In einer Ausstellung sind verschiedene Fotos von Menschen abgebildet.

"Ich lebe": Wie Kinder Krieg er- und überleben

Stand: 12.05.2022 15:33 Uhr

Erst war sie im Auswärtigen Amt zu sehen, die nächste Station der UN-Menschenrechtsrat in Genf: Die Ausstellung "Ich lebe" gastiert derzeit in Meldorf.

von Laura Albus

Sie sagt, es sei das Projekt ihres Lebens. Martina Dase steht im Seitenflügel des Meldorfer Doms (Kreis Dithmarschen) und schaut sich um. Rechts und links neben ihr stehen Stellwände, bedruckt mit Porträtfotos und den dazugehörigen Lebensgeschichten. Als Kind ist die gebürtige Meldorferin oft in den Dom gekommen, um nachzudenken. Heute ist hier ihre Ausstellung zu sehen: "Ich lebe" erzählt die Geschichten von elf Menschen, die im Kindesalter Krieg erlebt haben.

Porträts zum Jubiläum der Hilfsorganisation "Save the Children"

Alle Porträtierten haben in unterschiedlichen Formen Hilfe von der Organisation "Save the Children" erhalten, für die Martina Dase arbeitet. Zum 100-jährigen Bestehen von "Save the Children" sollten Menschen aus dem vergangenen Jahrhundert porträtiert werden, um zu zeigen, wie sich die erhaltene Hilfe auf den weiteren Verlauf ihres Lebens ausgewirkt hat. "Wir wollten nicht sofort sagen, spendet bitte unserer Organisation," erklärt Martina Dase. "Wir wollten anlässlich unseres hundertjährigen Jubiläums einmal inne halten und sagen, dass Menschen nicht nur Opfer sind."

Überlebende: Eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Am schwierigsten sei es gewesen, einen Überlebenden des Ersten Weltkrieges zu finde, sagt Dase. Wie groß sei die Chance, einen Menschen zu finden, der bereits mehr als hundert Jahre alt sei, von "Save the Childen" profitiert hatte und noch fit genug für Interviews sei. "Wir waren kurz davor aufzugeben", räumt Dase ein. Doch dann - über eine Zeitungsanzeige - hat ihre Organisation jemanden gefunden: Erich Karl, geboren 1913. Er erlebte den Ersten Weltkrieg, den Zweiten Weltkrieg, die Zeit der Weimarer Republik und die der DDR. Ihn zu finden, war für Martina Dase ein großes Glück. Erich Karl erhielt nach dem Ende des Ersten Weltkrieges als sechsjähriger Junge in der Schule sogenannte "Kakao-Trunks", finanziert von "Save the Children". Er starb vergangenes Jahr im Alter von 107 Jahren.

"Ich lebe" berührt mit Bildern - und weckt Erinnerungen

Elf Menschen und ihre Geschichten, aus allen Kontinenten, mit einer Gemeinsamkeit: Sie haben den Krieg überlebt, sind nicht daran zerbrochen. "Wir haben bewusst so konzipiert, dass wir berühren", erklärt Martina Dase. Und das funktioniert. Sie führt eine Gruppe Besucherinnen durch die Ausstellung, die sie bei der Vernissage darum gebeten hatten. Für Dase eine Selbstverständlichkeit, schließlich kennt sie die Besucherinnen noch aus ihrer Zeit hier in Meldorf.

Eine Besucherin steht vor dem Porträt eines Mannes, holt tief Luft und sagt: "Es hört nicht auf. Meine Mutter war sieben Jahre alt, als sie flüchten musste." Die Augen glasig, die Stimme wird brüchig. Martina Dase nimmt sie in den Arm. Und so stehen im Meldorfer Dom zwei Frauen nebeneinander, die beide den Krieg nicht direkt miterlebt haben. Und wo der Krieg, obwohl nie darüber gesprochen wurde, omnipräsent war. Der Vater von Martina Dase ging an die Ostfront, kam in Kriegsgefangenschaft, floh. Was er genau erlebt, gesehen, getan hat - sie weiß es nicht. Nur, dass er Zeit seines Lebens ein gebrochener Mann war - und sie es als Kind in Lütjenbüttel spürte.

400 Millionen Menschen weltweit von Krieg betroffen

Die Ausstellung zeigt, was der Krieg, aber auch was Hilfe mit Menschen macht. Dass diejenigen, die Hilfe empfangen, nicht für immer Bittsteller und Opfer bleiben - sondern häufig selbst zu Helfenden werden. Menschen, die der Gesellschaft etwas zurückgeben möchten. Krieg berührt. Das Unaussprechliche auszusprechen könne helfen, sagt Martina Dase. Das gilt laut Dase auch für den Syrien-Krieg wie für die Menschen, die derzeit im ukrainischen Mariupol oder den Flüchtlingslagern in Bangladesch ausharren. 400 Millionen Menschen leben aktuell weltweit in Kriegsgebieten oder sind auf der Flucht. Das Jubiläum von "Save the Children" ist Anlass, auf Kinderschutz im Krieg zurück zu blicken. Doch Martina Dase blickt nach vorne, denn sie weiß: Ihre Arbeit wird weiterhin gebraucht.

Informationen zur Fotoausstellung "Ich lebe" für Besucher

  • Wo ist die Ausstellung zu sehen und was kostet der Eintritt? Die Ausstellung kann im Meldorfer Dom (St. Johannes-Kirche), Nordermarkt, 25704 Meldorf besucht werden.
  • Der Eintritt ist kostenfrei.
  • Wann ist die Ausstellung zu sehen? Noch bis zum 22. Mai während der Öffnungszeiten des Meldorfer Doms. Diese sind montags bis freitags von 10 bis 12 Uhr sowie von 14 bis 16.30 Uhr und sonnabends von 10 bis 12 Uhr.
  • Wo finde ich nähere Informationen? Videos zu den Protagonisten der Ausstellung auf der Webseite von "Save the Children"

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 14.05.2022 | 19:30 Uhr

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