VIDEO: NDR Info live: Stalking - die unterschätzte Gefahr (34 Min)

Gewalt durch Stalking: So sollten sich Betroffene verhalten

Stand: 07.06.2023 19:19 Uhr

Nächtliche Anrufe, ständiges Auflauern: Gewalt durch Stalking betrifft meist Frauen und verlagert sich zunehmend ins Netz. So können sich Opfer von Stalking und Cyberstalking schützen.

Menschen jedes Alters, unabhängig von Einkommen, Religion, Nationalität und Geschlecht können Opfer von Stalking werden. Das Bundeskriminalamt erfasste für das Jahr 2021 insgesamt 20.464 Fälle. Laut der Hilfsorganisation Weisser Ring e.V. liegt die Dunkelziffer jedoch weit darüber - bei 600.000 bis 800.000 Fällen. Mit einem Anteil von über 80 Prozent sind die Opfer meist Frauen. Zudem sind Stalker mit mehr als 80 Prozent meist männlich und keine Unbekannten: In 75 Prozent der Fälle kennen Betroffene ihren Peiniger. Häufig handelt es sich um den Ex-Partner, aber auch Freunde, Kollegen, Verwandte oder flüchtige Bekannte können sich zu Stalkern entwickeln.

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Definition von Stalking: Straftat nach StGB

Stalking stammt aus dem Englischen und aus dem Bereich der Jagd. "To stalk" bedeutet übersetzt "anpirschen". Die Polizei definiert Stalking als "wiederholtes widerrechtliches Verfolgen, Nachstellen, penetrantes Belästigen, Bedrohen und Terrorisieren einer Person gegen deren Willen bis hin zu körperlicher und psychischer Gewalt." Seit 2007 ist Stalking, das strafrechtlich als "Nachstellung" bezeichnet wird, laut § 238 des Strafgesetzbuches (StGB) eine Straftat. Mit dem neuen Gesetz erhielten Opfer die Möglichkeit Täter anzuzeigen.

Wie Stalking häufig anfängt

Stalking beginnt meist harmlos. Innerhalb eines schleichenden Prozesses können aus distanzierten, oberflächlichen Kontaktaufnahmen aber intime Liebesbekundungen werden. Lässt sich das Opfer nicht oder nicht mehr auf Annäherungen ein, schlägt die Verliebtheit in Wut um. Stalker sind in vielen Fällen Ex-Partner. Häufig versuchen diese nach dem Ende der Beziehung Kontakt zu halten, um Kontrolle über das Leben des Opfers zu behalten. Stalking hat jedoch vielfältige Erscheinungsformen und kann darüber hinaus auch andere Verläufe nehmen.

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Wie stelle ich fest, ob ich Stalking-Opfer bin?

Häufig sind sich Betroffene unsicher, ob sie wirklich Opfer von Stalking sind. Denn meist erfolgen viele einzelne Taten über einen langen Zeitraum, sodass Opfern ihre Situation erst spät klar wird. Die Polizei rät Betroffenen trotzdem, frühzeitig auf ihr Bauchgefühl zu vertrauen und sich bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle oder bei Hilfsorganisationen wie dem Weissen Ring zu melden: Wer sich davor scheut, seinen Stalker anzuzeigen, kann sich zunächst anonym beraten lassen, zum Beispiel online oder per Telefon unter 116 006 (täglich zwischen 7 und 22 Uhr).

Typische Stalking-Handlungen laut Weisser Ring sind:

  • massenhaftes Zusenden von Nachrichten per SMS, Messenger, E-Mail, Briefen oder Paketen
  • häufige Telefonanrufe (tagsüber und nachts)
  • wiederkehrende Anrufe auf Mailbox und Anrufbeantworter
  • Auflauern des Opfers (z.B. zu Hause, am Arbeitsplatz oder in der Freizeit)
  • Warenbestellungen im Namen des Betroffenen
  • unerwünschte Geschenke (zum Beispiel ständig Blumen vor der Wohnungstür)
  • Drohungen, Beleidigungen, Sachbeschädigungen
  • Belästigungen und Nötigungen

Wie sich Betroffene verhalten sollten

Mithilfe eines Rechtsanwalts können Betroffene klären, ob es sich in ihrem konkreten Fall um eine Straftat nach § 238 des Strafgesetzbuches handelt. Laut der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes sollten Betroffene:

  • dem Stalker in Gegenwart von Zeugen klarmachen, dass sie bis auf Weiteres keinen Kontakt wollen
  • jegliche Kommunikationsversuche konsequent abblocken
  • keine Warensendungen annehmen, die sie nicht bestellt haben
  • Dokumente mit persönlichen Daten nicht im Hausmüll entsorgen
  • Freunde, Familie und das Umfeld über die Situation informieren (Öffentlichkeit schützt)
  • Anrufe, Nachrichten, Briefe und jede Kontaktaufnahme dokumentieren
  • Anzeige erstatten (gern im Beisein einer Vertrauensperson)
  • bei akuter Bedrohung 110 zu wählen, um Schutz der Polizei anzufordern
  • mögliche Verletzungen durch Stalker sofort medizinisch behandeln und dokumentieren lassen

Cyberstalking: Gewalt verlagert sich ins Netz

Cyberstalking bezeichnet das Belästigen und Nachstellen einer Person über digitale Kommunikationsmittel und -kanäle. So verbreiten Stalker zum Beispiel diffamierende Fotos, Videos und Texte über ihre Opfer in sozialen Netzwerken, bleiben dabei meist anonym. Die Ahndung solcher Straftaten ist mitunter schwierig, weil Täter kaum identifiziert werden können. Zudem sind die behördlichen Zuständigkeiten bei Straftaten im Netz oftmals nicht geklärt. Auch das Löschen von Daten ist nahezu unmöglich, wenn diese innerhalb kurzer Zeit durch Dritte weiterverbreitet, geteilt und kommentiert wurden.

Darüber hinaus gibt es weitere Formen von Cyberstalking. So kann sich ein Stalker zum Beispiel Zugriff auf das Handy seines Opfers verschaffen, um dieses digital zu überwachen. Mit Hilfe einer "Stalkerware"-App, die Täter auf dem Handy des Opfers installieren, oder auch mit anderen Apps können Chat-Nachrichten, SMS, Standorte und andere Daten auf eigene Digitalgeräte übermittelt und mitgelesen werden. Für die Installation solcher Apps ist nur ein kurzer Zugriff aufs Smartphone notwendig. Für Opfer ist häufig nicht erkennbar, dass eine solche App installiert wurde. Ein Hinweis darauf kann ein sich schnell leerender Akku sein.

So können sich Opfer von Cyberstalking schützen

Wer befürchtet, über das Internet ausgespäht zu werden, sollte eine "digitale Grundreinigung" durchführen.

Dazu sollte überprüft werden, welche Geräte im Haushalt internetfähig sind. Nicht nur an typische, digitale Kommunikationsmittel wie Smartphones, Smartwatches, Laptops und Computer ist zu denken. Auch WLAN-Router, Staubsaugerroboter, Spielekonsolen, Smart Toys wie sprechende Teddys mit Bluetooth-Funktion oder Smart Home-Geräte wie digitale Türklingeln können Stalker zweckentfremden. Cyberstalking-Betroffene sollten sich folgendermaßen schützen:

  • alle im Haushalt befindlichen, internetfähigen Geräte inklusive WLAN-Router und Smart-Home-Geräte auf Werkseinstellungen zurücksetzen
  • Apps inklusive ihrer Konten löschen und nur notwendige Apps neu laden
  • für jedes Nutzerkonto in Apps, sozialen Medien, E-Mail, etc. individuelle Passwörter vergeben, dabei sichere Passwörter wählen und die 2-Faktor-Authentifizierung nutzen
  • in allen notwendigen Apps Zugriffe auf Standort, Fotos, Mikrofon usw. möglichst verweigern
  • Webcams von Laptops, Tablets etc. bei Nichtnutzung verschließen oder abkleben
  • Smartphone durch Gesichtserkennung, Zugriffscode oder Fingerabdruck sichern
  • WLAN mindestens mit WPA, im Idealfall mit WPA2 verschlüsseln

Messengerdienste und soziale Medien:

  • Profilbild löschen, zumindest aber nicht öffentlich, sondern nur für Vertrauenspersonen sichtbar machen
  • blaue Häkchen für gelesene Nachrichten ausschalten
  • ungefragtes Hinzufügen zu Gruppen deaktivieren
  • Nachrichten-Vorschau deaktivieren
  • auf "WhatsAppWeb" verzichten
  • Notwendigkeit eigener Social-Media-Accounts prüfen und ggf. löschen
  • bestehende Konten in sozialen Medien auf "privat" statt "öffentlich" stellen
  • sich über Datenschutz-Einstellungen bei Facebook, Instagram & Co. informieren

Nutzerverhalten anpassen:

  • ausschließlich im privaten Modus (Inkognitomodus) surfen
  • sensible Daten nicht auf Endgeräten speichern, sondern in Clouds oder auf externen Festplatten

Besonders wenn der Stalker ein Ex-Partner ist und mit im Haushalt gelebt hat, sollten digitale Geräte und Zugänge komplett zurückgesetzt, erneuert oder gelöscht werden. Mitunter wird Spionage-Software durch das Zurücksetzen der Werkseinstellungen allerdings nicht vollständig entfernt, sodass ein Neukauf von Digitalgeräten ratsam sein kann. Am Ende aller Maßnahmen sollte zudem eine neue E-Mail-Adresse eingerichtet werden, auf die nur die betroffene Person Zugriff hat.

Kritik: Opfer in der Bringschuld

Das Veröffentlichen von Inhalten im Netz ist grundsätzlich keine Straftat. Daher müssen Stalking-Opfer zunächst zahlreiche Beweise und Aufzeichnungen zusammentragen, um Stalkern eine Straftat nachzuweisen. Auf folgende Paragraphen können Betroffene dabei zurückgreifen:

Opfer von Stalking sind meist über einen langen Zeitraum extremen psychischen Belastungen ausgesetzt. Nur wenige Betroffene schaffen es, vor Gericht ein Kontaktverbot zu erwirken. Dass Betroffene Beweise für das Stalking sammeln müssen und damit "in Bringschuld sind", kritisiert der Weisse Ring.

Die NO STALK App der Hilfsorganisation soll Betroffene bei der Beweissammlung unterstützen und künftig mehr Stalker zur Verantwortung ziehen: Durch das Installieren der App werden alle Kontaktaufnahmen des Stalkers automatisch auf dem Smartphone der Betroffenen dokumentiert.

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Montage aus Täter und Opfern © NDR
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NDR Info | NDR Info | 07.06.2023 | 17:10 Uhr

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