Sinnsuche treibt viele in den Salafismus
Menschen, die vorher nicht viel mit Religion zu tun hatten und plötzlich mit langem Bart und Gewand oder Kopftuch herumlaufen: Seit wenigen Jahren wenden sich auch in Schleswig-Holstein immer mehr junge Leute dem Salafismus zu. Es ist die islamistische Strömung, die am rasantesten wächst. 2016 gab es laut Verfassungsschutz 370 erfasste Salafisten im Land. Zwei Jahre zuvor waren es noch rund 230. Das ist immerhin eine Steigerung von rund 60 Prozent. Die Dunkelziffer der Menschen, die mit der Ideologie des Salafismus sympathisieren, ist wohl weitaus höher, vermutet Tobias Meilicke von der Beratungsstelle PROvention in Kiel.
Eltern, Lehrer und Flüchtlingshelfer kommen
Anfang 2015 wurde diese Anlaufstelle gegründet - weil die islamistische Strömung immer mehr Anhänger fand. Finanziert wird sie vom Landesprogramm zur Vorbeugung und Bekämpfung von religiös motivierten Extremismus. Das Beraterteam von PROvention versucht, Salafisten beim Ausstieg zu helfen und deren Familien zu unterstützen. Seit Bestehen der Stelle sind etwas mehr als 50 Menschen beraten worden. Meist sind es Eltern, die besorgt sind, dass ihr Sohn oder ihre Tochter in den Salafismus abrutscht. Aber es kommen auch Lehrer und Flüchtlingshelfer. Und manchmal auch Salafisten selbst, die aussteigen wollen.
Suche nach Gemeinschaft und Struktur

Einer der ausgestiegen ist und darüber öffentlich spricht ist Dominic Schmitz. Der 29-Jährige konvertierte mit 17 Jahren zum Islam. Seine Eltern hatten sich getrennt, er schwänzte oft die Schule, kiffte und suchte einen Sinn. Ein Freund brachte ihn mit der Religion in Kontakt - und Schmitz landete in der salafistischen Szene, gründete mit anderen Salafisten sogar eine Moschee in Mönchengladbach (Nordrhein-Westfalen). "Dieses Gefühl: Ich bin Anhänger der wahren Religion, das war toll, das geht gar nicht krasser", erinnert er sich im März auf einer Fachtagung in Kiel. Endlich war er in einer Gemeinschaft, hatte feste Regeln und Strukturen im Alltag, einfache Antworten auf seine Sinnfragen.
Um Religion ging es den Extremisten am wenigsten, sagt Berater Tobias Meilicke. "Die meisten suchen Geborgenheit, Gemeinschaft, Halt, feste Strukturen, im gewissen Sinne auch eine Abgabe von Verantwortung ihres eigenen Lebens, mit dem sie vielleicht überfordert sind." Der Salafismus gibt ihnen genau das. Doch er engt auch ein.
Ausstieg mit 23 Jahren
Dominic Schmitz kamen irgendwann Zweifel. Zum Beispiel daran, dass Frauen nicht so viel gelten sollten wie Männer, dass Homosexualität eine Sünde sein sollte, dass man "Ungläubige" hassen musste, dass Dominic Schmitz als Salafist keine Sympathie für einen seiner früher besten Freunde empfinden durfte. "Sie sagen dir: Du musst so handeln, wie ich es sage, du musst so denken, wie ich es sage und sogar: Du musst so fühlen, wie ich es sage." Sein Weg aus dem Salafismus hinaus war ein langer Prozess. Erst 2010, mit 23 Jahren, schaffte er den Ausstieg endgültig.
Hilfe auch bei praktischen Dingen
Nicht immer gelingt das. Schließlich sind die Verbindungen zu den anderen Salafisten in der Gruppe stark. Und es ist schwer, sich einzugestehen, dass man jahrelang einen Weg gegangen ist, hinter dem man nun nicht mehr steht. Tobias Meilicke erlebt das in seiner Beratungsstelle täglich. Und selbst wenn man es geschafft hat, sich loszulösen, müssen noch ganz praktische Dinge klappen. "Junge Menschen, die in der salafistischen Szene waren, haben sich selten auf die Schule konzentriert. Das heißt, wir müssen hier auch darüber reden: Wie kriegen wir Schulabschlüsse hin? Wie kriegen wir eine Ausbildung hin?", sagt er. Auch sonst sei es sehr wichtig, den Aussteigern dabei zu helfen, sich ein neues soziales Umfeld aufzubauen, damit sie nicht zurückfallen.
Salafisten werben gezielt bei Flüchtlingen
Neue Anhänger sucht die Szene neuerdings laut Meilicke auch ganz gezielt unter Flüchtlingen. Die anfängliche Orientierungslosigkeit von ihnen nutze die Szene aus. Das sei auch mit ein Grund, warum die Zahl der Salafisten 2015 - mit dem großen Flüchtlingsstrom - so stark angestiegen sei.
Die Rekrutierung neuer Mitglieder läuft oft über neue Anhänger, die in ihrem sozialen Umfeld werben. Und über das Internet. Seit YouTube und Facebook verstärkt gegen Salafisten und Islamisten auf ihren Seiten vorgehen, werben die Extremisten laut Meilicke zum Beispiel über speziell verschlüsselte Messengerdienste.
Das wirkt widersprüchlich, berufen sich die Salafisten doch auf den aus ihrer Sicht ursprünglichen und unverfälschten Islam des Mittelalters. Moderne Kommunikationstechniken gab es da noch nicht. Doch Aussteiger Schmitz berichtet, er habe in seiner Zeit als Salafist öfter erlebt, wie "Wasser gepredigt und Wein getrunken" worden sei.
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