Stand: 11.10.2022 15:39 Uhr

Abschneiden der AfD: "Neue Tendenz, die wir so nicht kannten"

Stefan Marzischewski-Drewes, AfD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Niedersachsen, Tino Chrupalla, Bundesvorsitzender der AfD, und Mariana Harder-Kühnel (AfD), Mitglied im Bundestag, reagieren bei der Wahlparty der AfD auf die ersten Prognosen zur Landtagswahl in Niedersachsen. © dpa-Bildfunk Foto: Michael Matthey
Die AfD um Spitzenkandidat Stefan Marzischewski hat bei der Landtagswahl in Niedersachsen 10,9 Prozent der Stimmen geholt.

Die AfD steht bei der Landtagswahl in Niedersachsen auf der Gewinnerseite. Sie konnte sowohl Nicht-Wählerinnen und -Wähler sowie vor allem Anhänger von CDU und FDP mobilisieren. Der Göttinger Politikwissenschaftler Alexander Hensel sagt im Interview mit NDR.de, trotz eines moderaten Wahlkampfs sollte der radikale Flügel nicht unterschätzt werden.

Politikwissenschaftler Alexander Hensel im Porträt. © NDR
Alexander Hensel ist Politikwissenschaftler in Göttingen.

Die AfD wird ja immer wieder als Nazi-Partei diskreditiert. Kann man das noch sagen?

Alexander Hensel: Nazi-Partei wäre jetzt kein politikwissenschaftlicher Begriff, dort würden wir die AfD momentan mehrheitlich als radikal-rechtspopulistische Partei einordnen. Nichtsdestotrotz hat die AfD hier in Niedersachsen einen sehr starken radikalen Flügel. Das haben wir in der Vergangenheit gesehen. Zuletzt ist es gelungen, die ganz radikalen Querulanten hier aus dem Landesverband und aus dem Landesvorstand herauszuwerfen. Man wird aber trotzdem darauf achten müssen, wie radikal sich die AfD eigentlich vor Ort und im Landesverband entwickelt. Auch wenn sich natürlich der Spitzenkandidat viel Mühe gegeben hat, ein moderates und seriöses Bild der AfD zu zeichnen.

Die Partei und vor allem Tino Chrupalla, Co-Parteivorsitzender der AfD auf Bundesebene, verkauft die AfD gerne als Volkspartei. Ist sie das tatsächlich inzwischen? Hat er Recht oder wird es ihr am Ende wie den Piraten ergehen?

Hensel: Die AfD behauptet ja schon länger von sich, eine Volkspartei zu sein. Allein die Höhe der Wählerfürsprache spricht nicht dafür. Dennoch aber spricht Chrupalla damit natürlich eine Tendenz an, dass die AfD in verschiedenen sozialen Gruppen durchaus Erfolge feiern kann und sie natürlich auch neue Gruppen hinzugewinnt. Jetzt etwa sehen wir bei dieser Wahl ja, dass zum Beispiel jüngere Wählerinnen und Wähler die AfD auch überdurchschnittlich gewählt haben. Insofern müssen wir weiterhin darauf achten, wie sich die Wählerschaft entwickelt? Dass die AfD ernsthafterweise zur Volkspartei wird, in einem klassischen politikwissenschaftlichen Sinne, erwarte ich nicht.

Woran liegt es, dass gerade jüngere Wählerinnen und Wähler die AfD gewählt haben? Hat sich das gewandelt?

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Hensel: Wenn wir die Wählerschaft der AfD anschauen, ist das Gros der Wählerinnen und Wähler so zwischen 30 und 45, also die mittleren Kohorten, die im Leben und im Beruf stehen. Eine leichte neue Tendenz, die wir in der Vergangenheit so nicht oder nur aus dem Osten von Deutschland kannten, ist, dass auch jüngere Wählerinnen und Wähler die AfD jetzt überdurchschnittlich gewählt haben. Woran das genau liegt, ist im Einzelnen zu prüfen. Aber offenbar ist es der AfD gelungen, auch in diesem Bereich zu mobilisieren.

Nichtwähler hat die AfD ebenfalls mobilisiert, wie schon bei anderen Landtagswahlen. Wie ordnen Sie dieses Spektrum ein? Sind das Menschen, die früher andere Parteien gewählt und sich abgewandt haben oder haben die bisher nicht am politischen Willensbildungsprozess teilgenommen?

Hensel: Wir wissen das aus den Umfragen nicht ganz genau. Das Nicht-Wählerspektrum ist natürlich breit. Da gibt es verschiedene Typen von Nichtwählern und Nichtwählerinnen. Interessant ist wenn wir uns die Nichtwähler anschauen, dass deren Anteil an der Wählerschaft rückläufig ist. Wir hatten das in den Anfangsjahren, dass die AfD sehr, sehr stark im Bereich der Nichtwählerinnen und Nichtwähler mobilisiert hat. Wenn wir uns das jetzt anschauen, ist das nur noch eine relativ kleine Gruppe innerhalb des Elektorats (Anmerkung der Redaktion: Wählerschaft) der AfD. Die jetzt größten Neuzugewinne kommen von Seiten der CDU und der FDP.

Es gibt ja diverse Hochburgen, im Südharz ist die AfD auf den dritten Platz gekommen. Auch in Wolfenbüttel-Süd, Salzgitter-Süd und Gifhorn hat die Partei sehr gut abgeschnitten, teilweise über 20 Prozent. Wie kann man diese Hochburgen erklären?

Hensel: Die Hochburgen der AfD in der Fläche liegen oftmals in Bereichen, die strukturschwach sind, die von Abwanderungen und von De-Industrialisierung betroffen sind. Ob und wo das genau in den einzelnen Wahlkreisen der Fall ist, müsste man jetzt genauer schauen. Das ist aber zumindest die Erfahrung, die wir aus anderen Wahlanalysen von der AfD haben.

Das Interview führten Marco Heuer und Wieland Gabcke

 

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Hallo Niedersachsen | 11.10.2022 | 19:30 Uhr

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