "Wir brauchen Wissenschaft in voller Breite"
Zum Semesterstart ist die Stimmung an den Hochschulen im Norden angespannt. Corona, Energiekrise und knappe Ressourcen bereiten Sorgen. Viele befürchten auch Mittelkürzungen für die Forschung.
Ein Gespräch mit Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger.
Frau Stark-Watzinger, was soll angesichts knapper Ressourcen künftig gefördert werden? Vor allem anwendungsbezogene Wissenschaften?
Bettina Stark-Watzinger: Nein, wir brauchen die Forschung in ihrer ganzen Breite. Wir brauchen die langfristig angelegte, neugiergetriebene Grundlagenforschung, die freie Grundlagenforschung. Wir haben auch Erkenntnisgewinn in bestimmten Bereichen - es wird also auch Projektmittel geben. Trotz der schwierigen Haushaltssituation werden wir den Zukunftsvertrag Studium und Lehre verlängern und vor allen Dingen dynamisieren. Das heißt, es kommt ein Aufwuchs hinzu. Wir brauchen also Wissenschaft in voller Breite, wir brauchen sie mehr denn je. Natürlich müssen auch die jungen Menschen, die die Herausforderungen der Zukunft lösen werden, Studienbedingungen haben, die es ihnen ermöglichen, das zu tun.
Trotzdem beklagen sich im Norden etliche Hochschulen, dass Mittel des Forschungsministeriums, mit denen sie gerechnet hatten, aus Spargründen nicht ausgezahlt würden. Betroffen ist da zum Beispiel die Hochschule in Hildesheim, die im Verbund mit anderen zur DDR-Geschichte forscht. Dort wird befürchtet, dass die Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen nicht langfristig gesichert werden. Wie stehen Sie dazu?
Stark-Watzinger: Für uns ist es ganz klar, dass Verlässlichkeit ein großes Thema ist. An den Hochschulen sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Projektförderung beschäftigt, und deswegen greifen wir in laufende Projekte nicht ein. Durch eine schwierige Haushaltssituation kann es dazu kommen, dass nicht alle Projekte, die in einer Förderlinie beantragt wurden, auch genehmigt werden. Das ist etwas, was durch die Haushaltssituation bedingt ist, aber kein generelles Streichen von Mitteln bedeutet. Wir müssen mehr Forschung anregen und Verlässlichkeit im Wissenschaftssystem haben. Deswegen erarbeiten wir gerade eine Überarbeitung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.
Es gibt wertvolle Forschungsprojekte, die erfolgreich laufen, aber ihre Relevanz mit erneuten Anträgen nachweisen müssen. Nach welchen Kriterien wählen Sie aus?
Stark-Watzinger: Wir haben wissenschaftliche Kommissionen, die Projekte werden evaluiert, und wir halten uns strikt an die Evaluationen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Da greifen wir nicht ein, sondern das ist wirklich wissenschaftsgetrieben.
Große Sorgen macht sich der wissenschaftliche Nachwuchs. Wir werden hier Perspektiven geschaffen?
Stark-Watzinger: Durch die hohen Energiekosten sind wir besonders gefordert - die Länder, die für die Hochschulfinanzierung an sich zuständig sind, aber auch der Bund, der für die außeruniversitären Forschungszentren zuständig ist. Es kommen mehr Belastungen auf Länder und den Bund zu. Wir sind im Austausch mit dem Bundesfinanzministerium, wie wir das stemmen können, damit die Arbeiten, die begonnen sind, auch weitergeführt werden können. Da sind wir im Austausch mit der Allianz, der Vertretung von allen Wissenschaftsbereichen, um zusammen Lösungen zu finden. Wir haben höhere Kosten, aber wir wollen der Wissenschaft weiterhin das ermöglichen, was notwendig ist.
Da sprechen Sie ein anderes wichtiges Thema an: die Folgen der Energiekrise. Können da die Hochschulen auf finanzielle Unterstützung vom Bund hoffen?
Stark-Watzinger: Wir müssen mit den Ländern zusammen eine Arbeitsteilung finden, weil die Hochschulen durch die Länder finanziert werden. Wir unterstützen durch den Zukunftsvertrag Studium und Lehre, den wir jedes Jahr um drei Prozent erhöhen werden. Wir haben natürlich Sorge dafür zu tragen, wie die Situation an den außeruniversitären Forschungszentren ist.
Wird es an den Unis so etwas wie eine festgelegte Raumtemperatur geben?
Stark-Watzinger: Ich halte sehr viel davon, dass die Hochschulen sehr viel Freiheit haben und dass man zusammen mit den Professorinnen und Professoren, aber auch mit den Studierenden Konzepte entwirft und zusammen überlegt, wo man Energie sparen kann. Meine Erfahrung ist, dass da sehr viel Wissen sitzt und man einiges einsparen kann, indem man sich vielleicht bestimmte Zeiten gibt. Aber das sollte zusammen mit denen, die betroffen sind, vor Ort geschehen und nicht zentral über die Köpfe hinweg.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.