Von Besuch in Frauenhaus inspiriert: Sophie Pacinis Album "bittersweet"
Sie ist hartnäckig und zielstrebig und hat mit ihrer Standfestigkeit Martha Argerich kennengelernt. Wie es dazu kam und was Musik und ihr neues Album "bittersweet" für Sophie Pacini bedeuten, erzählt sie im Interview.
Für Sophie Pacini war der Besuch, ein Konzert in einem Münchner Frauenhaus, ein intimes und bewegendes Erlebnis, so die deutsch-italienische Pianistin und ECHO Klassik-Preisträgerin. Für diesen Auftritt hatte sie ihre persönlichen Herzensstücke ausgewählt, die nun auf der CD "bittersweet" veröffentlicht wurden.
Sophie Pacini tritt weltweit in renommierten Konzertsälen auf, ist auf allen großen internationalen Klavierfestivals präsent, und die Diskografie der heute 33-Jährigen kann sich sehen lassen: von Schumann, Mozart über Beethoven, Poulenc, Liszt oder Chopin. Seit 2023 veranstaltet sie ein eigenes Festival mit dem Titel "Nuancen" in ihrer Heimatgemeinde Aying, in der Nähe von München. Bevor sie am 23. April in der Hamburger Elbphilharmonie auftritt, spricht Sophie Pacini in NDR Kultur à la carte mit Beate Scheibe über Tonarten, Musikfarben und erklärt, was sich dahinter verbirgt.
Inwiefern hat Musik eine heilende Wirkung?
Sophie Pacini: Für mich hat Musik etwas sehr Physisches - gerade durch das Klavier. Wenn ich mich da ransetze und die Hände auf die Klaviatur lege und dann los spiele, ist das toll. Diese Übertragung von Instrument über den Boden in meinen Körper, das hat für mich etwas sehr Strahlendes und Erhebendes. Ich muss sagen, da ich nicht aus einem Musikerhaushalt komme, wurde ich auch nicht wirklich an das Instrument herangeführt. Denn meine Eltern sind keine Musiker, alle beide nicht. Ich habe einfach sehr viel Gefallen und Spaß an dem Instrument gefunden, um mich dadurch auszudrücken.
Das Klavier hat mich durch alle Phasen meines Lebens begleitet. Durch die Musik hat es mich immer näher ans Klavier geschweißt. Mit so einem Lebenslauf habe ich auch schwierige Phasen durchgestanden, auch in der Schule. Denn ich habe sehr viel Ablehnung erfahren. Gerade wenn man aus dieser Wunderkind-Ecke rauskommen möchte und in die Richtung einer ernst genommenen Künstlerin gehen will, muss man viele Entscheidungen treffen und braucht auch Rückgrat. Das habe ich alles durchs Klavier bekommen.
"Bittersweet" heißt die neue CD. Dabei geht es auch um Musik, die Trost spendet. Wie ist denn diese CD entstanden und was hat es mit dem Titel auf sich?
Pacini: Entstanden ist das Album direkt im Nachgang an ein Konzert, das ich in Bayerns größtem Frauenhaus gegeben habe, nämlich in München. Das ist mir schon seit sehr langer Zeit ein Anliegen, Musik an die Orte zu bringen, an denen Musik nicht erklingen kann oder an denen Menschen sich im Moment nicht der Musik bedienen können. Das kann aus verschiedensten Gründen sein. Ich möchte auch Musik zu den Menschen bringen, die bisher vielleicht noch gar keine Berührung mit Musik hatten. Ganz wichtig ist mir, dass Musik eine unmittelbare Berührung auslösen kann. Ich habe mir auch überlegt, wo ich als Frau den Unterschied machen kann. Das ist natürlich in einem Frauenhaus. Das war gar nicht so einfach herauszufinden, wie man so etwas gestalten kann.
Natürlich sind die Orte geheim, das ist klar. Aber ich habe selbst entdeckt, wie wenig ich eigentlich darüber weiß. So ging es auch meinem Umfeld. Ich wage auch zu behaupten, dass man gar nicht so viel über dieses Thema weiß. Dass es Frauenhäuser gibt schon, aber wie das im Konkreten aussieht, wie nüchtern und wie unverblümt bitter dieser Ort einem entgegen schreit, wenn man da reinkommt. Das ist eine schreiende Stille. Man merkt die bleierne Umgebung, die sich auf einen drauflegt, und eine Schwere. Dies habe ich auch bei den Frauen gemerkt, die in den Raum gekommen sind. Sie waren ganz verschüchtert und vor allem hatten sie nicht diese innere Säule des Selbstwerts. Ich habe mein E-Piano mitgebracht, weil es in keinem Frauenhaus ein Instrument gibt. Es war mir aber egal, auf welchem Instrument die Musik erklingt, Hauptsache, sie erklingt.
Es sind sehr viele Tränen bei den Frauen und bei mir geflossen. Die Musikauswahl habe ich dementsprechend getroffen, was mir in einer solchen Situation helfen würde. Ich war zum Glück noch nie in einer solch bitteren Notlage, deshalb ist das jetzt auch vermessen so etwas zu sagen. Aber es sind vor allem Schicksale, für die die Frauen nichts können. Das heißt, sie müssen sich aus dieser Notlage mit neu gefundenem Mut und auch selbst auferlegter Stärke befreien. Die meisten Frauen verlassen das Zuhause, die Männer erst, wenn die Kinder auch bedroht sind, so wurde es mir gesagt. Die Musikauswahl habe ich dahingehend getroffen, für was die Klassik meines Erachtens besonders steht, nämlich eine Reise vom Dunkeln ins Licht.
Du warst Jungstudentin am Mozarteum, Schülerin von Karl-Heinz Kämmerling, danach von Pavel Gililov. Eine ganz wichtige bedeutende Begegnung war die mit Martha Argerich. Euch verbindet seit vielen Jahren eine enge Freundschaft und eine musikalische Partnerschaft. Das ist etwas sehr Besonderes in deiner Biografie. Genauso besonders ist die Begegnung mit Martha und dir gewesen. Ihr habt euch in Italien auf einem Festival kennengelernt. Wie war eure erste persönliche Begegnung?
Pacini: Meine Eltern und ich waren im Urlaub, im Geburtsort meines Papas in Pietrasanta, das ist in der Toskana an der Küste. Martha spielte dort das Eröffnungskonzert von Pietrasanta in Concerto. Da habe ich meinen Papa angefleht, er müsse irgendetwas machen. Ich wollte Martha treffen. Da hat er seinen Trauzeugen angerufen, der rief den Bürgermeister an, und der rief den Festivalintendanten an. Wir haben eine Adresse bekommen, nämlich das Hotel von Martha, wo sie residierte. Da hieß es, ich soll auf sie warten. Das haben wir dann auch mehrere Stunden getan, aber von Martha war keine Spur.
Irgendwann habe ich einfach die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und mich an den Flügel gesetzt, der extra für sie angemietet wurde. Ich habe gehofft, wenn ich darauf spiele, dass sie sich denkt: Wer ist denn da so dreist? Vielleicht kommt sie runter und guckt sich das an. Es war tatsächlich so. Sie kam runter in das Zimmer und war so schlecht gelaunt. Sie wollte nichts von mir wissen und schon gar nicht davon, dass ich hier vorspielen möchte. Dann habe ich mich eine weitere Stunde in die Lobby gesetzt und sie hat dabei geübt.
Dann kam sie irgendwann raus und sah mich und sagte: "Du bist ja immer noch hier." Ich war immer noch da und wollte vorspielen. Martha fragte, was ich denn überhaupt vorspielen wollte. Ich glaube, als ich gesagt habe, die h-Moll-Sonate von List, hat sie sich gedacht, die spinnt endgültig. Das Stück ist ein halbstündiger Brocken, mit dem Martha unter anderem berühmt geworden ist. Aber das war genau der Grund, weswegen ich sie unbedingt mal kennenlernen wollte. Ich habe sie mit diesem Stück gehört und das hat mich dazu gebracht, zu lernen und Grenzen zu überwinden.
Dieses Pathos, dieses Temperamentvolle, dieses Grenzenlose, gefühlt noch einen neunten Gang einzulegen - obwohl es den natürlich nicht gibt - das ist das, was ich mit Martha Argerich verbinde. Da hat sie sich am Ende überzeugen lassen und hat mir die ganze halbe Stunde zugehört. Dann ist sie aufgestanden, förmlich auf mich zugerannt und hat mich umarmt und mir einen Kuss auf die Wange gedrückt und gesagt: "Du bist eine große Pianistin." Das, was ich mir immer vorgestellt habe, wurde Realität. Das heißt, irgendwo war dieser Instinkt und dieses Gefühl, diesen Traum zu verwirklichen. Das war wirklich etwas, was sich scheinbar einstellen sollte. Mein Bezug zur Realität hat sich damit einfach gefestigt. Ich fühlte mich in gewisser Weise auch gewappnet, diese Karriere machen zu können. Denn man braucht wahnsinnig viel Selbstvertrauen, um seine eigene Wahrheit in der Musik auf einer Bühne zu präsentieren.
Das Gespräch führte Beate Scheibe. Einen Ausschnitt davon lesen Sie hier, das ganze Gespräch können Sie oben auf dieser Seite und in der ARD Audiothek hören.
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