Der ghanaische Künstler Ibrahim Mahama steht in Osnabrück vor einer von ihm mit Jutesäcken verhüllten Fassade. © picture alliance / epd-bild Foto: Detlef Heese
Der ghanaische Künstler Ibrahim Mahama steht in Osnabrück vor einer von ihm mit Jutesäcken verhüllten Fassade. © picture alliance / epd-bild Foto: Detlef Heese
Der ghanaische Künstler Ibrahim Mahama steht in Osnabrück vor einer von ihm mit Jutesäcken verhüllten Fassade. © picture alliance / epd-bild Foto: Detlef Heese
AUDIO: Ghanaischer Künstler verhüllt Kaufhaus-Fassade in Osnabrück (3 Min)

Christo-Stil gegen globale Ungerechtigkeit: Künstler verhüllt Kaufhaus in Osnabrück

Stand: 07.07.2023 12:08 Uhr

Ibrahim Mahama verhüllt in Osnabrück ein ehemaliges Kaufhaus unter anderem mit Jutesäcken. Es geht ihm dabei um globale Ungerechtigkeit und die Suche nach Frieden. Morgen wird sein Werk offiziell eröffnet.

von Göran Ladewig

Im Erdgeschoss des Kaufhauses, hinter schmutzigen Schaufensterscheiben, sitzen Freiwillige auf einer riesigen, blauen Stoffbahn. Sie nähen traditionelle Gewänder aus Ghana darauf fest, bunt und voller Streifen. Auch Monika Witte sticht mit ihrer Nadel in die Kleider. "Die haben etwas ganz Persönliches", findet Witte. Sie denke die ganze Zeit darüber nach, wer diese Kleider schon getragen hat. "Das sind ja Kleider, die über Generationen weitergetragen wurden und in denen ein ganzer Spirit einer Familie drinsteckt."

Gesammelt hat die Gewänder Ibrahim Mahama, Verhüllungskünstler aus Ghana. Er sitzt selbst auf dem Boden und näht - nicht nur Kleider, sondern auch gebrauchte Jutesäcke aus Ghana. "Sie wurden genutzt, um Kakao und viele andere Güter zu transportieren, und diese Güter haben Spuren an den Jutesäcken hinterlassen", erklärt der Künstler. "Die waren ursprünglich beige, aber je dunkler und abgenutzter sie werden, desto mehr Geschichte saugen sie auf." - Geschichten von harter Arbeit, Kolonialismus und sozialer Ungerechtigkeit in der Weltwirtschaft: "All das steckt in diesem Material." Dazu passt ein ehemaliges Kaufhaus als Symbol des Konsums natürlich gut.

Projekt umstritten

Helfer laden die etwa 15 Meter langen Stoffbahnen auf einen Rollwagen - und transportieren sie damit nach draußen vor den riesigen, grauen Kaufhaus-Betonklotz mitten in der Osnabrücker Innenstadt. Seit einiger Zeit steht er leer. Die Helfer ziehen die Jutesäcke und Gewänder mit einer Seilwinde am Gebäude empor - alles unter den gespannten Blicken einiger Passanten.

Ein ehemaliges Kaufhaus in Osnabrück ist mit Jutesäcken verhüllt © Kunsthalle Osnabrück
Das ehemalige Kaufhaus in Osnabrück ist mit Jutesäcken verhüllt

Deren Meinungen gehen auseinander: "Total interessant! Muss ja nicht alles nur neu und schön sein", meint eine Passantin. "Es sieht schon komisch aus, aber ich finde es nicht hässlich und ich finde es gut, dass man darauf anspielt", erzählt eine andere Person. Ein weiterer Passant kritisiert die Finanzierung: "Das Geld hätte man deutlich besser in Jugendhilfe oder irgendwas Karitatives investieren können als in so einen Kram." In der Tat kostet das Projekt insgesamt rund 300.000 Euro, bezahlt aus öffentlichen Geldern - für öffentliche Kunst. In der Lokalpresse kommt das Projekt teilweise nicht gut weg, auch deswegen, weil manche der Stoffe per Flugzeug hergebracht wurden.

Anknüpfungspunkte an Stadtgeschichte

Auftraggeberin für Ibrahim Mahama ist die Kunsthalle Osnabrück. Deren Direktorin Juliane Schickedanz ist nach wie vor überzeugt von der Entscheidung, zumal das Thema Kolonialismus eng mit Osnabrücks Vergangenheit verknüpft sei. "Die Textilgeschichte und die Leinengeschichte von Osnabrück beruht auch auf dieser kolonialen Vergangenheit", erklärt sie. "Da gibt es einfach Anknüpfungspunkte, die es ermöglichen, sowohl die Historie der Stadt zu beleuchten, als auch gemeinsam in die Zukunft zu blicken und zu gucken: Wie kann Freiheit und Frieden und Gleichberechtigung auch sein, wenn es doch eigentlich um Umverteilung geht."

Die Direktorin ist stolz, den renommierten Künstler angeworben zu haben. Der 36-Jährige hat bereits auf der documenta in Kassel und der Biennale in Venedig ausgestellt. In Osnabrück Kunst zu schaffen habe für ihn großes Potenzial, sagt Mahama, denn hier gebe es sonst wenig zeitgenössische Kunst in dieser Dimension. "Die Menschen müssen das Projekt nicht mögen, solange es sie zum Reden animiert! Es erlaubt ihnen, für einen Moment nachzudenken, selbst wenn dieses Denken dumm ist."

Weitere Informationen
Eine mit Lumpen verhüllt Galeria Kaufhof Filiale. © NDR Foto: Jana Witte

Kunstaktion: Galeria-Kaufhof mit Jutesäcken verhüllt

Der Künstler Ibrahim Mahama aus Ghana verhängt die Fassade mit Stoffbahnen. Eröffnung der Kunstaktion ist am 8. Juli. mehr

Der Künstlert Ibrahim Mahama vor einem seiner Werke in Mailand am 02. April 2019 © picture alliance / Photoshot

Künstler will altes Kaufhof-Gebäude in Osnabrück verhüllen

Im Rahmen der Jubiläumsfeiern zum Westfälischen Frieden kommt der Verhüllungskünstler Ibrahim Mahama nach Osnabrück. mehr

Andreas Hoffmann © picture alliance/dpa/documenta und Museum Fridericianum gGmbH | Götz Wrage

Neuer Chef stellt documenta-Organisation auf den Prüfstand

Seit einer Woche ist Andreas Hoffmann neuer Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum gGmbH. Was er jetzt vorhat. mehr

Jakob Lübke lächelt mit dickem Schal und Jacke in die Kamera. Hinter ihm leuchten viele Lichter einer Großstadt. © Birgitt Schütte / NDR

Mit dem Ex-Nachtbürgermeister durch Osnabrück

Jakob Lübke war der erste Nachtbürgermeister Norddeutschlands. Göran Ladewig war mit ihm auf Spurensuche in der Stadt. mehr

Eine Moschee in Stockholm © Eckhard Ahmed Krausen

"Moscheen in Europa": Fotoausstellung zeigt islamische Gotteshäuser

Wie unterschiedlich Moscheen aussehen, zeigt eine Ausstellung in Osnabrück mit Bildern des Fotografen Eckhard Ahmed Krausen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | 07.07.2023 | 07:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Installationskunst

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und lächelt in die Kamera. Neben ihr stehen die Worte "Die Hauda & die Kunst" © NDR/ Flow

Kunstwissen to go - serviert von Bianca Hauda

Bianca Hauda serviert Kunstwissen in kleinen Happen: Porträts von Künstler*innen, deren Bilder und Werke in deutschen Museen zu sehen sind. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Ein Mann bläst in eine Tuba. Im Blech spiegelt sich die Umgebung. © DEPT gGmbH Foto: DEPT gGmbH

15.000 Bläser spielen gemeinsam beim Posaunentag in Hamburg

Posaunenchöre aus ganz Deutschland reisen an, um vom 3. bis 5. Mai gemeinsam zu spielen - ein großes öffentliches Fest. mehr