Emily Atefs Film "Plus que Jamais" mit Vicky Krieps und Gaspar Ulliel © FDCannes / Pandora Film

Emily Atef: "Plus que jamais" ist "kein Film über den Tod“

Stand: 24.05.2022 16:05 Uhr

Emily Atefs von der Moin Filmförderung gefördertes Melodrama "Plus que jamais" läuft beim Fimfestival von Cannes. Ein Gespräch über die emotionale Weltpremiere, Vicky Krieps, Gaspard Ulliel und den Tod.

Emily Atefs von der Moin Filmförderung unterstützter Film "Plus que jamais" läuft beim Fimfestival von Cannes in der Reihe "Un certain regard". Am Wochenende feierte das Melodram Weltpremiere an der Croisette. Minutenlang feierte der Saal Debussy, zum Teil unter Tränen, den Film. Die Ovationen im Stehen waren auch eine Hommage an den im Januar plötzlich bei einem Skiunfall verstorbenen französischen Hauptdarsteller Gaspard Ulliel, dem der Film auch gewidmet ist. Die Hamburgerin Silke Fischer ist verantwortlich für das Szenenbild der Koproduktion zwischen Norwegen, Luxemburg, Deutschland und Frankreich. Regisseurin Emily Atef ("3 Tage in Quiberon") hat das Drehbuch mit verfasst. Der Film ist eine Liebesgeschichte, handelt über das Ende des Lebens - und ist eine Verneigung vor der Landschaft Norwegens.

Emily Atef: "Gaspard Ulliel war tiefgründig und bescheiden"

Es war eine sehr emotionale Premiere von "Plus que jamais" in Cannes. Wie haben Sie die Premiere erlebt?

Die Drehbuchautorin und Regisseurin Emily Atef in Cannes © NDR Foto: Patricia Batlle
Emily Atef beim Interview in Cannes

Emily Atef: Ich bin noch in dieser merkwürdigen Stimmung, wo ich es alles noch nicht verarbeiten konnte. Es war sehr stark, mein Team dabei zu haben, Vicky Krieps dabei zu haben und Bjørn Floberg. Und dass wir diesen Film, den ich seit 2010 im Kopf habe, dass wir den das erste Mal vor Publikum zeigen konnten. Wir wussten nicht, wie die Reaktionen sein würden, wir wussten, es würde eine emotionale Reaktion, weil wir in Frankreich sind und der französische Schauspieler hier mitgespielt hat, der im Januar leider überraschend verstorben ist. Mein Gefühl war, dass das Publikum mit sehr viel Emotion und sehr viel Liebe reagiert hat.

Es war toll, auch, weil das Kino Debussy, wo die Filme der Reihe „Un certain regard“ laufen, so fantastisch ist. Es ist das schönste Kino in Cannes, was die Leinwand und den Sound angeht. Das größere Kino Grand Palais Lumière ist zwar auch toll, dort laufen die Wettbewerbsfilme. Aber mir ist es fast zu groß, ich höre da fast ein Echo.

Gleich in der ersten Szene des Filmes erkennt man, dass die Heldin Hélène, gespielt von Vicky Krieps, krank ist. Wie haben Sie das inszeniert?

Atef: Ursprünglich war es gar nicht die erste Szene im Film, aber meine wunderbare französische Cutterin Sandie Bompar, mit der ich in Berlin drei Monate zusammengearbeitet habe, hat diese Szene allen anderen vorangestellt. Weil darin diese junge Frau agiert, der es nicht gut geht, die nicht zufrieden mit sich selbst ist. Sie hat, wie man später erfährt, Schwierigkeiten beim Atmen wegen einer Lungenfibrose. Sie weiß nicht, wo sie mit dieser Diagnose einer unheilbaren Krankheit mit ihren Gefühlen und ihrer Persönlichkeit hin soll.

Außerdem kann sie schlecht damit umgehen, dass ihre Mutter und ihr Ehepartner sie nicht mehr verstehen. Sie versteht sich ja selbst nicht. Nach dieser ersten Szene gibt es eine Sequenz, die unter Wasser gefilmt ist - ein erster Hinweis darauf, dass die Natur Hélène zu sich ruft. Die Natur ruft so früh im Film schon „komm nach Norwegen, komm hierher, um Antworten auf deine Fragen zu finden, wohin dein Weg jetzt führt!“ Und das ist sehr wichtig für mich: Mein Film ist es kein Film über den Tod. In diesem Film stirbt niemand. Es ist ein Film über das Leben – den letzten Abschnitt des Lebens.

Hat sich Ihre eigene Haltung und Wahrnehmung in Bezug aufs Sterben, auf den Tod beim langen Entwickeln und Umsetzen dieses Filmes verändert?

Atef: Absolut! Ich habe noch nie so lange an einem Film gearbeitet, habe währenddessen mehrere andere Filme gedreht. Meine Mutter hatte 22 Jahre lang Multiple Sklerose. Ich habe also jemanden ganz Nahes erlebt, die so lange ihre Krankheit bekämpft hat. 2012 ist Krebs hinzugekommen, 2015 ist sie gestorben. Sie hat tatsächlich Fragmente von Plus que jamais gelesen, wir haben für die Drehbuchentwicklung oft mit ihr gesprochen.

Der Film hat mir dabei geholfen, zu verstehen, wie aggresiv die Liebe der Nächsten sein kann. Ihre Situation, ihre Erfahrungen haben mir geholfen zu verstehen: Nur die Kranke selbst weiß, was am Besten für sie ist. Ich war trotzdem nicht darauf gefasst, als sie von uns gegangen ist. Ich konnte sie nicht gehen lassen. Meine Mutter ist erst gestorben, als ich von ihrer Seite gewichen bin.

War dieser Film also teilweise therapeutisch für Sie?

Atef: Therapeutisch nur in dem Sinne, dass ich mich schon als kleines Mädchen dafür interessiert habe, wie die letzte Etappe des Lebens ist. Mich hat schon immer an Wölfen fasziniert, dass sie, wenn sie spüren, dass sie sterben, ihre Meute verlassen, ganz ohne Drama. Um die anderen nicht zu gefährden. Um in Würde zu sterben. Sie finden irgendwo einen kleinen Platz, um in Ruhe zu gehen. Das hat mich schon immer berührt. Ich betrachte diese letzte Etappe des Lebens nicht als makaber oder dunkel – bis auf die Ausnahme, dass natürlich eine tödliche Krankheit für niemanden schön ist. Weder für die Erkrankten, noch für deren Familie. Aber wir könnten es alles besser vorbereiten, wenn wir öfter darüber sprechen würden und wenn die Erkrankten ihre Wünsche und Bedürfnisse äußern würden.

Ihr filmisches Porträt dieser sterbenden junge Frau ist sehr schön, strahlt Gelassenheit aus. Wollten Sie bewusst ein Thema ansprechen, über das nicht so oft geredet wird?

Atef: Es ist ein großes Tabu, besonders in der westlichen Gesellschaft, über den Tod zu sprechen. Mein Vater stammt aus dem Iran, dort ist es auch ein Tabu. Vielleicht sind es nur gewisse Gesellschaften in Asien, wie der Buddhismus, die sich das ganze Leben mit der Zeit nach dem Tod beschäftigen. Ich bin spirituell, aber nicht religiös. Das einzige, was ich weiß, ist: Nach der Geburt kommt irgendwann der Tod. Das Thema ist oft mit Dunkelheit und mit Ängsten verbunden. Aber wir können kontrollieren, wie wir die letzten Tage, Monate, Jahre verbringen.

Sie haben ein kleines Team von Schauspielern für den Film gehabt, war es dadurch leichter, unter Covid-Bedingungen zu drehen?

Atef: Im Gegenteil, es war so schwer. Wir haben in Bordeaux gedreht, und in Luxemburg, es war sehr schwer, nach Norwegen zu kommen, weil die Auflagen dort sehr streng waren. Wir sind mit 17 Teammitgliedern und den Schauspielern angereist. Und ich hatte immer Angst, weil ich wusste, dass meine Schauspieler direkt danach weitere Verträge hatten. Wenn also einer der drei sich mit Covid infiziert hätte, hätten wir ein Riesenproblem gehabt, wir mussten im Budget bleiben. Mir hat ein Spruch auf einem Teebändchen geholfen auf dem stand: „Das Unbekannte macht mir keine Angst“. Im Film wird Hélènes Ehemann Matthieu fast zum Helden, weil er den größten Liebesbeweis erbringt. Er nimmt seine Gefühle zur Seite und lässt seine kranke Ehefrau ihren Weg wählen.

Vicky Krieps hat viele Szenen im kalten Wasser Norwegens, sie hat mich sehr an das britische Gemälde „Ophelia“ von John Everett Milais erinnert – eine Schönheit, die ganz still im Wasser voller Blumen liegt. Was für eine Bedeutung hat die Natur für Ihre Geschichte?

Atef: (schaut sich das Bild auf einem Foto an) Ja wirklich, Vicky Krieps sieht Ophelia wirklich ähnlich! Vielleicht ist es eine zu einfache Sichtweise, aber für mich bedeutet Natur Inspiration. Wenn ich Ideen, Inspiration brauche, gehe ich Spazieren. Daher war das Drehen in Norwegen so eindrucksvoll mit diesen Bergen. Meine Mutter stammt aus dem Jura in Frankreich, dort gibt es auch viele Berge.

Für Hélène ist es so, dass hat neulich auch Vicky Krieps unterstrichen, dass sie hier zum ersten Mal spürt, wo sie die letzte Zeit ihres Lebens verbringen möchte, als sie in Norwegen ins eiskalte Wasser steigt. Dort fühlt sie sich zum ersten Mal wieder im Reinen. Sie ist wieder Eins mit sich selbst. Die Natur in Norwegen und der Charakter des Norwegers – gespielt von Bjørn Floberg – geben ihr diese Möglichkeit, sich selbst zu finden. In Norwegen ist alles so eindrücklich, so extrem. Diese Abwesenheit von Dunkelheit im Sommer, dieses grelle Licht, diese hohen Berge und die eiskalten Fjorde. Das ist nicht so lieblich wie vielleicht die Provence. Man spürt dort als Mensch, wie klein und unbedeutend man ist, weil es der Natur egal ist, ob man stirbt oder nicht. Das macht es leichter für Hélène, loszulassen. Jeder und jede soll das Recht haben zu wählen, wie sie ihre letzten Tage verbringen.

Nun ist Hauptdarsteller Gaspard Ulliel Anfang 2022 überraschend ums Leben gekommen. Was für ein Schauspieler war er für Sie?

Atef: Er hatte eine sehr intellektuelle Herangehensweise an seine Arbeit. Er hat sehr lange über seine Figuren nachgedacht. Vicky Krieps hat ihn für die Rolle vorgeschlagen. Zum Casting kam er mit eine Menge Ideen und Vorschlägen für seine Figur. Er war so intelligent und tiefgründig und bescheiden. In Frankreich war er sehr berühmt. Es war wunderbar, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er war zum Beispiel den ganzen Dreh in Norwegen dabei, obwohl er eigentlich kaum Drehtage mit uns hatte. Er war so glücklich dort.

Das Gespräch führte Patricia Batlle, NDR Kultur

Weitere Informationen
Ruben Östlund mit seiner Goldenen Palme für  "Triangle of Sadness" in Cannes - © Joel C Ryan/Invision/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Joel C Ryan

Hamburger Hoffnung "Triangle of Sadness" holt Goldene Palme

Der Schwede Ruben Östlund hat die 75. Goldene Palme von Cannes für seine Sozialsatire erhalten - in der viel Hamburg steckt. mehr

Emily Atefs Film "Plus que Jamais" mit Vicky Krieps und Gaspar Ulliel © FDCannes / Pandora Film

Hamburger Hoffnungen beim Filmfest Cannes

Mehrere norddeutsch koproduzierte Filme laufen beim Festival, etwa "Plus que jamais", ein Drama der Regisseurin Emily Atef. mehr

Vicky Krieps raucht als Kaiserin Elisabeth (Sissi) im Kinofilm "Corsage" von Marie Kreuzer © Ricardo Vaz Palma / Alamode Film Foto: Ricardo Vaz Palma

Vicky Krieps über "Corsage" und Hannover als Stadt der Sehnsucht

Die Luxemburgerin hat mit Größen des Kinos gespielt. Krieps über ihre Rolle als Kaiserin Elisabeth im Drama "Corsage" und ihre Liebe für Hannover. mehr

Ruben Östlund freut sich mit seiner Goldenen Palme für "Triangle of Sadness" in Cannes. © Vianney Le Caer/Invision/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Vianney Le Caer

Ruben Östlund über seine "wilde Achterbahnfahrt für Erwachsene"

Sein Cannes-Siegerfilm "Triangle of Sadness", in dem viel Hamburg steckt, sei intellektuell - und sehr verrückt, sagt der Schwede. mehr

Die US-Regisseurin und Drehbuchautorin Kelly Reichardt - 2019 war sie Mitglied der Jury des Wettbewerbs in Cannes, 2022 nimmt sie mit ihrem Film "Showing Up" daran teil © IMAGO / Starface

Frau - Macht - Kunst: Bestandsaufnahme vor dem Filmfest in Cannes

Letztes Jahr haben Frauen die größten Filmpreise weltweit abgeräumt, nur fünf zeigen ab Dienstag ihre Filme in Cannes. Es bleibt viel zu tun. mehr

Ruben Östlund freut sich mit seiner Goldenen Palme für "Triangle of Sadness" in Cannes. © Vianney Le Caer/Invision/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Vianney Le Caer
2 Min

Cannes: Regisseur Östlund über seine Achterbahnfahrt für Erwachsene

Sein Cannes-Wettbewerbsfilm "Triangle of Sadness", in dem viel Hamburg steckt, sei intellektuell - und sehr verrückt, sagt der Schwede. 2 Min

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 23.05.2022 | 16:05 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Spielfilm

Filmfestival

Eine junge Frau sitzt auf einem Bett, zwei Männer sitzen am Bettrand neben ihr und lächeln (Szene aus "Challengers" von Luca Gadagnino mit Zendaya) © Niko Tavernise / 2023 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc.  All Rights Reserved. Foto: Niko Tavernise

Filme 2024: Diese Highlights kommen ins Kino

2024 locken Blockbuster wie "Alles steht Kopf 2" und "Gladiator 2" ins Kino. Auch von Nora Fingscheidt, Moritz Bleibtreu und vom "Joker" gibt's Neues. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Drei Menschen stehen auf der Bühne der NDB Ahrensburg im Stück "De Siedenspringer". © NDR

Theaterfestival op Platt: Zehn Bühnen aus Schleswig-Holstein dabei

Von Flensburg bis Elmshorn, von Rendsburg bis Lübeck: Erstmals spielen alle Ensembles an ihren Heimatbühnen und nicht im Freilichmuseum Molfsee. mehr