Ein Mann hält ein Mikrofon an seinen Mund © imago

Schlager statt Protestsongs: Die Autobiografie von Roland Kaiser

Stand: 17.05.2022 13:31 Uhr

Am 10. Mai ist der Kultsänger 70 Jahre alt geworden. Nun ist seine Biografie erschienen, die auch ein Stück Geschichte der Bundesrepublik ist.

von Nora Binder

Roland Kaiser ist der Erotomane des Deutschen Schlagers. Lieder als Möglichkeitsraum zum Durchspielen tabuisierter Wünsche.

"Nachts an deinen schneeweißen Stränden hielt ich ihre Jugend in den Händen. Glück für das man keinen Namen kennt."

"Ich bin ja in meinen Texten immer sehr weit gegangen in allen Bereichen der Erotik", sagt Kaiser. "Viele von den Schlagern, die groß wurden, die machten ja immer hier Schluss, beim Herzen und tiefer ging es halt nicht. Bei mir ist es bis heute immer so, dass für mich Liebe auch etwas tiefer stattfindet." Seit bald 50 Jahren ist er damit unglaublich erfolgreich. In Frankreich oder England wäre er wohl längst Nationalheld, hierzulande: naja. Dabei haben seine Schlager Erzählkraft: Sind wie Mythen des Alltags, die Wege zur Außer-Alltäglichkeit versprechen.

Roland Kaiser ist gesellschaftspolitisch engagiert

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Aber es gibt auch noch diesen Roland Kaiser: den gesellschaftspolitisch Engagierten, aus dem Berliner Arbeiterkiez Wedding. Der 2015 in Dresden die dort entstandene fremdenfeindliche PEGIDA-Bewegung kritisierte: "Wir sollten und dürfen stolz darauf sein, dass wir Männern, Frauen und Kindern aus Krisengebieten in unserem demokratischen Land ein Leben und eine Zukunft in Sicherheit und Freiheit ermöglichen können."

Der rechte Shitstorm kam natürlich prompt, wie von Kathrin Oertel (PEGIDA Dresden): "Lieber Roland Kaiser, wir gehen zu Ihren Konzerten und bezahlen dafür. Da können wir bitte auch Neutralität uns gegenüber erwarten." Kaiser reagiert: "Mir war die Reaktion dann derer, die mich nicht verstehen wollten, offen gesagt egal. Weil ich kann sie nicht bekehren und dann verzichte ich auf sie als Publikum."

Autobiografie erzählt Geschichte Kaisers und der Bundesrepublik

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In seiner Autobiografie erzählt er jetzt seine Geschichte - die Geschichte einer frühen Politisierung, die ihn zu einem überzeugten Sozialdemokraten werden ließ. Aber wie nebenbei erzählt er auch die Geschichte der Bundesrepublik. Wie er spiegelbildlich zu ihr einen Aufstieg erlebt, aus einfachsten Verhältnissen im Wedding: "Berlin war eben ab 1961 hochbrisant. Ständig. Durch den Mauerbau habe ich erlebt, wie die Menschen hier gelitten haben, auf der und der Seite. Ob des Verlustes der anderen Menschen, die man verliert - das ging mir als Schüler und als Kind auch so. Viele meiner Freunde wohnten eben ein Stück weiter und hinter Hertie war Schluss an der Chaussee-Straße. Die waren plötzlich weg."

"Da war dieser Tag, an dem John F. Kennedy nach Berlin kam", erzählt Kaiser, "und da diese Rede gehalten hat, und diesen legendären Satz sprach: 'Ich bin ein Berliner.' Wir haben da gestanden auf dem Platz und haben Tränen in den Augen gehabt. Als er dann einem Attentat zum Opfer fiel, war Berlin gelähmt. Die Menschen waren sprachlos, fassungslos, weil für uns war er der Garant für Freiheit, für Demokratie, für Schutz vor dem Osten. Im Moment aktueller denn je, plötzlich über Nacht. Insofern waren wir Berliner eigentlich alle Amerikaner danach. Irgendwie."

Kindheitserinnerung an Pflegemutter und Willy Brandt

Kennedys Abrüstungspolitik - für den Elfjährigen ein politisches Erweckungserlebnis. Eine Ortsbegehung in Berlin: "Wir haben hier gewohnt immer im Hinterhaus, rechts, Seitenflügel." Die Häuser hatten noch Einschusslöcher als er als Ronald Keiler geboren wurde. "Meine leibliche Mutter hat mich vor einem Kinderheim ausgesetzt. Sie war damals 17 und das war als junge Frau, die unverheiratet war ohne Partner 1952 unvorstellbar, sich durchzusetzen, zumal ihre eigenen Eltern das nicht wollten."

Er kam zu einer Pflegemutter, Ella Oertel. Eine alleinstehende, ältere Dame. Sie legte ihm manchmal einen angewärmten Backstein unter die Bettdecke, weil der Ofen nicht ständig laufen konnte. Oertel arbeitete als Putzfrau in der alten SPD-Zentrale - kannte Willy Brandt, als er noch Bürgermeister war. Eine glühende Sozialdemokratin. Ihr habe er viel zu verdanken, sagt Kaiser, auch die politische Prägung.

Beeindruckt von Brandts Kniefall in Warschau

Als 18-Jähriger ist er tief beeindruckt von Brandts Kniefall in Warschau: "Für mich war er die letzte politische Figur, die ich erlebt habe, der dafür sorgen konnte, dass junge Menschen ein Gefühl von Begeisterung und Liebe zu einem Politiker entwickeln konnten. Ich habe damals, als das Misstrauensvotum gegen ihn lief, morgens mit Freunden in der Kneipe gesessen und wir haben so wie ein Fußballspiel diese Bundestagssitzung verfolgt. Als er gewonnen hatte, sind wir hochgesprungen, als hätte Deutschland im WM-Endspiel Eins zu Null gewonnen."

Immer wieder für Frieden einzutreten ist ihm wichtig, besonders wenn es um die Ukraine und Russland geht: "Natürlich kann man sich hinstellen und sagen, wir hätten unsere Armeen stärker ausrüsten sollen, wir hätten mehr auf unsere Verteidigung achten sollen. Wir haben aber auf die Karte des Friedens gesetzt und geglaubt, dass es ausreichen würde, durch Wirtschaftsverbindungen und durch ständige Dialoge es hinzubekommen, solche Situationen zu vermeiden. Man kann daraus lernen und kann gucken, dass man sich wieder verstärkt um seine Verteidigung kümmert, um dann in Zukunft auf Augenhöhe miteinander reden zu können. Auf der anderen Seite mache ich mir schwere Sorgen, dass wir natürlich dann am Ende des Tages wieder eine Grenze haben werden, wo zwei hochgerüstete Armeen gegeneinanderstehen. Und das macht mir für meine Kinder und Enkelkinder sehr viele Sorgen."

 

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NDR Kultur - Das Journal | 16.05.2022 | 22:45 Uhr

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