Mit Mundschutz: Früherer KZ-Wachmann wieder vor Gericht
Im Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann im KZ Stutthof wird das Hamburger Landgericht den Tatort bei Danzig im heutigen Polen nicht in Augenschein nehmen. Die Strafkammer habe einen entsprechenden Antrag der Nebenklagevertreter am Dienstag abgelehnt, sagte ein Gerichtssprecher. Der Prozess gegen Bruno D. war am Dienstag unter größtmöglichen Hygieneschutz-Maßnahmen fortgesetzt worden. Dem 93-jährigen Bruno D. wird Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen vorgeworfen.
Antrag auf Begutachtung von Gaskammer und Krematorium
Die Antragsteller für den Beweisantrag hatten argumentiert, das Gericht müsse sich einen Eindruck verschaffen, was die SS-Wachmänner damals von der Gaskammer, dem Krematorium, dem Galgen und den unmenschlichen Bedingungen mitbekommen konnten.
Elemente der heutigen Gedenkstätte teilweise rekonstruiert

Die Strafkammer erklärte jedoch, das Lager sei heute eine Gedenkstätte, dessen Elemente teilweise rekonstruiert seien. Große Teile des ehemaligen Lagergeländes seien überwaldet. Ein nur ungefährer Eindruck wäre nicht hilfreich. Zudem habe der Angeklagte die Gaskammer und das Krematorium nicht in Abrede gestellt und ausgesagt, dass er eine Hinrichtung beobachtet habe.
Verfahren wird nicht ausgesetzt
Einen Antrag des Verteidigers, das Verfahren wegen der Corona-Krise auszusetzen, hatte die Strafkammer Anfang vergangener Woche abgelehnt, wie der Gerichtssprecher sagte. Eine Beschwerde dagegen wies das Oberlandesgericht als unzulässig zurück.
Angeklagter mit Mundschutz vor Gericht
Der Angeklagte wurde am Dienstag von Sanitätern ins Gerichtsgebäude gebracht. Er trug wie sein Verteidiger einen Mundschutz und Gummihandschuhe. Nach etwa einer Viertelstunde erklärte der 93-Jährige nach Angabe des Sprechers, er könne durch die Maske nicht gut atmen. Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring ordnete nach Beratung mit einem Arzt an, dass der Angeklagte die Maske abnehmen dürfe. Dafür benutzten nun auch die Richter wie alle anderen Anwesenden im Saal einen Mundschutz.
Verhandlung ohne Publikum

Um eine Infektion des hochbetagten Angeklagten und der weiteren Prozessbeteiligten mit dem Coronavirus zu vermeiden, werden keine Zeugen oder Gutachter gehört. Auch wird es im Verhandlungssaal bis Ende April keine Zuschauerinnen und Zuschauer mehr geben. Vertreterinnen und Vertreter der Medien konnten in einem eigens eingerichteten Raum - ein Stockwerk tiefer - nur hören, was ins Mikrofon gesprochen wurde.
Gericht will keine Verzögerung
Das Gericht wollte den Prozess trotz der Corona-Pandemie nicht aussetzen. In dem Fall müsste er zu einem späteren Zeitpunkt ganz neu beginnen. Der Angeklagte ist wegen seines Alters aber ohnehin nur eingeschränkt verhandlungsfähig. Eine weitere Verzögerung würde den Ausgang immer ungewisser machen. Außerdem haben seit Oktober Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus der ganzen Welt ausgesagt. Sie könnten nicht einfach ein zweites Mal anreisen.
Fortsetzung am 23. April
Der Prozess soll nun am 23. April fortgesetzt werden. Bruno D. war als 17-Jähriger Wachmann im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig. Ihm wird Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen vorgeworfen. Er soll laut Anklage "die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt" haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Gefangenen zu verhindern. Der Fall wird vor der Jugendstrafkammer verhandelt, weil der Beschuldigte zur Tatzeit 17 bis 18 Jahre alt war. Der Prozess läuft seit Mitte Oktober.
Warum so spät?
Der Prozess gegen Bruno D. hat 74 Jahre nach den Mordtaten im KZ Stutthof begonnen. Hintergrund ist eine Änderung in der Rechtsprechung bezüglich NS-Verbrechern. 2011 wurde John Demjanjuk, ein ehemaliger Wachmann im deutschen Vernichtungslager Sobibor, wegen Beihilfe zum Mord in über 28.000 Fällen verurteilt - ohne dass ihm eigenhändige Mordtaten nachgewiesen werden konnten. Seither ermittelt die deutsche Justiz auch gegen Angehörige der Wachmannschaften anderer Konzentrations- und Vernichtungslager, auch wenn sie nicht persönlich für einzelne Tötungen verantwortlich sind.
Hintergrund ist, dass die Wachleute durch ihren Dienst auch die Mord- und Vernichtungsaktionen in den Lagern unterstützt haben. Die Staatsanwaltschaft Hamburg wirft Bruno D. deshalb vor, als "Rädchen der Mordmaschinerie" dazu beigetragen zu haben, dass die von der Nazi-Führung angeordnete "Endlösung der Judenfrage" im KZ Stutthof umgesetzt werden konnte.
