Hitzacker: Medien erfinden Gewaltexzess
Glaubt man Teilen der überregionalen Presse und diversen Online-Medien muss im kleinen Elbstädtchen Hitzacker eine Horde von vermummten Autonomen steinewerfend und durch die Stadt gezogen sein. Hat Hitzacker gebrannt? Die meisten Anwohner im Örtchen haben gar nichts mitbekommen, von dem was am Freitagabend am Stadtrand geschah. Dort waren nämlich 60-80 Autonome hingezogen, um vor dem privaten Wohnhaus eines Polizeibeamten, offenbar ein Mitarbeiter des Staatsschutzes, Lieder zu singen und Wimpel der kurdischen Freiheitsbewegung YPG am Carport des Beamten aufzuhängen.
Hitzacker: Medien erfinden Gewaltexzess
In Hitzacker sollen Autonome an Pfingsten marodierend vor das Haus eines Polizisten gezogen sein. Das zumindest macht die Berichterstattung mancher Medien Glauben.
Das Wendland ist Proteste gewohnt
Proteste aus der Gegend rund um Gorleben sind seit Jahrzehnten Routine. Seit dem aber vorläufig keine Castoren mehr nach Gorleben rollen, ist es zuletzt deutlich ruhiger geworden im Wendland. Am Freitag wurde traditionell an dem Atommülllager demonstriert, als Teil der "kulturellen Landpartie" blieb die Veranstaltung absolut friedlich. Nicht mit den Veranstaltern abgesprochen war, dass eine kleine Gruppe von Autonomen am selben Abend nach Hitzacker aufbrach, um dort das Haus des Staatsschützes zu belagern.
Mehrere der Aktivisten sind dem autonomen Tagungshaus im nahe gelegenen Meuchefitz zuzuordnen. Dort hatte im Februar eine Spezialeinheit der Polizei mit 80 Uniformierten ein Transparent beschlagnahmt, auf dem das Logo der kurdischen YPG zu sehen war. An dieser Aktion soll auch der Staatsschützer beteiligt gewesen sein, gegen den sich nun die Aktion in Hitzacker richtete.
"Neue Qualität der Gewalt"?
Laut der Polizeiinspektion Lüneburg, die in derselben Nacht noch eine Pressemitteilung herausgab, stellte die Aktion eine "neue Qualität von Gewalt" dar: "Durch lautstarke Stimmungsmache, Anbringen von Bannern und Vermummung versuchten die Personen die allein anwesende Familie des Polizeibeamten einzuschüchtern." Wie diese "neue Qualität der Gewalt" aussah, ob es sich um physische oder psychische Gewalt handelt, lässt die Pressemitteilung offen.
Ohne selbst Recherchen anzustellen und vor allem ohne die Gegenseite anzuhören, stieg sofort eine ganze Reihe von Onlinemedien in die Berichterstattung ein. "Bild.de" titelte am nächsten Tag: "60 Vermummte stürmen Grundstück eines Polizisten", obwohl laut Polizeiangaben nur ein kleiner Teil der Aktivisten vermummt gewesen sein soll. Und von "Erstürmung" des Grundstückes könne, so Kai Richter, Sprecher der Polizeidirektion Lüneburg, wirklich nicht die Rede sein: "Das wurde von uns auch nie so dargestellt."
Bebilderung mit irgendwelchen Krawallbildern
Einige Redaktionen gingen sogar noch einen Schritt weiter: Sie bebilderten die Geschichte mit sogenannten Symbolbildern, die ihrer Ansicht nach wohl besonders gut zu den Ereignissen passen. Das waren in der Regel Aufnahmen eines schwarzen Blocks: Vermummte, die Steine geschmissen haben, Bäume durch die Gegend geworfen oder Mülltonnen umgeschmissen haben. Ereignisse, die es in Hitzacker an diesem Pfingstwochenende nie gegeben hat. Viele Medien versäumten es zu dem, diese Bilder als Symbolbilder kenntlich zu machen.
Rouven Groß war als einziger Reporter vor Ort bei der Festsetzung der Demonstranten an einem Bahndamm, etwa 500 Meter vom Wohnhaus des Polizisten entfernt. Groß schreibt für die "Elbe-Jeetzel-Zeitung" und hat in der Nacht selbst Fotos gemacht. Die Auswahl der Fotos vieler Online-Dienste erstaunt ihn sehr: "Ich habe mich sehr gewundert über die Auswahl der Motive, nämlich Steine-werfende Vermummte, aggressiv nach vorne gehende Teilnehmer. Die meisten dieser Aufnahmen entstanden, soweit ich weiß, beim G20-Gipfel und bei vorhergehenden Castor-Transporten."
