Drückt Backhaus bei Russland-Geschäften ein Auge zu?
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sämtliche Kontakte nach Moskau kappen lassen. Die Regierungschefin ließ verlauten, "alle Aktivitäten in Richtung Russland werden eingestellt." Die landeseigene Landesforstanstalt macht aber weiter Geschäfte mit einem Unternehmen in russischer Hand.
Oberster Chef der Landesforstanstalt ist Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus. Der Sozialdemokrat hatte sich noch im Januar als großer Russland-Freund geoutet. Backhaus brachte eine Aufnahme des Landes in die EU ins Spiel. Davon ist zwar nicht mehr die Rede, aber Backhaus lässt seine Forstanstalt bei Kontakten mit ihrem wichtigsten Kunden weiter gewähren. Der hat seine Wurzeln in Russland.
Oligarchen-Firma spendete für SPD-Ortsverein
Es geht um den Holzverarbeiter Ilim Nordic Timber in Wismar. Das Unternehmen gehört zum Konzerngeflecht des russischen Oligarchen Boris Zingarevic aus St. Petersburg. Der 62-Jährige hat in der Vergangenheit den umstrittenen Russland-Tag der Landesregierung gesponsert. Seine Wismarer Firma hat 2017 auch der SPD geholfen, sie spendete immerhin 10.000 Euro an den sozialdemokratischen Ortsverein in Wismar.
Ilim Timber soll das Sturm-"Schadholz" aus den Wäldern holen
Ilim Timber hat jetzt ein lukratives Angebot der Landesforstanstalt bekommen. Das Unternehmen soll die riesigen Holzmengen nach den Stürmen der vergangenen Wochen aus dem Landeswald holen. Die Rede ist von bis zu 500.000 Festmeter "Schadholz". Es geht vor allem um Fichte. Die umgestürzten Bäumen müssen möglichst schnell geborgen werden, weil ansonsten im Sommer eine Borkenkäfer-Plage droht. Ilim Timber gilt als eines der wenigen Unternehmen, die dafür zügig Personal und Technik bereitstellen können.
"Dafür brauchen wir Ilim Timber nicht"
Bei Insidern allerdings stößt der Plan, einzig und allein Ilim Timber zu engagieren, auf massive Bedenken. Sie verweisen darauf, dass auch die Landesforstanstalt Kapazitäten habe, das Holz aus dem Wald zu holen. "Dafür brauchen wir Ilim Timber nicht", heißt es. Die Möglichkeiten des Landesbetriebes mit seinen mehr als 1.000 Beschäftigten blieben bewusst ungenutzt – ähnliche "Schadlagen" habe die Landesforst schon in der Vergangenheit bewältigt. Es scheint unklar, ob der Auftrag ausgeschrieben wurde. Intern sorgt eine Email aus der Chefetage der Landesforstanstalt für Wirbel, aus der hervorgehen soll, dass einzig Ilim Timber und seine beauftragten Unternehmen das Schadholz aus dem Landeswald bergen soll. Kritiker, die ihren Namen nicht in Online-Berichten lesen wollen, verweisen auf die russischen Wurzeln von Ilim Timber.
Backhaus verweist auf bestehende Verträge
Das Landwirtschaftsministerium sieht die Kritik gelassen. Minister Backhaus ließ die Darstellung zurückweisen, wonach Ilim Timber einen Auftrag zur Holz-Beräumung bekommen habe: "Das Schadholzaufkommen wird im Rahmen bestehender Verträge veräußert", teilte das Ministerium auf NDR Anfrage mit. Die Landesforstanstalt beliefere mehrere Unternehmen. "Die Annahme, dass nur an ein Unternehmen Schadholz verkauft wird, ist daher nicht zutreffend." Zu Einzelheiten, insbesondere zu Preisen, werde man aber nichts sagen.
Ilim Timber arbeitet "mit Hochdruck" an Schadholz-Beseitigung
Der Geschäftsführer von Ilim Timber in Wismar, Michael Liche, bestätigte auf NDR Anfrage , dass seine Firma an der Beseitigung des Schadholzes beteiligt ist. Daran werde "mit Hochdruck gearbeitet" - verantwortlich dafür sei Ilim Nordic Timber. "Kosten für die Aufarbeitung und das damit einhergehende Unternehmerrisiko" trage sein Unternehmen. Liche ließ Fragen zu Umfang des Auftrages unbeantwortet, teilte aber mit, ein Handeln zu Lasten der Geschäftspartner "widerspricht unserer Geschäftsethik." Man sei ein verlässlicher Partner, das werde in der Branche geschätzt, "weil es uns deutlich von dem Handeln unserer Wettbewerber unterscheidet", lobte sich Liche selbst.
Ähnlicher Vorgang beschäftigt bayerische Landespolitik
Auch in Bayern arbeitet die dortige Staatsforst mit Ilim Timber zusammen. Im Freistaat ist das Agieren eines Tochterunternehmens der Wismarer Ilim Nordic Timber bereits zum Politikum geworden. Im dortigen Landtag hat der Fraktionschef der Grünen, Ludwig Hartmann, ein Ende aller Geschäftsbeziehungen zu dem Unternehmen in Landsberg gefordert. Hartmann erklärte: "Es muss Teil der Sanktionen sein, dass nicht weiter bayerisches Holz an ein russisches Unternehmen verkauft wird." In Schwerin erklärte die Grünen-Fraktion auf NDR Anfrage, man werde sich die Lage anschauen.
Allgemeine Erklärung ohne Nennung des Aggressors
Ilim Timber entgegnete Sanktionsforderungen mit einem Hinweis auf eine online veröffentliche Stellungnahme. Das Unternehmen hatte vier Tage nach dem russischen Überfall ganz allgemein erklärt, man lehne "jede Form von Gewalt als auch die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts und die Verletzung der staatlichen Souveränität ab. Für einen Angriffskrieg gibt es keine Rechtfertigung." Ebenfalls sehr allgemein wird ein Bedauern über die Entwicklung in der Ukraine formuliert. Das Unternehmen hoffe und wünsche sich "für die Ukraine eine baldige friedliche Lösung." Anders als andere Unternehmen verzichtete Ilim Timber ausdrücklich auf eine Verurteilung Russlands und eine Benennung des russischen Präsidenten Wladimir Putin als Aggressor. Außerdem betonte das Unternehmen, man werde "wie gewohnt ein verlässlicher Geschäftspartner und Arbeitgeber sein".
Ilim Timber verweist auf rechtliche Selbstständigkeit
In Wismar arbeiten etwa 450 Menschen, das Unternehmen gilt als äußerst profitabel. Für das Geschäftsjahr 2020 wurde mit einem Überschuss von 15 Millionen Euro gerechnet, am Ende flossen mit 38 Millionen Euro mehr als doppelt so viel in die Unternehmenskasse. Der Wismarer Ilim Timber-Chef Liche legt Wert auf die Feststellung, dass sein Unternehmen rechtlich selbständig sei und nicht zu einem russischem Konzern gehöre. Man habe auch keine Lieferanten-Beziehungen zu Russland. Darauf lässt auch Minister Backhaus verweisen. Es werde immer wieder "fälschlicherweise" behauptet, es gebe Geschäftsbeziehungen zu Russland, teilte seine Sprecherin mit.
Verstärkte Zusammenarbeit geplant
An der Version, Ilim Timber in Wismar habe nichts mit Russland zu tun, scheinen unterdessen Zweifel angebracht: Selbst im Geschäftsbericht von Ilim Timber in Wismar ist davon die Rede, dass man ein "Teilkonzern der Ilim Timber-Gruppe" sei und man "die konzernweite Zusammenarbeit mit unseren Kollegen in Russland noch intensiver gestalten" wolle. Der Mutterkonzern in St. Petersburg verweist auf seiner Internetseite regelmäßig auf die Firma in Wismar und preist neue Investitionen an - beispielsweise in die Holz-Messanlage "Golden Eye 706".
Oligarch an der Spitze des Mutterkonzerns
An der Spitze der Ilim Timber-Gruppe steht die Aktiengesellschaft Ilim Timber Continental mit Sitz in Genf in der Schweiz. Als "Konzernmutter" und Eigner wird in Beteiligungsübersichten Boris Zingarevic aufgeführt. Der russische Milliardär gehört laut dem Wirtschaftsmagazin "Forbes" zu den 200 reichsten Russen und steht auf der Liste der reichsten Menschen der Erde immerhin auf Platz 2.524. Nachfragen zu möglichen Gewinn-Abführungen in Richtung Russland ließ der Wismarer Geschäftsführer Liche unbeantwortet.
