"Ich bin kein Engel, weiß Gott nicht"
Anke Timmermann-Grell hat vor 40 Jahren einen Verein gegründet, der bedürftigen Menschen bei Problemen mit Ämtern und Behörden hilft.
Sie hat in ihrem Leben, wie sie sagt, manches falsch gemacht, aber eines richtig: anderen Menschen zu helfen. Es begann in einem kleinen Wohnzimmer mit einer Selbsthilfegruppe. Heute ist es eine soziale Institution mit eigenem Haus und einer ganzen Reihe ehrenamtlicher und hauptamtlicher Mitwirkenden. Vor 40 Jahren war Anke Timmermann-Grell selbst Sozialhilfeempfängerin. Damals hatte sie den Verein gegründet, der bedürftigen Menschen bei Problemen mit Ämtern und Behörden hilft. Und mit "Herz und Schnauze" ist Anke Timmermann-Grell dabei selbst eine Lübecker Institution geworden.
Von der Sozialhilfeempfängerin zur Sozialberaterin
Alleinerziehend mit drei Kindern, nach der Trennung von ihrem ersten Ehemann, war die gebürtige Lübeckerin "ganz tief unten" angekommen. Sie wollte sich aber nicht unterkriegen lassen, sondern gleichfalls Betroffene zu einer Selbsthilfegruppe zusammen holen. Sich gegenseitig zu stützen, die eigenen Rechte im Umgang mit Behörden zu lernen, sich wehren gegen Willkür, das war das Ziel. Der daraus entstandene Verein SOS - Selbsthilfe Organisation Soziales e.V. - berät Wohnungslose, Hartz-IV-Familien, verarmte Rentnerinnen und Rentner sowie und andere Benachteiligte. "Mit viel Herzblut", betont die Gründerin, denn die fachkundigen Beraterinnen und Berater haben oft selbst schwierige Lebensphasen hinter sich und wissen, wie es den Ratsuchenden geht.
Das Café W.U.T. an der Untertrave
"Warm Und Trocken" und "Wut" - der Name ihrer Begegnungsstätte an der Untertrave spielt bewusst mit diesen beiden Assoziationen. "Wir wollen uns die Wut auf Menschen, die das Leid anderer verhindern oder mildern könnten, und es nicht tun, erhalten", beschreibt Anke Timmermann-Grell die eine Seite. Und auf der anderen Seite ist es ihr wichtig, den Menschen, denen es an Vielem fehlt, eine warme Stube zu bieten.
Das Café spielt eine zentrale Rolle im Leben der früheren Schulsekretärin. Hier ist das Herz des Vereins, es gibt kostenlos Mittagessen, Waschgelegenheiten, eine Kleiderstube und die Beratungsbüros. Alles unter einem Dach in einem Gebäude, das heruntergekommen war und mit Spendengeldern in den 80er-Jahren renoviert wurde. Warm und trocken haben es aber momentan nur die, die hier arbeiten - wegen Corona findet lediglich eine Essensausgabe "to go" statt, die Aufenthaltsräume müssen geschlossen bleiben. Für die engagierte Betreiberin eine große seelische Belastung, denn sie weiß, wie wichtig diese Anlaufstelle (nicht nur im Winter) für Wohnungslose und Verarmte in Lübeck ist.
Angewiesen auf Spendengelder
Gut zwei Drittel dessen, was der Verein für diese Arbeit braucht, muss aus Spenden finanziert werden. Und das Sammeln von Spenden betreibt Anke Timmermann-Grell seit Jahrzehnten mit großer Beharrlichkeit, einer gewissen Frechheit und mit klarer Haltung. So hat sie über die Jahre große Benefizkonzerte veranstaltet, geschenketrächtige Weihnachtsfeiern mit bedürftigen Familien organisiert und immer wieder neue Projekte auf die Beine gestellt. Auch Prominente wie Johannes B. Kerner, Frank Zander, Gerd Olschewski, Björn Engholm hat sie erfolgreich eingefangen, viele Unterstützer sind ihr und dem W.U.T. seit Jahren treu.
Nachfolge gesichert
Ihre Kinder sind mit dem Engagement der Mutter aufgewachsen. Als ihr jüngster Sohn, Oliver Grell, ihr vor einiger Zeit eröffnete, er würde voll einsteigen in die Vereinsarbeit, mithilfe seiner ältesten Schwester Daniela als Ehrenamtliche, war Anke Timmermann-Grell klar, dass ihr Lebenswerk weitergeführt wird. Auch auf Facebook und mit medienwirksamen Aktionen.
Für ihre Kinder, sagt die Lübeckerin, sei sie dem Herrgott besonders dankbar. Aufgewachsen in einer Unternehmerfamilie, gegen die sie schon als Jugendliche rebelliert hat, habe sie ihren Kindern andere Werte vermitteln wollen - und das sei ihr offenbar gelungen, freut sie sich. Auch in dem Bewusstsein, dass sie ihrem Verein und ihrem Obdachlosencafé immer fest verbunden sein wird. "Ich denke, ganz raus aus dem Laden - das kann ich nicht", sinniert Anke Timmermann-Grell, zu sehr hängt ihr Herz an diesem Lebenswerk.
