Schauspieler halten eine ukrainische Flagge hoch © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alessandra Tarantino Foto: Alessandra Tarantino

Ukraine-Krieg: Norddeutsche Kultureinrichtungen unterstützen Flüchtlinge

Stand: 08.07.2022 14:40 Uhr

Kultureinrichtungen im Norden zeigen sich mit der Ukraine solidarisch und unterstützen die Menschen dort nach ihren Möglichkeiten. Ein kleiner Überblick.

von Anina Pommerenke

Als am 24. Februar russische Truppen in die Ukraine einfielen, zeigten sich viele Kultureinrichtungen im Norden umgehend solidarisch mit der Ukraine: Ensembles gingen spontan auf Friedensdemonstrationen, auf Instagram-Kanälen fand sich die ukrainische Flagge wieder oder passende Zitate großer Literaten. Aus diesen spontanen Solidaritätsbekundungen hat sich vielerorts ein handfestes und bleibendes Engagement entwickelt.

Hilfe für ukrainische Flüchtlinge in Lübeck

Das Europäische Hansemuseum in Lübeck hatte schon kurz nach Kriegsausbruch eine große ukrainische Flagge an der Backstein-Fassade des Hauses befestigt. Seit Ende Mai bietet das Museum Geflüchteten kostenfreien Eintritt in die Ausstellungen an. Das Angebot werde laut Sprecherin Marilena Meyer bisher sehr gut angenommen, ebenso wie auf Ukrainisch durchgeführte Familienführungen durch die Ausstellung "Hanse steinreich - eine LEGO Zeitreise". Die Nachfrage und das Interesse sei nach wie vor vorhanden - auch für Angebote auf arabischer Sprache. Das liege dem Haus am Herzen, so Meyer, dass die Angebote für geflüchtete Menschen nicht nur in ukrainischer Sprache angeboten werden.

Das Haus möchte den Menschen damit die Bedeutung der Hanse als Teil der kulturellen Identität der Stadt Lübeck sowie Nordeuropas näherbringen - schließlich stehe sie seit jeher für interkulturellen Austausch. Die Aktion soll es den Geflüchteten einfacher machen, am kulturellen Leben der Stadt teilzunehmen und sie besser kennenzulernen. Für den freien Eintritt ins Europäische Hansemuseum genüge in der Regel die Vorlage eines gültigen Reisepasses oder eines anderen Ausweisdokuments, zum Beispiel ein Aufenthaltstitel oder Registriernummer der Ausländerbehörde. Ebenso werde der Ankunftsnachweis für Asylsuchende akzeptiert, heißt es auf Nachfrage von NDR Kultur.

 

Literaturhaus Hannover sammelt für ukrainischen PEN

Auch das Literaturhaus Hannover hat sich laut Leiterin Kathrin Dittmer wiederholt an Spendenaufrufen beteiligt - das Geld kommt dem PEN Ukraine/Belarus/Polen, der sich zur Foundation open Culture zusammengeschlossen hat, zugute. Laut der Internetseite sind bereits rund 65.000 Euro zusammengekommen, mit denen vornehmlich Menschen aus dem Kulturbereich geholfen werden soll - zum Beispiel indem sie an sichere Ort gebracht werden.

Laut Dittmer habe sich das Literaturhaus-Publikum ebenso wie Angestellte des Hauses an dem Spendenaufruf beteiligt. Auch inhaltlich und programmatisch spiele der Krieg in der Ukraine bei Veranstaltungen eine Rolle. Dittmar denkt dabei an die literarisch-musikalische Performance "Paradise Lost" zurück, die als Gastspiel am Literaturhaus Hannover Station gemacht hat oder an das von ihr beim Festival "30X" im März geleitete Podium. In diesem Kontext habe auch der Romanautor Moritz Rinke eine ein eindrigliche Rede zur Lage in der Ukraine gehalten. Fraglich ist für die Leiterin des Literaturhauses, wie es im Herbst weitergehen wird. Es sei noch nicht sicher, ob sie dann auch ukrainische Autor*innen im Haus empfangen könne: "Etliche haben sich zuhause zivilen oder militärischen Hilfstruppen angeschlossen. Es ist schrecklich und traurig. Ich hoffe sehr, dass wir alle wiedersehen werden."

 

Benefiz-Lesung zugunsten ukrainischer Literaturschaffender in Hamburg

Das Literaturhaus Hamburg hat Anfang April eine Benefiz-Lesung zugunsten ukrainischer Literaturschaffender organisiert. Dabei haben bekannte Autorinnen und Autoren aus der Stadt auf Einladung der Hamburger Buchhandlungen und des Literaturhauses Texte von ukrainischen Kolleg*innen gelesen. Die dabei eingesammelten rund 4.000 Euro gingen an die Initiative "Artist In Shelter", die sich auf die Unterstützung ukrainischer Literaturschaffender fokussiert. Über weitere Angebote denke man derzeit nach, heißt es.

Auch am Theater Bremen haben bereits verschiedene Solidaritätsaktionen stattgefunden. Mitarbeiter des Hauses hatten sich unmittelbar nach Kriegsausbruch an einer sponten Kundgegebung für den Frieden beteiligt. Inzwischen konnte das Exilorchester Mriya ein Konzert im Haus spielen, bei dem Vokal- und Instrumentalwerke von Komponistinnen und Komponisten aus der Ukraine und polnischen Komponisten mit Ukraine-Bezug auf dem Programm standen. Unter dem Titel "Give Peace A Chance" fand ein Benefizkonzert für Menschen in der Ukraine statt. Außerdem gab es Solidaritätsabende mit literarischem und musikalischem Austausch.

 

Filmvorführungen beim Braunschweig Film Festival

Wie viele andere Kulturschaffende habe sich auch das Braunschweig International Film Festival (BIFF) bereits kurz nach Kriegsausbruch zum Krieg in der Ukraine positioniert und verfolge betroffen insbesondere die Situation der Filmfestivals und Filmemacher*innen in der Ukraine, teilt Sprecherin Lynn Luise Zuber mit. Schließlich sei an Filme machen oder zeigen im Moment eher nicht zu denken. Deswegen habe das BIFF seit März eine Partnerschaft mit dem Verein Freie Ukraine Braunschweig e.V. (FUB) begonnen, um deren Arbeit finanziell und als Plattform für Aufmerksamkeit zu unterstützen.

Zum einen habe man Geld aus Veranstaltungseinnahmen und Sammlungen gespendet - zum anderen die Vorführung des Films "OLGA" organisiert. In dem Film steht das Schicksal einer talentierten 15-jährigen ukrainischen Turnerin namens Olga im Fokus, die im Exil in der Schweiz lebt und dafür kämpft, in die Nationalmannschaft aufgenommen zu werden. Doch dann bricht in Kiew der Aufstand auf dem Maidan aus, was ihr Leben und ihre ehrgeizigen Pläne auf den Kopf stellt. Der Eintritt für Geflüchtete sei kostenfrei gewesen, berichtet Zuber, weitere Vorstellungen in Kooperation mit FUB bereits in Planung.

Braunschweiger-Programmplätze dem ukrainischem Film überlassen

Auch inhaltlich werde sich der Krieg in der Ukraine beim 36. Braunschweig International Film Festival, das in diesem Jahr vom 7. bis zum 13. November stattfindet, niederschlagen: Zusammen mit dem Kyiv International Short Film Festival werde das BIFF eine Kurzfilmreihe von ukrainischer Regisseur*innen zeigen. In Zusammenarbeit mit dem Odesa International Film Festival werde eine Reihe bedeutender ukrainischer Langfilme aus den letzten dreißig Jahren erarbeitet: "Also aus der Zeit der ukrainischen Unabhängigkeit", erklärt Zuber. Grundsätzlich hoffe man, Filme- und Festivalmacher*innen zum Festival einladen zu können, das BIFF bemühe sich um entsprechende Förderung.

Das übergeordnete Ziel sei es, einen Teil der Programmplätze des Filmfests in Braunschweig ukrainischen Festivals und ukrainischem Film zu überlassen, die dieses Jahr in der Ukraine kriegsbedingt kaum stattfinden konnten. So solle dem Publikum ein Einblick in die ukrainische Kultur, Gesellschaft, Politik der letzten 30 Jahre ermöglicht werden und man wolle Verbindungen schaffen: "Um das Thema Ukraine am Leben halten und ukrainischen Geflüchteten in Braunschweig ein Stück Heimat zu geben," so das Festival.

 

Benefizkonzert in der Staatsoper Hannover

Auch die Staatsoper Hannover habe bereits unmittelbar nach Beginn des Krieges reagiert und jeweils nach den Vorstellungen das Lied "Prayer for Ukraine" von Mykola Lysenko aufgeführt, eine patriotische Hymne aus dem 19. Jahrhundert, teilt Sprecherin Christiane Hein mit. Gemeinsam mit dem Schauspiel Hannover kam zudem eine Spendenaktion zu Stande, bei der insgesamt 37.700 Euro für die Aktion "Deutschland hilft" eingesammelt wurden. Am 15. Mai fand im Opernhaus ein Benefizkonzert unter dem Titel "Aus Liebe zum Frieden" statt. Auch der Kinderchor sei bei einem Benefizkonzert aufgetreten, das gezielt für Kinder und Jugendliche gesammelt habe, berichtet Hein.

Am 4. Juli hat das Haus ein weiteres Mal zum Benefizkonzert geladen, dieses Mal unter dem Motto "United for the Future". Gesammelt wurde für die Arbeit des Youth Symphony Orchestra of Ukraine, so Hein. Darüber hinaus erhalten Menschen mit ukrainischem Pass vorerst bis zum Ende der Spielzeit ab 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn kostenlose Restkarten für die Aufführungen und Konzerte.

 

Volkstheater Rostock spendet ukrainischen Flüchtlingen

Auch das Volkstheater Rostock zeigte sich spontan solidarisch, wie Sprecherin Ute Fischer-Graf berichtet, so wurden von den Ensembles im März nach den Vorstellungen Statements für den Frieden verlesen und Geldspenden für die Menschen in und aus der Ukraine gesammelt. Diese kamen laut Angaben des Hauses zu gleichen Teilen dem Deutsch-Ukrainischen Zentrum und dem Flüchtlingsrat MV zu Gute. Auch das Volkstheater Rostock habe demnach im April ein Benefizkonzert veranstaltet, an dem Künstler*innen aller vier Sparten des Hauses beteiligt waren. Dabei kamen weit über 5.000 Euro zusammen.

Besonders emotional wurde es, als beim Benefizkonzert auch 30 Geflüchtete aus der Ukraine unter den Gästen begrüßt wurden. Nicht nur zu dieser Veranstaltung hatten die Menschen aus der Ukraine freien Eintritt - sondern auch für alle weiteren Vorstellungen, an denen sie interessiert waren, berichtet Fischer-Graf. Das sei beispielsweise beim Tanzabend "Saturn Return/The Great Migration" und der Premiere der Tschaikowski-Oper "Eugen Onegin" der Fall gewesen, also Produktionen, die sich auch ohne Deutschkenntnisse problemlos verfolgen lassen. Auch in Zukunft wolle das Haus bei Interesse seitens der Geflüchteten weiterhin Freikarten zur Verfügung stellen.

 

Kampnagel sammelt Spenden für Stipendien und Residenzen

Auch auf Kampnagel in Hamburg machte man sich umgehend auf die Suche nach Lösungen, wie ukrainische Kunst- und Kulturschaffende in diesen Zeiten unterstützt werden können. Schließlich brauchen die Menschen nicht nur Zuflucht, sondern auch eine Möglichkeit, weiter kreativ arbeiten zu können, sagte Sprecherin Mareike Hohlfeld wenige Tage nach Kriegsausbruch. Die Kultureinrichtung sammelt deshalb Spenden, um längerfristige Stipendien und Residenzen auf Kampnagel für vom Krieg betroffene Künstler*innen zu ermöglichen.

Programmatisch ist ebenfalls bereits einiges auf Kampnagel zustande gekommen: Anfang März fand ein Panel zu Russlands Imperialismus in Osteuropa statt, an dem die Künstlerin Anna Engelhardt, der Historiker Prof. Dr. Jörn Happel und die Journalistin Anastasia Tikhomirova diskutierten. Ebenso konnten Künstler*innen sich an dem Projekt "Voices Ukraine"beteiligen. Dabei dokumentieren Kulturschaffende die Erfahrungen, die sie seit der Flucht aus ihrem Heimatland und in ihrem neuen Alltag gemacht haben.

All diese Projekte sind sicherlich nur ein Bruchteil dessen, was der Norden an Hilfe schon bewegt hat. Und so wie es im Moment aussieht - werden Kulturschaffende und Menschen aus Ukraine noch eine ganze Weile auf die Unterstützung aus der Kulturwelt angewiesen sein.


Weitere Informationen
Anna, die Ehefrau eines vor zwei Monaten getöteten Soldaten, und der Vater Oleksandr stellen auf dem Friedhof der Hafenstadt Odessa die ukrainische Nationalflagge am Grab ihres Ehemannes auf. (Foto vom 24. Februar 2024) © Kay Nietfeld/dpa

Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Russlands Überfall und die Folgen

Am 24. Februar 2022 begann der Angriff. In der Ukraine starben mindestens 10.000 Zivilisten. mehr

Bundeskanzler Olaf Scholz (M., SPD), Yasmin Fahimi, DGB-Chefin, und Rainer Dulger, Arbeitgeberpräsident, kommen im Bundeskanzleramt zur Pressekonferenz nach den Gesprächen zur sogenannten konzertierten Aktion gegen die Inflation in Deutschland. © picture alliance/dpa Foto: Kay Nietfeld

Krisengipfel: Scholz stimmt Bürger auf lange Inflationskrise ein

Der Kanzler hat sich mit Spitzenvertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften getroffen. Sie wollen gemeinsam gegen Preissteigerungen vorgehen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassikboulevard | 09.07.2022 | 14:40 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und lächelt in die Kamera. Neben ihr stehen die Worte "Die Hauda & die Kunst" © NDR/ Flow

Kunstwissen to go - serviert von Bianca Hauda

Bianca Hauda serviert Kunstwissen in kleinen Happen: Porträts von Künstler*innen, deren Bilder und Werke in deutschen Museen zu sehen sind. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Das Chilehaus im Hamburger Kontorhausviertel © NDR Foto: Irene Altenmüller

100 Jahre Chilehaus: Vision und Utopie

Das Architekturjuwel wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Die Urenkelin des Bauherren Isabel Arends hat darüber 22 Erzählungen veröffentlicht. mehr