Stand: 23.06.2020 18:08 Uhr

Dirk Steffens: Umweltschutz ist Seuchenschutz

Er ist Wissenschaftsjournalist, UN-Botschafter für Biodiversität und engagiert sich für den World Wide Fund for Nature (WWF): Dirk Steffens, bekannt als "Terra X"-Moderator. Vom Naturreporter wurde er zum Umweltaktivisten: "Ich mache das seit über 30 Jahren. Und wenn man ganz oft auf der Welt an Orte zurückkommt, zum Beispiel das Great Barrier Reef, und über einen Zeitraum von 30 Jahren mit eigenen Augen sieht, wie es jedes Mal schlechter wird, man Augenzeuge der globalen Naturzerstörung wird, dann kann man als Journalist irgendwann nicht mehr sagen: Ich zeige nur die eine Seite. Sondern man muss die Kamera auch mal umdrehen und sagen: Woran liegt das?"

Wir seien an einem zivilisatorischen Punkt angekommen, wo wir unsere Lebensgrundlagen zerstören. Und in Umweltzerstörung und Artensterben sieht Dirk Steffens auch den Grund für die Verbreitung von Seuchen wie Covid-19.

Corona: Welchen Einfluss hat der Mensch auf die Entstehung?

Auch wenn sich die Corona-Pandemie wie eine Naturgewalt anfühlt, die über uns kam - Dirk Steffens ist sich sicher: Der Mensch hat viel zu ihrer Entstehung beigetragen. Alle Epidemien und Pandemien der Vergangenheit waren "Zoonosen", also Infektionskrankheiten, die wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können. Im Fall von Corona vermuten die Forscher, dass das Virus ursprünglich von Fledermäusen stammt und möglicherweise über Schuppentiere auf den Menschen übertragen wurde. Bewiesen ist das noch nicht.

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Die Schuppen der Tiere werden in Asien als Heilmittel gehandelt und konsumiert. Illegaler Wildtierhandel und Viehmärkte, auf denen unter tierschutzwidrigen Bedingungen wilde Tiere in engen Käfigen zusammengesperrt werden, könnten Orte sein, wo Erreger von Tieren auf Menschen übertragen werden. "Dadurch schaffen wir sozusagen Inkubatoren für neue Krankheiten", sagt Dirk Steffens, "deshalb hat in den letzten Jahrzehnten auch die Frequenz von Pandemien immer weiter zugenommen. Man muss sich ja mal klarmachen: Aids, Ebola, Sars, Mers, Zika - all das sind Zoonosen. Krankheiten, die durch Mensch-Tier-Kontakt entstanden sind, und die Frequenz nimmt zu, weil wir immer mehr Umweltzerstörung betreiben."

Kontakt mit Wildtieren durch Umweltzerstörung

Wo begegnen sich Menschen und wilde Tiere sonst? Normalerweise nirgends, doch in der modernen Welt selbst an entlegenen Orten. Steffens bemüht gerne das Beispiel einer Regenwaldpiste in Brasilien, "wo Wald abgeholzt wird, um Sojafelder anzulegen, mit denen wir dann unsere Schweinemastbetriebe versorgen und billiges Futter bereitstellen". Am Ende so einer Regenwaldpiste kämen Menschen in Kontakt mit wilden Tieren und möglicherweise eben auch mit Erregern, die in diesen Tiere leben. "Wir ermöglichen den Erregern, durch Artenausrottung und durch Umweltzerstörung auf andere Wirte überzuspringen", erklärt Steffens. Das seien die Hauptursachen für die Zunahme an Epidemien in den letzten Jahrzehnten. Und unser Lebensstil mit Globalisierung und Flugverkehr begünstigt die weltweite Verbreitung von Erregern.

Dirk Steffens engagiert sich seit Jahren für Artenschutz, auch beim WWF. Er ist kein Wissenschaftler, aber ein leidenschaftlicher Wissenschaftsvermittler, der erklärt, wie in der Natur alles mit allem zusammenhängt und dass Artenvielfalt überlebensnotwendig ist für die Menschheit. "Wir müssen anfangen, ganzheitlich zu denken und zu überlegen: Wie viel können wir dieser Natur eigentlich zumuten, wenn wir gleichzeitig gesund, wohlhabend und in Sicherheit leben wollen", so Steffens Appell.

Wann handeln wir in Krisen?

Klimakrise und Artensterben haben längst begonnen. Aber die Corona-Epidemie sei auch eine Chance, zu sehen, wie wir uns in einer Krise bewegen. Dass wir sie zumindest eindämmen und managen können. Vielleicht bringe uns das auch zum Nachdenken über die kommenden Krisen.

Eigentlich wissen wir ja um die Umweltzerstörung, nur handeln wir meist nicht danach. "Wir neigen dazu, erst zu handeln, wenn es richtig wehtut. Und das droht aus Sicht der Umwelt in vielerlei Hinsicht", so Steffens, "Wenn wir demnächst in den Supermarkt gehen und es vielleicht keine Äpfel mehr zu erschwinglichen Preisen gibt, weil das Insektensterben weitergegangen ist, dann ist das natürlich ein Leidensdruck, der sich leichter in Handlungen übersetzen lässt."

Für die Zukunft wünscht sich Dirk Steffens, dass die Politik weiterhin auf die Wissenschaft hört. Und er gibt sich grundsätzlich optimistisch: "Wir haben gelernt, dass wir innerhalb von Tagen alles verändern können, wenn wir nur wollen, und das ist doch ein gewaltiges Signal der Hoffnung."

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After Corona Club | 24.06.2020 | 19:30 Uhr

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