Karina Gauerhof und Anke Hagenbüchner-Sobiech © Deniz K. Soğukpınar © BIFF / Deniz K. Soğukpınar Foto: Deniz K. Soğukpınar

Gleichberechtigung: Gibt es einen Umbruch in der Filmbranche?

Stand: 21.10.2022 16:53 Uhr

Am 7. November beginnt das Braunschweig International Film Festival. Geleitet wird das BIFF von Karina Gauerhof und Anke Hagenbüchner-Sobiech. Lange war die Filmbranche fest in Männerhand. Was hat sich mittlerweile verändert?

Fangen wir mit einer Bestandsaufnahme der Filmbranche an! Ist die Filmbranche von Männern dominiert?

Karina Gauerhof: Ich glaube, das muss man ein bisschen aufschlüsseln. "Filmbranche" - das ist ein riesiger Begriff. Da gibt es so viele Gewerke, die sehr unterschiedlich besetzt sind. Ich würde sagen, in der Produktion hat sich viel verändert, da ist auch viel in Frauenhand und es sind viele Frauennetzwerke entstanden. Dann gibt es aber auch diese typisch technischeren Bereiche wie Kamera, das ist schon ein eher männerdominierter Beruf. Im Regiebereich gibt es viele Gespräche darüber, wie man Regisseurinnen in der Branche besser unterstützen kann. Meiner Wahrnehmung nach sind Frauen gegenüber anderen Frauen in der Filmbranche sehr wohlgesonnen. Man erfährt sehr viel Unterstützung, sehr viel Netzwerk und wird auch immer sehr aktiv von anderen Frauen in der Branche eingeladen. Da merkt man, dass da ein großer Rückhalt da ist, um Frauen den Weg in die Branche zu ermöglichen.

Anke Hagenbüchner-Sobiech: Ich bin im Organisationsbereich tätig und habe vorher lange ein Kino geleitet. Auch im Kino-Bereich tut sich was, da gibt es mittlerweile auch viele Kino-Theaterleiterinnen. Ich glaube, wo noch viele Männer tätig sind, das ist der ganze Verleih-Bereich, das ist jedenfalls meine Wahrnehmung. In meiner beruflichen Laufbahn hatte ich aber nicht wirklich Probleme.

Wie gehen Sie mit dieser Thematik beim BIFF um?

Gauerhof: Das BIFF ist ja insofern ein besonderes Filmfestival, da es in einer Vereinsträgerschaft ist. Also: wir sind ein eingetragener Verein, wir haben 40 aktive Mitglieder aus allen Altersschichten und jeglichen sozialen Backgrounds. Diese Personen sichten aktiv die Filme und wählen mit aus. Wir haben uns dazu entschieden, dass wir keine Frauenquote einführen. Bei den Filmen ist uns primär wichtig, dass die vermittelten Frauenbilder weniger Klischee behaftetet sind. Der Film eines Regisseurs kann einen ebenso tollen Frauencharakter darstellen, wenn er sich bspw. beim Drehbuch eine Drehbuchautorin zu Rate zieht oder die Kameraperspektive von einer Frau eingenommen wird. Wir haben keine Frauenquote - aber wir haben einen Frauenfilmpreis. Der richtet sich nur an Nachwuchsregisseurinnen. Außerdem laden wir zu bestimmten Gesprächsformaten nur Vertreterinnen der verschiedenen Gewerke ein um über bestimmte Themen der Filmindustrie zu sprechen.

Es ist tatsächlich so, dass es bei Ihnen im Team erstaunlich viele Frauen gibt. Ist das Zufall?

Hagenbüchner-Sobiech: Ja, ich würde es auf den Zufall schieben. Wir wählen ja unser Personal, was entweder längerfristig oder auch kurzfristig beschäftigt ist, nach dem Background, Inhalt, Wissen, der Film-Affinität etc. aus und nicht, ob männlich oder weiblich, also das spielt für uns keine Rolle.

Gauerhof: Ich glaube auch, dass es nach wie vor schon so ist, dass in den kulturellen Berufen eher Frauen Fuß fassen. Das liegt meiner Meinung nach auch an der Bezahlung. Jeder weiß, dass Kultur nach wie vor eher weniger gut bezahlt wird - als es natürlich in der freien Wirtschaft der Fall ist. Dementsprechend sind natürlich Frauen eher diejenigen, die dann in der Kultur Fuß fassen.

In der Kulturbranche arbeiten sicherlich viele Frauen - die Frage ist: Wie viele kommen in Führungspositionen an? Wie haben Sie das in Ihren eigenen Karrieren erlebt? Haben Sie das Gefühl gehabt, als Frau benachteiligt oder bevorzugt worden zu sein?

Hagenbüchner-Sobiech: Muss ich ehrlich sagen: Nein, mir ist keine Situation bewusst, wo ich speziell als Frau gefördert wurde oder umgekehrt ein Mann bevorzugt wurde.

Gauerhof: Ich würde sagen, im letzten Jahr, als der Vorstand des Filmfestival-Vereins sich dazu entschieden hat, dass eine Doppelspitze das Braunschweiger Filmfestival leitet, war das zunächst mal eine Entscheidung dahingehend, dass es eine Aufteilung der Aufgaben gibt. Das war dann egal, ob das jetzt Frauen oder Männer sind. Aber dadurch, dass ich schon länger dabei war, hatte man ein Stück weit das Potenzial gesehen, eine junge Person in diese Führungsposition zu befördern. Damit man zum einen auch eine Person dabei hat, die das Festival kennt und zum anderen aber auch, um ein Zeichen zu setzen. Denn es sind eben weniger Kulturinstitutionen in Frauenhand. Ich glaube schon, dass das ein Stück weit mit eine Motivation des Vorstandes war, das bewusst so zu entscheiden. Deswegen hatte ich jetzt in der Hinsicht nicht das Gefühl, dass ich als Frau benachteiligt war.

Aber es wurde dann oft zum Thema gemacht. Von außen und in der Presse - da gab es dann immer Berichte "Zwei Frauen in der Führungsposition" oder "Die Frauen-Doppelspitze" oder "Frauenpower beim Filmfest Braunschweig". Irgendwann ging es mir auch ein bisschen gegen den Strich, weil wir dachten: "Ja, wir sind aber nicht nur Frauen." Können wir auch einfach darüber sprechen, dass wir jetzt das Festival leiten und warum wir es leiten? Wir machen das ja nicht nur, weil es gerade Trend ist, sondern wir sind ja auch dafür qualifiziert.

Hier in Braunschweig hatte ich schon das Gefühl, dass die männlichen Stimmen eher kritisch waren, die man gehört hat, und Frauen haben uns eher Feedback gegeben, dass sie das total toll finden, dass wir das machen und dass das ein super Zeichen ist. Das ist natürlich meine subjektive Wahrnehmung, aber ich hatte das Gefühl, dass es gerade von Frauen, positives Feedback gab und sehr, sehr viel Support, Stärkung und Rückhalt.

Hagenbüchner-Sobiech: Wir wollen nach unserem Background, unserem Inhalt, unserem Wissen und der Qualifikation beurteilt werden. Nicht nach dem Geschlecht. Das ist, glaube ich, für uns ganz wichtig.

Über eine männliche Doppelspitze hätte natürlich niemand gesprochen, denn das ist ja an der Tagesordnung. Frau Gauerhof, Sie haben mit Anfang 30 recht jung diese Chance bekommen, eine Führungsposition zu übernehmen. Wie ist das für Sie?

Gauerhof: Man wächst so an seinen Aufgaben. Erschwerend kommt dazu, dass wir uns jetzt in einer Krise des Kinos befinden und wir natürlich versuchen, das Festival aus dieser Krise rauszubekommen beziehungsweise es krisenfit zu machen! Von der einen Krise durch die nächste zu kommen. Hier in Braunschweig ist es so, dass dieses Festival unfassbar verankert ist in der Stadt. Da war natürlich mein Vorteil, dass ich hier studiert habe. Ich wohne schon seit elf Jahren hier, habe dadurch eine gute Basis, ein gutes Netzwerk und kenne die Strukturen des Festivals. Das spielte mir dann auch zu. Das hat es mir sehr erleichtert, dann auch in der Position voranzukommen.

Aber natürlich gibt es dann Leute, die das sehr verwundert. Das jetzt eine so junge Person das Festival leitet oder mitleitet. Die fragen sich, ob ich überhaupt reif genug sei für diese Position. Wir beide leiten zwar das Festival, aber es gibt ja noch einen Vorstand und den Verein dahinter. Das heißt, es gibt noch sehr viele Menschen, die im Background tätig sind, die uns als Mentor zur Seite stehen. Es ist nicht so, dass wir hier ins kalte Wasser geworfen wurden und alles alleine machen. Der Vorstand ist super aktiv und steht uns mit Rat und Tat zur Seite.

Frau Hagenbüchner-Sobiech, Sie haben ursprünglich Informatik studiert. Wie war dann Ihr Werdegang?

Hagenbüchner-Sobiech: Ich habe Informatik studiert, wir waren drei weibliche Studentinnen von 100 bis 150 in meinem Studiengang damals in Ilmenau. Ich bin dann durch einen Nebenjob ins Kinogeschäft gerutscht. Während meines Praxissemesters habe ich gemerkt, dass ich nicht die ganze Zeit im Büro sitzen möchte. Auch wenn ich das jetzt teilweise natürlich auch mache. Ich habe dann die Leidenschaft fürs Kino entdeckt und für Filme und bin da hängen geblieben und habe mich hochgearbeitet. Zwischenzeitlich war ich in Garbsen bei Hannover als Theaterleiter-Assistentin tätig. Dann war ich lange Zeit hier Theaterleiterin. Von der Informatik ist eher das technische übriggeblieben. Ich arbeite gern mit Computern. Ich arbeite gern mit Zahlen.

Was wünschen Sie sich für Ihre Branche und Ihre weitere Arbeit?

Gauerhof: Bei Filmfestivals gibt es ja viele unterschiedliche Träger - da ist immer die Frage, was im Rahmen der Möglichkeiten ist - aber grundsätzlich: Eine angemessene Bezahlung. Es ist schon sehr verbreitet, dass Frauen gerne niedrigeres Gehalt bekommen. Gerade habe ich gehört, dass beim Max-Ophüls-Filmfestival in Saarbrücken die künstlerische Leitung auch eine weibliche Doppelspitze inne hat. Das hat mich super gefreut. Und ich glaube, da wird jetzt auch viel passieren. Es ist ja jetzt schon viel passiert, und ich glaube, da sind wir auf einem guten Weg. Frauen haben in der Branche auf viele Missstände aufmerksam gemacht. Und ich glaube, das hört jetzt auch erst mal nicht auf. Man sollte Frauen mehr wichtige Positionen zutrauen und auch bewusst in bestimmte Positionen befördern. Weil es eben wichtig ist, dass die Hälfte der Bevölkerung gewisse Führungspositionen übernimmt.

Hagenbüchner-Sobiech: Man muss auch bedenken, dass das Festival vor uns lange, lange von Männern geleitet wurde. Das ist ein Umbruch, den wir quasi ausgelöst haben. Ich wünsche mir, dass das selbstverständlich wird. Dass man irgendwann nicht permanent über Gleichberechtigung diskutieren muss.

Das Gespräch führte Anina Pommerenke.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 22.10.2022 | 08:15 Uhr

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