Gullydeckel auf A7: Bürgermeister wirft Behörden Versagen vor
Ein 40-Kilo-Gullydeckel ist am Wochenende auf der A7 bei Hildesheim auf ein Auto geworfen worden. Der Tatverdächtige war in Harsum bekannt. Sein Bruder und der Bürgermeister kritisieren die Behörden.
Seit Jahren habe der 50-jährige Mann, der jetzt als Tatverdächtiger in Untersuchungshaft sitzt, die Anwohnenden in Harsum terrorisiert: Zeitungen und Fahrräder gestohlen, Exkremente und Müll verteilt und kleinen Kindern nachgestellt. Fast jede Nacht habe er zudem Hindernisse auf die Straßen von Harsum (Landkreis Hildesheim) geworfen, sagte Bürgermeister Marcel Litfin (parteilos). "Die ganze Ortschaft spricht schon seit Längerem über die Tyrannisierung, die von dem Beschuldigten ausgeht." Er selbst sei aber bei den zuständigen Behörden nur gegen Wände gerannt beim Versuch, etwas gegen den Mann zu unternehmen. Es sei tragisch, dass es erst zu so einem Vorfall habe kommen müssen, damit gehandelt wird, meint der Bürgermeister.
Gericht hatte Betreuung des Mannes aufgehoben
Der Beschuldigte habe unter Betreuung gestanden und sei von einem Gutachter als psychisch krank eingestuft worden, sagte Litfin dem NDR in Niedersachsen. Er habe angegeben, Stimmen zu hören, die ihm befehlen, Fahrräder oder Gullydeckel zu stehlen. Ein Gericht habe jedoch die Betreuung des 50-Jährigen vergangenes Jahr aufgehoben. Das könne er absolut nicht nachvollziehen, sagte Litfin.
Bürgermeister wird von einer Stelle an die andere verwiesen
Erst vor Kurzem hatte der Bürgermeister eigenen Angaben zufolge den psychosozialen Dienst alarmiert, damit dieser sich um den Mann kümmert. Am Freitag, einen Tag vor der Tat, habe Litfin die Antwort erhalten, er solle sich mit dem Anliegen an das Betreuungsgericht oder die Staatsanwaltschaft wenden. "Das ist für mich ein Widerspruch in sich", sagte Litfin, "denn das Gutachten, das ich weitergeleitet habe, stammt ja vom Betreuungsgericht, beziehungsweise das Betreuungsgericht war Auftraggeber." Auch wenn er als Bürgermeister selbst Behördenleiter sei, könne er den Ablauf in diesem Fall nicht verstehen, so Litfin.
Warnungen des Bruders wurden abgewiesen
Auch der Bruder des mutmaßlichen Täters hatte sich eigenen Angaben zufolge mehrfach an verschiedene Stellen gewandt - zuletzt an das Amtsgericht, weil die gesetzliche Betreuung für seinen Bruder gekippt worden war. Er habe das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass im Fall seines Bruders etwas geschehen müsse. Darauf habe er die Antwort bekommen, dass das Gericht nicht mehr zuständig sei und dass er die Polizei rufen solle. Ein Gerichtssprecher sagte dem NDR in Niedersachsen, dass der psychosoziale Dienst einen Antrag hätte stellen müssen, um den 50-Jährigen in der geschlossenen Psychiatrie unterzubringen. Auch an diese Stelle wandte sich der Bruder eigenen Angaben zufolge. Immer wieder habe er um Rückruf gebeten und das Verhalten seines Bruders geschildert. Aber passiert sei nichts.
Ermittlungen wegen versuchten Mordes
Bislang haben sich die sozialpsychiatrischen Dienste des Landkreises Hildesheim noch nicht zu dem Fall geäußert. Der Tatverdächtige sitzt weiterhin in Untersuchungshaft. Gegen ihn wird wegen versuchten Mordes ermittelt. Durch die Gullydeckel-Würfe waren in der Nacht zu Sonnabend ein 52-jähriger Autofahrer schwer und seine 43-jährige Beifahrerin lebensgefährlich verletzt worden. Mittlerweile befinde sie sich außer Lebensgefahr, sagte eine Sprecherin der Polizei dem NDR in Niedersachsen am Montagmorgen. Der zweite Gullydeckel landete auf der Gegenfahrbahn in Fahrtrichtung Hamburg. Drei Fahrzeuge wurden beim Überfahren des Gullydeckels beschädigt.
Ähnliche Vorfälle in den vergangenen Jahren
In den vergangenen Jahren ist es in Niedersachsen wiederholt zu Vorfällen gekommen, bei denen Gegenstände von Brücken auf fahrende Fahrzeuge geworfen wurden. Meist handelte es sich um Steine, aber auch Gullydeckel wurden bereits benutzt. Der folgenschwerste Fall liegt 14 Jahre zurück: Im März 2008 war ein Ehepaar mit seinen beiden Kindern auf der A29 bei Oldenburg unterwegs, als ein Mann einen sechs Kilo schweren Holzklotz von einer Autobahnbrücke warf. Dieser durchschlug die Windschutzscheibe eines Autos und tötete eine 33-jährige Frau. Der Täter, ein 31-jähriger Mann, wurde später wegen Mordes und dreifachen versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.