Innovation aus Kiel: Bio-Bypässe aus 3D-Drucker
Einem Kieler Forschungsteam ist es gelungen, erstmals Bio-Bypässe aus körpereigenen, lebenden Zellen zu drucken. Diese könnten eingesetzt werden, um bei akuten Gefäßerkrankungen das Blut umzuleiten - ohne dabei vom Körper als fremd abgestoßen zu werden.
Dr. Rouven Berndt und Assistenzarzt Dr. Julian Pfarr haben in Zusammenarbeit mit der Herz- und Gefäßchirurgie, Anästhesie und Radiologie den 3D-Drucker entwickelt sowie die Bio-Tinte, mit der die Gefäße gedruckt werden. Der Bereichsleiter der Gefäßchirurgie PD Dr. René Rusch zeigt CT-Aufnahmen von Krankheitsbildern, die deutlich machen, wo die medizinische Innovation einsetzbar wäre. Aktuell laufen am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) verschiedene Tests mit den Gefäßen, die einem dünnen Plastikschlauch ähneln. Sie werden zum Beispiel in ein Messgerät eingespannt. Es misst den Druck, den ein Bio-Bypass aushält, bevor er reißt. Alles muss dokumentiert und in Versuchen getestet werden, um diese Innovation langfristig in den medizinischen Alltag zu übertragen.
Forschungspreis in Höhe von 60.000 Euro
Alle drei Mediziner kommen aus dem klinischen Alltag und arbeiten täglich mit Patienten. Daher ist die Motivation groß, möglichst vielen von ihnen mit der neuen Technik helfen zu können. Einen mit 60.000 Euro dotierten Forschungspreis der Deutschen Stiftung für Herzforschung hat das interdisziplinäre Team mit seiner Arbeit bereits gewonnen.
Sie drucken mit lebendigem Material - wie funktioniert das?
Rouven Berndt: Im Endeffekt übertragen wir 3D-Druck-Techniken, die wir aus der Fertigungindustrie - zum Beispiel aus der Automobilbranche - kennen, auf lebendige Organismen. Es ist so, dass Zellen und Gewebe auf Druckverhältnisse und auf Temperatur und auch auf die Stresssituationen, die der 3D-Drucker erzeugt, unterschiedlich reagieren. Da ist es die Kunst, ein fein abgestimmtes System zu finden, um ein komplexes Konstrukt zu drucken. Das ist uns jetzt für einfache Gefäße von 30 bis 40 cm Länge und einem Durchmesser von wenigen Millimetern gelungen.
Bei welchen Krankheitsbildern könnte diese Technik helfen?
René Rusch: Es geht da vor allem um die periphere arterielle Verschlusskrankheit, die bei vielen im Alter zunimmt und unterschiedliche Ursachen hat. Dabei verstopfen die Arterien zum Beispiel in den Beinen durch Fettablagerungen und Verkalkungen. Die sind oft so ausgeprägt, dass man nur operativ, mit der Bypasschirurgie helfen kann. Also mit einer Überbrückung, idealerweise einer körpereigenen Vene, das Blut um die Verstopfung herumleitet. Ohne einen Eingriff ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es in einer Amputation endet.
Wo liegt da bisher das Problem?
Rouven Berndt: Studien zeigen im Moment, dass es in allein in Deutschland knapp 40.000 Menschen pro Jahr sind, bei denen wir wissen, dass sie kein ausreichendes Venen-Material, zum Beispiel für eine Herz- oder Gefäßoperation, haben. Und klassisches Material für künstliche Bypässe, dass bei Eingriffen in der Gefäßchirurgie zum Einsatz kommt, ist ähnlich wie ein Segeltuchstoff. Wir arbeiten jetzt mit komplett natürlichem Material, was überwiegend im menschlichen Körper auch vorkommt und erhoffen uns, dass die Prothesen langlebiger sind und weniger Probleme bereiten, weil sie für den Körper kein Fremdmaterial sind.
Aus was besteht das Material, mit dem Sie die Gefäße drucken?
Julian Pfarr: Das ist eine Art Bio-Tinte, also eine Mischung aus körpereigenem Gewebe, Bestandteile aus der Braunalge und sogenannten Endothelzellen, die im Körper zum Beispiel die Innenseiten der Blutgefäße auskleiden. Nach dem Druck werden die Gefäße dann noch zwei bis drei Wochen in einem Bioreaktor kultiviert, um mehr lebende Zellen zu generieren.
Wie sehen die Perspektiven für diese innovative Technik aus?
Rouven Berndt: Wir haben den Beweis geführt, dass diese Materialien und das Prinzip funktioniert. Wir können ein biologisches Gefäß aus körpereigenen Materialien herstellen und jetzt geht es an den Feinschliff. Wir müssen die biomechanischen Eigenschaften besser verstehen. Unser Ziel ist es, das, was wir im Labor machen, in die Praxis zu überführen. Da reden wir allerdings über einen Zeitraum von mehreren Jahren.
Julian Pfarr: Das Produkt, das wir da drucken, ist quasi ein Organ, und wenn wir das in den Menschen bekommen, ist das wirklich spannend.
René Rusch: Es könnte eine Revolution in der Herz- und Gefäßchirurgie werden.
Das Interview führte Malin Girolami, NDR Schleswig-Holstein.
