Nach Kirchentag: Missbrauchsbetroffene kritisieren Landesbischof
Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Landeskirche Hannovers üben nach dem Kirchentag scharfe Kritik am Landesbischof. Sie fordern eine breite Debatte - auch über den Verbleib von Ralf Meister im Amt.
Bis Freitag tagt die Landessynode, das Kirchenparlament der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Einer der Schwerpunkte: sexualisierte Gewalt und deren Aufarbeitung. Es soll auch einen Rückblick auf den Evangelischen Kirchentag in Hannover geben, der das Thema auf unterschiedliche Weise in den Blick genommen hat.
Landesbischof nicht bei Gottesdienst für Betroffene
Im Vorfeld der Synodentagung gibt es nun massive Kritik von Betroffenen. Zum Beispiel von Nancy Janz. Sie musste vor mehr als zwanzig Jahren sexualisierte Gewalt in der hannoverschen Landeskirche erleiden. Heute ist sie eine der Sprecherinnen im Beteiligungsforum Sexualisierter Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ihr Wort hat Gewicht. Nach dem Kirchentag in Hannover kritisiert sie scharf das Verhalten von Landesbischof Ralf Meister. Dieser habe dem Thema während des Kirchentags nicht die Aufmerksamkeit gewidmet, wie er es Nancy Janz gegenüber im Vorfeld angekündigt habe. Sie nennt zum Beispiel einen Gottesdienst für Betroffene, den Ralf Meister trotz ausdrücklicher Einladung nicht besucht habe.
"Er hat nicht verstanden worum es geht, er hat nicht verstanden, wie wichtig es ist, dort aufzutauchen und Gesicht zu zeigen. Ich finde dieses Verhalten ziemlich enttäuschend."
Ralf Meister erklärt, er habe einen Besuch mündlich in Aussicht gestellt, allerdings zu einem Zeitpunkt, da für ihn noch nicht alle Termine während des Kirchentags klar gewesen seien. Das bedauere er.
Sprecherin von Betroffenen schreibt an Landesbischof
Nancy Janz sieht einen Widerspruch zwischen öffentlichen Aussagen des Landesbischofs und konkreten persönlichen Taten. Dieser habe sich weder bei einschlägigen Veranstaltungen zum Thema blicken lassen, noch das Thema proaktiv gegenüber der Presse erwähnt. Sie zweifele sehr daran, dass er der Richtige sei, heißt es in einem Schreiben von Nancy Janz an den Landesbischof, das dem NDR vorliegt.
Meister wehrt sich gegen Vorwürfe
Landesbischof Ralf Meister wehrt sich gegen die Vorwürfe. Er habe in der Pressekonferenz zu Beginn des Kirchentages und in dem Eröffnungsgottesdienst klar Stellung bezogen. In der Predigt, die er zur Eröffnung des Kirchentags gehalten habe, aber auch in Gebeten, habe er eindeutige Aussagen zum Thema Macht, zum Umgang mit betroffenen Menschen gemacht, auch zum Eingeständnis der Schuld, so Ralf Meister. Das will Nancy Janz so nicht stehen lassen: "Es ist nicht damit getan, bei der Predigt zu Beginn des Kirchentages zwei Sätze dazu zu sagen oder in einer Fürbitte - das ist zu wenig."
Kirchentag: Schutzkonzept, Podien und Kunstprojekt
Von der hannoverschen Landeskirche heißt es, man habe sich intensiv in die Planung und Umsetzung eines Schutzkonzeptes für den Kirchentag eingebracht. Zwei Podien zum Thema Missbrauch seien nur deshalb gestreamt worden, weil die Landeskirche dies eigens beauftragt habe. Auch für das Kunstprojekt "Unfassbar" habe sich der Landesbischof stark gemacht. Nancy Janz indes bleibt bei ihrer Kritik und fordert eine breite Debatte in der hannoverschen Landeskirche. Auch möchte sie, dass öffentlich die Frage nach einem Verbleib von Ralf Meister im Amt gestellt wird.
Geistliche fordern Kulturwandel
Das Thema Aufarbeitung und der kirchliche Umgang mit Fällen sexualisierte Gewalt treibt viele Geistliche um. Auch die Pastorin Susanne Paul. Vor einem Jahr zählte sie zu mehr als 200 kirchlichen Mitarbeitenden, die in einem Brief ihre Kirchenleitung unter anderem wegen der schleppenden Aufarbeitung kritisiert hatten. Das Thema bleibe wichtig, sagt Pastorin Susanne Paul auf NDR-Nachfrage: "Es ist immer noch das Problem, dass Betroffene sehr viel Arbeit leisten müssen." Sie finde es schade, "dass auf dem Kirchentag die Chance nicht genutzt worden ist."
Landesbischof verweist auf persönlichen Einsatz
Nancy Janz fordert von dem Landesbischof Konsequenzen: "Ich erwarte von ihm Verantwortungsübernahme." Der Angesprochene möchte die Kritik nicht als eine direkte Forderung an seine Person verstanden wissen. Ralf Meister sieht mit Blick auf den Kirchentag kein Fehlverhalten. Er verweist vielmehr auf seinen persönlichen Einsatz. Auch durch sein Drängen habe es beim Kirchentag so viele Angebote für Betroffene, unterschiedliche Formate und ein umfassendes Schutzkonzept gegeben wie bei keinem Kirchentag zuvor. In Hannover habe es eine ganz neue Qualität gegeben, urteilt Ralf Meister. Das Thema sei vielfältig und offen thematisiert worden.
Rücktrittsforderungen dauern an
Jakob Feisthauer hat als Betroffener sexualisierter Gewalt innerhalb der hannoverschen Landeskirche die Initiative "Vertuschung beenden" mitbegründet. Er fordert gemeinsam mit weiteren Betroffenen seit längerem den Rücktritt von Landesbischof Ralf Meister. Grundsätzlich sieht er beim Thema Missbrauch und dem kirchlichen Umgang damit auch die Synodalen in der Verantwortung.
"Wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass viele Synodale gar nicht genau wissen, was die aktuellen Probleme Betroffener sexualisierter Gewalt sind. Und es wäre uns ein großes Anliegen, vortragen zu können, dass es eben keine spürbaren Veränderungen gibt."
Am Freitag wird sich die hannoversche Landesssynode schwerpunktmäßig mit dem Thema sexualisierte Gewalt beschäftigen. Bei der Tagung haben Betroffene kein direktes Rederecht. Ihre Anliegen oder Fragen können sie, wie schon bei der vergangenen Sitzung des Kirchenparlaments, über eine "Sprecherin des Publikums", Marlene Kowalski von der Diakonie, vorbringen. Synodenpräsident Matthias Kannengießer sieht dieses Verfahren positiv. Mit der Sprecherin des Publikums habe man versucht, eine Form zu finden, die den nachvollziehbaren Bedürfnissen von Betroffenen und der Arbeitsweise der Synode gerecht werde, sagt Kannengießer. "Da haben wir Neuland betreten, das werten wir aus und entwickeln diese Form der Partizipation weiter."
Betroffener spricht von "Zermürbungstaktik der Kirche"
Jakob Feisthauer würde gern selbst zu den Synodalen in Hannover sprechen. Er setzt wenig Hoffnung in den Willen der Landeskirche zur schonungslosen Aufarbeitung. Feisthauer spricht von einer "Zermürbungstaktik der Kirche", die dazu führe, dass viele Betroffene aufgehört hätten, sich mit dem Thema zu beschäftigen, weil sie hoffnungslos seien, dass sich etwas ändere. Nicht nur die Betroffenen Nancy Janz und Jakob Feisthauer fordern eine kritische Diskussion in der hannoverschen Landeskirche über das Thema sexualisierte Gewalt. Ob daraus auch eine Personaldebatte wird, ist offen.
