Vor zwei älteren Menschen liegt ein Aktenordner auf dem Tisch. © picture alliance/photothek Foto: Ute Grabowsky

Das Leben der anderen - Rechtliche Betreuer dringend gesucht

Stand: 28.03.2022 07:04 Uhr

Laut der Betreuungsstelle der Region Hannover ist der Bedarf an rechtlichen Betreuern absehbar auf hohem Niveau. Es werde dringend Nachwuchs gesucht.

von Christina Harland

Rund 130.000 erwachsene Niedersachsen können nicht für sich sorgen - weil sie zum Beispiel an den Folgen eines Unfalls leiden, dement oder psychisch krank sind. Früher hätte man diese Menschen entmündigt. Doch das hat sich mit dem neuen Betreuungsrecht vor 30 Jahren geändert. Die Amtsgerichte bestimmen heute entweder Angehörige oder ehrenamtliche Betreuer, die ihnen zur Seite stehen - in komplexen Fällen übernehmen das Berufsbetreuer. Sie sind häufig gelernte Juristen oder Sozialpädagogen oder haben einen ähnlichen akademischen Hintergrund. Etwa die Hälfte der Betreuungsfälle wird von Berufsbetreuern übernommen.

Persönliche Schicksale - große Herausforderungen

Die Berufsbetreuerin Juliane Willert aus Hannover ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Spezialistin für komplexe Fälle. Ihre Erfahrung: Die Herausforderung ist immer größer, als es beim ersten Kontakt den Anschein hat. "Wenn man dann aber wirklich die Banken anschreibt, die Rentenversicherung anschreibt, die Krankenkasse anschreibt, kommen ja manchmal einfach Sachen zutage, die sich der Betreute gar nicht eingestehen wollte oder die er vielleicht auch gar nicht wusste, weil er die ja gar nicht überblicken konnte, das heißt, es kommt immer dicker am Ende, also für uns als Betreuer."

Probleme gemeinsam lösen

Viele ihrer Klienten sind psychisch krank oder leiden an den Folgen einer Erkrankung. Manchen sind die Probleme über die Jahre regelrecht über den Kopf gewachsen. Sie finden sich in ihrem Leben nicht mehr zurecht: vereinsamen, bezahlen ihre Rechnungen nicht, verschulden sich oder versäumen Termine beim Arzt oder bei Behörden. Eine Betreuung wird für einen bestimmten Zeitraum sowie für klar definierte Aufgaben eingerichtet und durch das zuständige Amtsgericht kontrolliert. Eine wichtige Aufgabe, die nicht nur eine große Portion Idealismus erfordert und echte Hinwendung zum Menschen. Berufsbetreuer müssen auch fachlich hoch professionell sein. Ein Balanceakt zwischen Empathie und professioneller Distanz.

Wille der Klienten ist die Richtschnur

Juliane Willert sieht ihre Arbeit in einem größeren Kontext: "Mir ist es wichtig, dazu beizutragen, dass Menschen in schweren Lebenslagen den Anschluss an die Gesellschaft wiederfinden. Dazu möchte ich beitragen." Der Kontakt zu Angehörigen, Richtern, Ärzten - das ist ihr Alltagsgeschäft. Denn immer wieder hat sie es mit Betreuten zu tun, die sich selbst schädigen, sich verbarrikadieren, fast verhungern und keine Hilfe annehmen wollen. "Dann ist es wichtig, sich gut abzustimmen und manchmal auch gegen den Willen der Leute einzuschreiten, bis hin zur Zwangseinweisung", erzählt sie. Das versucht sie aber zu vermeiden. Der Wille ihrer Klienten ist ihre Richtschnur, nicht die Vorstellungen aus dem Umfeld der Betreuten. Auch wenn Angehörige, Nachbarn, Polizei und Vermieter regelmäßig bei ihr anriefen und die Erwartung formulierten, die jeweiligen Probleme "schnell abzustellen".

Betreuung nur bei Vertrauen

Juliane Willert kann nur helfen, wenn sie Vertrauen genießt. Wer seinem Betreuer oder seiner Betreuerin nicht vertraut, hat das Recht, zu wechseln, betont Thorsten Becker vom Bundesverband der Berufsbetreuer, BdB. Auch die Betreuung selbst könne jederzeit aufgelöst werden. Ein Zweizeiler ans Amtsgericht genüge. Dann sei die Behörde verpflichtet zu überprüfen, ob die Grundlage für eine Betreuung noch bestehe. Thorsten Becker ist es wichtig, dass Berufsbetreuer Vertrauen genießen und dass es bundesweit einheitliche Zulassungsverfahren und eine fachliche Mindestqualifikation gibt. "Rechtliche Betreuung kann nicht jeder und jede." Die Anforderungen an die Sachkunde würden derzeit unter Federführung des Bundesjustizministeriums entwickelt. Mit dem einheitlichen Zulassungsverfahren hofft Becker auch auf Rückenwind bei der Diskussion um eine höhere Vergütung. Er berichtet von erheblichem Mehraufwand, der den Betreuern bisher nicht vergütet würde - zum Beispiel für Kennenlerngespräche, lange Entscheidungsprozesse und allerhand Berichtspflichten. "Qualität hat ihren Preis", mahnt er.

Bedarf bleibt hoch - Nachwuchs fehlt

Menschen wie Juliane Willert werden dringend gesucht, berichtet Frauke Brinkmann, Leiterin des Teams Betreuungsangelegenheiten der Region Hannover. "Der Nachwuchs fehlt - wir brauchen dringend neue Interessierte", sagt Brinkmann. Der Bedarf an Unterstützung durch rechtliche Betreuung bleibe hoch und steige sogar. Die Zahl der Betreuerinnen und Betreuer stagniere allerdings. So übten derzeit etwa 270 Betreuerinnen und Betreuer in der Region Hannover die rechtliche Betreuung haupt- oder nebenberuflich aus. Das seien nur knapp 40 mehr als im Jahr 2015. Hinzu käme: Fast ein Drittel dieser Betreuer seien schon über 60 Jahre alt, würden damit absehbar in den Ruhestand gehen. Bei den ehrenamtlichen Betreuern sei sogar die Mehrheit im Rentenalter. Die Betreuungsstelle der Region Hannover berate Interessierte gerne dazu.

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NDR 1 Niedersachsen | Hallo Niedersachsen | 26.03.2022 | 19:30 Uhr

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