Das Gebäude der IHK Schwerin  Foto: Andreas Frost

IHK: "Entwicklung der Energiepreise wird zur Existenzfrage"

Stand: 28.07.2022 11:00 Uhr

Gaskrise, Inflation und Lieferengpässe machen der Wirtschaft auch in Mecklenburg-Vorpommern zu schaffen. Unternehmer fordern die Landesregierung zum Handeln auf.

von Anna-Lou Beckmann, Redaktion Politik und Recherche

"Die gesamtwirtschaftliche Lage der Unternehmen im Land verschlechtert sich zusehends", sorgt sich Matthias Belke, geschäftsführender Präsident der Industrie- und Handelskammern (IHK) in Mecklenburg-Vorpommern. Eben jenen Trend bestätigt auch die jüngste ifo-Konjunkturumfrage, die am Donnerstag in Dresden vorgestellt wurde. Demnach habe sich die Stimmung in den ostdeutschen Unternehmen im Juli deutlich abgekühlt, so das Institut für Wirtschaftsforschung. Der Geschäftsklimaindex für die gesamte regionale Wirtschaft ist im Vergleich zum Vormonat um zwei Punkte auf 92,1 abgerutscht. Die rund 1.700 befragten ostdeutschen Unternehmen gaben an, dass sich ihre aktuelle Geschäftslage verschlechtert habe. Außerdem ist der Zukunftspessimismus deutlich zu spüren. Auf die Frage nach den Geschäftserwartungen für das kommende halbe Jahr ergab sich einer der niedrigsten Werte seit Start der Erhebungen vor mehr als 15 Jahren. Auch mit Blick auf ganz Deutschland stellten die ifo-Wissenschaftler eine deutliche Verschlechterung der Stimmung in der Wirtschaft fest. Dort fiel der ifo-Index auf den tiefsten Stand seit zwei Jahren. Ifo-Präsident Clemens Fuest sagte "Deutschland steht an der Schwelle zur Rezession". Das ifo-Geschäftsklima gilt als Deutschlands wichtigster konjunktureller Frühindikator.

Nach Corona folgt die nächste Belastungsprobe für Wirtschaft

Mecklenburg-Vorpommern sei da keine Insel, die von den Entwicklungen unberührt bleibe, heißt es von diversen Branchenvertretern aus dem Land auf die Nachfrage zur Stimmung in der Wirtschaft. Es wird deutlich: Die Sorgenfalten scheinen aktuell immer größer zu werden. "Die Unternehmen sehen sich nicht nur an der Belastungsgrenze angekommen, sie haben diese viel zu oft bereits erreicht", so Belke von der IHK im Land. Kay-Uwe Teetz vom hiesigen Handelsverband meint: "Der Ukrainekrieg und Lieferschwierigkeiten - auch aus dem chinesischen Raum, die Gaspreisentwicklung und andere Energieträgerpreise, die deutlich teurer werden, belasten die Liquidität weiter. Die Inflation tut ein Übriges." Diese Lasten müssten von den Unternehmen getragen werden, so Teetz weiter.

Auch der Geschäftsführer der Unternehmerverbände in Mecklenburg-Vorpommern, Sven Müller, macht deutlich: "Wie auch im Rest von Deutschland herrscht bei den Arbeitgebern im Land zunehmende Unsicherheit mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung." Laut Müller sind die negativen Auswirkungen der Pandemie noch immer zu spüren. Es sei bemerkbar, dass private Kunden mit ihren Ausgaben wegen Inflation und Zinsanstieg zurückhaltend seien. Davon seien alle Branchen im Land betroffen, so Müller, der gleichzeitig warnt: "Und die Energiekrise steht uns noch bevor." Vor deren Folgen sorgt sich auch Belke: "Die Entwicklung der Energiepreise wird zu Existenzfrage und bedroht unser aller Wohlstand."

Wirtschaftsvertreter sind sich einig: Lage wird sich weiter verschlechtern

Der Blick in die Zukunft bereitet einigen der Wirtschaftsvertretern Bauchschmerzen. Der Einzelhandel verweist auf eine stark abknickende Kurve im Konsumbarometer. Demnach gebe es nur wenig Hoffnung darauf, dass sich die Verbraucherstimmung in den kommenden drei Monaten verbessere. Auch Lars Schwarz, Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, zeichnet ein düsteres Bild: "Wir werden in unserer Branche meiner Einschätzung nach in einer Art Rezession landen. Das heißt: Weniger Umsatz, weniger Gäste, weniger Übernachtungen und damit eine schlechtere Perspektive in den nächsten Monaten." Schwarz spricht von einer angespannten Gesamtsituation im Gastgewerbe.

Und auch in der Baubranche gibt es Zukunftssorgen, obwohl der Landesverband zuletzt stark steigende Umsätze im Bausektor vermelden konnte. "Aufgrund der enormen Preissteigerungen bei fast allen Baumaterialien und insbesondere bei den Treibstoffen befürchten viele Unternehmen, dass Auftraggeber im öffentlichen und privaten Bereich geplante Bauvorhaben zurückstellen oder im schlimmsten Fall gar nicht mehr ausführen.", so Jörg Schnell, Hauptgeschäftsführer des Bauverbandes in Mecklenburg-Vorpommern. Bei den Industrie- und Handelskammern im Land ist man sich sicher, die jüngsten Entwicklungen beim Thema Energiekosten könnten sich noch nicht in den Zahlen vom ifo-Institut widerspiegeln. "Wir gehen davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage noch einmal verschlechtert", so Belke. 

Appell an die Politik: Schluss mit der Sommerpause

Ungewissheit und Unsicherheit seien dabei mit die größten Probleme in der aktuellen Situation. Einen "Schuldigen" hat die Wirtschaft offenbar dabei für sich bereits ausgemacht: die Politik. Müller meint stellvertretend für die Arbeitgeber im Land, die Informationspolitik der Landesregierung sei "verbesserungswürdig". Anders als in anderen Bundesländern, sei "in MV bisher nicht viel zu hören" von beispielsweise "notwendig erscheinende Maßnahmen". "Weder Corona noch der Krieg in der Ukraine legen eine Sommerpause ein. Gleiches erwarten wir von den politisch Verantwortlichen", so Müller, der eine Art "runden Tisch" zwischen Politik, Wirtschaft und Sozialverbänden fordert. Beifall für den Vorschlag kommt von Dehoga-Chef Schwarz. Der sieht Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) in der Verantwortung. Jetzt dürfe keine Zeit verschenkt werden. "Wenn wir jetzt nicht geschlossen stehen und die Sache nicht gemeinsam angehen, dann sehe ich da wirklich die Gesellschaft auseinanderbrechen", so Schwarz.

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NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 28.07.2022 | 12:00 Uhr

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