"Drei Etagen": In patriarchalen Denkmustern steckengeblieben
In Nanni Morettis Filmen geht es meist auf ironische Art um die politischen Verhältnisse in Italien. Sein neuer Film "Drei Etagen", die Adaption eines israelischen Romans, ist ernster.
Nanni Moretti hat eindeutig ein Problem mit Männern, zumindest in diesem Film. Denn sie sind es, die Argwohn und Unfrieden in die drei Etagen eines gediegenen Römischen Wohnhauses bringen. Zunächst sieht man noch die bildschöne Fassade, die Straßenlaternen beleuchten das holzgetäfelte Portal. Dann aber wird die nächtliche Ruhe von quietschenden Reifen gestört. Der Sohn des Richterpaars im dritten Stock ist mit dem Auto ins Erdgeschoß gekracht, nachdem er eine Passantin überfahren hat. Von den Eltern, Dora und Vittorio, erwartet er nun, dass sie ihn wieder einmal rausboxen.
Vittorio, den Nanni Moretti selbst spielt, ist fassungslos über die offensichtliche Reulosigkeit seines Sohnes. Oder war der Crash nur ein verzweifelter Schrei nach Aufmerksamkeit? Zwei Etagen darunter wohnen Lucio und Sara mit ihrer siebenjährigen Tochter Francesca, die sie oft vom benachbarten Rentner-Ehepaar beaufsichtigen lassen.
"Drei Etagen" - ein Haus, in dem es keine gute Nachbarschaft gibt
Hier könnten sich Nachbarn in idealer Weise ergänzen. Stattdessen aber verdächtigt Lucio den Ersatzopa plötzlich des sexuellen Missbrauchs. Der leicht demente Renato wurde mit Francesca verirrt im Park gefunden. Was das Kind hinterher erzählt, klingt völlig harmlos, was der Vater daraus macht, klingt monströs.
Lucio: "Hast Du ihren Blick gesehen?"
Sara: "Was ist damit?"
Lucio: "Sie sieht völlig abwesend aus. In diesem Park muss etwas passiert sein, das sie uns nicht erzählt."
Sara: "Es ist nichts passiert!"
Lucio: "Da ist irgendwas. Etwas, mit dem sie allein nicht fertig wird."
Filmszene aus "Drei Etagen"
Hätte Lucio wirklich ein Gefühl für seine Tochter, wüsste er, dass sie eigentlich ganz klar sagt, was sie denkt und empfindet. Aber Intuition ist den männlichen Figuren in diesem Film nicht gegeben. Sie haben, man muss es so drastisch sagen, ein Brett vorm Hirn. Der ewig Geschäftsreisende aus dem zweiten Stock lässt seine Frau vor und nach der Geburt ihres ersten Kindes völlig allein. Und der selbstgerechte Richter Vittorio verstößt nicht nur den Sohn, sondern stellt auch noch seine Frau vor eine unzumutbare Wahl. "Es tut mir leid, aber ich will ihn nie wieder sehen!" sagt Vittorio zu seiner Frau. "Und wenn Du die Beziehung zu ihm aufrecht erhältst, dann haben wir beide keine Beziehung mehr."
Regisseur Nanni Moretti als nüchterner und messerscharfer Beobachter
So humorlos und verknöchert hat man Moretti noch in keiner Rolle gesehen. Und so kritisch seinem eigenen Geschlecht gegenüber, sagt der Regisseur: "Die männlichen Charaktere sind festgefahren in der Art, wie sie ihre Rolle innerhalb der Familie ausüben, unbelehrbar rechthaberisch und festgenagelt auf ihre Überzeugungen und Obsessionen, wie die Figur des Lucio."
Es gibt keinen Grund, darüber zu schmunzeln, weil der Regisseur diesmal bewusst ohne ironisches Augenzwinkern erzählt. Er zeigt sich als ganz nüchterner und messerscharfer Beobachter. Die "Drei Etagen" sind für ihn Spiegel einer Gesellschaft, die patriarchale Denkmuster längst nicht überwunden hat und immer mehr zur Vereinzelung neigt. Statt einer Hausgemeinschaft sehen wir Menschen, die sich hinter verschlossenen Türen voneinander abschotten. Das ist eine Tendenz, die die Corona-Pandemie noch verstärkt hat und die den Film, obwohl er schon vorher gedreht wurde, nun umso aktueller macht.
"Drei Etagen"
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2021
- Produktionsland:
- Italien, Frankreich
- Zusatzinfo:
- Mit Nanni Moretti, Margherita Buy, Riccardo Scamarcio, Alba Rohrwacher, Anna Bonaiuto, Tommaso Ragno, Adriano Giannini
- Regie:
- Nanni Moretti
- Länge:
- 119 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahre
- Kinostart:
- ab 17. März
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