Dieter Kosslick über Stars und Corona als Chance fürs Kino
18 Jahre lang - bis 2019 - war Dieter Kosslick Chef der Berlinale. Jetzt hat er eine Autobiografie geschrieben. Ein Gespräch über Stars wie Clint Eastwood und Meryl Streep und über die Zukunft des Kinos.
Dieter Kosslick kann stundenlang Geschichten erzählen und brennt für das Kino, dem er nach der Corona-Pandemie ein großes Comeback vorhersagt. In seiner neu erschienenen Autobiografie "Immer auf dem Teppich bleiben - Von magischen Momenten und der Zukunft des Kinos" erfährt man viel über seine Zeit als Chef der Berlinale. Zum Beispiel über Blumen von der Tankstelle für Meryl Streep, oder einer zufälligen Begegnung mit Clint Eastwood. Viele der Stars hat er über den roten Teppich geführt und dabei vor der Menge geschützt - oft auf unkonventionelle Weise.
Normalerweise würde die Berlinale demnächst beginnen. In diesem Jahr ist natürlich auch das anders. Wann waren Sie das letzte Mal im Kino?
Dieter Kosslick: Ich weiß gar nicht, wie lange das her ist. Wir waren nur noch zu sechst am Sonntagabend im Kant-Kino in Charlottenburg, da war schon der leichte Lockdown. Es war ein Dokumentarfilm über die Geschichte von Dr. Ruth, der berühmten deutschstämmigen Jüdin Ruth Westheimer, die die Sex-Therapeutin von ganz Amerika wurde.
Haben Sie schon "Entzugserscheinungen"?
Kosslick: Es ist ganz komisch. Es geht mir wie vielen Leuten - man merkt, dass einem etwas fehlt. Es wird so oft über Wirtschaft geredet und das Impfen. Bei jeder Nachrichtensendung werden Hunderte von Menschen gepiekst. In Wahrheit fehlt uns aber Kultur. Es fehlt uns Kultur im Allgemeinen und natürlich auch die Kino-, die Filmkultur. Das sind Entzugserscheinungen anderer Art. Ich glaube, wir lernen jetzt, was Kultur wirklich bedeutet.
Sie schreiben, wer das Glück hatte, im Leben Festival-Direktor gewesen zu sein, der hatte einen der schönsten Jobs der Welt. War das mit ein Grund, jetzt alles aufzuschreiben?
Kosslick: Ich bin gefragt worden, ob ich eine Autobiografie schreibe, über alles, was ich dort erlebe. Wie läuft das in Hollywood? Geht er mit Nicole Kidman Kaffeetrinken oder betrinkt man sich an der Bar mit George Clooney? Als es dem Ende zuging, wurde es konkret, der Verlag hat mich noch einmal gefragt. Eine der Schwierigkeiten war: 300 Seiten Dieter Kosslick, das mag interessant sein, auch für meine Verwandtschaft. Aber man muss auch die Geschichten unterbringen. Und Filmpolitik habe ich auch immer gemacht, schon als ich 1983 in Hamburg beim Filmbüro angefangen habe. Ich wollte alle Aspekte in einem Buch unterbringen.
Man erfährt in dem Buch eine Menge. Trotzdem ist es so, dass Sie die Schlüssellochperspektive nicht wirklich einnehmen, oder?
Kosslick: Nee, ich bin nicht der Sarrazin des Filmbusiness. Ich bin kein Mensch, der andere bloßstellt. Ich wollte nicht so ein Buch schreiben.
Gab es eine Begegnung, die Sie besonders beeindruckt hat?
Kosslick: Es gab viele Begegnungen, die mich beeindruckt haben, es sind ja 35 Jahre Film. In dem Buch habe ich beispielsweise nur über die Jury-Präsidentinnen geschrieben. Das waren für mich sehr eindrucksvolle Frauen. Mit jeder hatte ich interessante Gespräche, bevor wir uns auf dem roten Teppich getroffen haben. Und natürlich ist es eindrucksvoll, mit Meryl Streep, Juliette Binoche oder Charlotte Rampling zu reden - über das Filmgeschäft, aber auch über Privates. Das sind ganz große Künstlerinnen, die uns auf der Leinwand verzaubern.
Sie sind jetzt seit zwei Jahren nicht mehr bei der Berlinale. Sind Ihre Kontakte alle weg?

Kosslick: Die Kontakte sind nicht alle weg. Aber sie werden natürlich nicht mehr so genutzt. Wir haben gerade etwas gegen die Abholzung des Regenwaldes gemacht, da war ich wieder mit Juliette Binoche in Kontakt. Ich bin nicht jemand, der den ganzen Tag telefoniert, um meine Kontakte warm zu halten. Das war auch nicht so, als ich Direktor war. Ich bin nicht der Mensch, der in eine Stadt kommt, nach Hongkong, Los Angeles oder New York, und als allererstes Meryl Streep anruft und sagt "Ach, du, Berlin war doch schön. Können wir uns heute Nachmittag mal treffen?". Das habe ich nie gemacht. Da habe ich immer die Distanz gewahrt.
Hat es Ihnen manchmal geholfen hat, dass Sie so oft auf Distanz geblieben sind?
Kosslick: Wenn man sich getroffen hat, konnte ich auch eine große Nähe herstellen. Die Leute fühlten sich dann wohl und geborgen. Denn sie sind ja im Circus Maximus, wenn sie auf dem roten Teppich stehen. Da konnten sie mir vertrauen. Ich habe das so gemacht, dass sie nicht zu nervös wurden. Wie zum Beispiel bei Gérard Depardieu, der auf dem roten Teppich beim Schreien der Fans einen Schwächeanfall bekommt.
Dieser Mann?
Kosslick: Ja, dieser große Obelix ist einfach scheu. Viele dieser Stars sind einfach scheu, wenn sie nicht auf der Bühne stehen. Das ist dann nicht so einfach, wenn sie auf so einen roten Teppich gehen, und da schreien Tausende von Leuten: "Ey Gérard! Guck mal hier, guck mal da hin!" Da geht es eigentlich nur darum, dass sie ein Foto wollen, dass er sie anguckt. Und einmal habe ich den Fotografen gesagt, "wenn ihr jetzt ein Superbild haben wollt - einfach ruhig sein!" Von einer Sekunde auf die andere war er der liebenswürdigste Gerard Depardieu, den man sich vorstellen kann. Er konnte diesen Rummel einfach nicht ab.
Sie waren der erste, der Meryl Streep Blumen von der Tankstelle geschenkt hat. Hatten Sie je Angst vor Peinlichkeit?
Kosslick: Nein. Dass die Blumen von der Tankstelle waren - das war zum einen daran zu erkennen, dass sie so aussahen, und zum anderen noch in Zellophan eingewickelt waren. Davon gibt es genügend Fotos. Als ich beim Hochrennen auf die Bühne einem Fan in der ersten Reihe abgenommen die Blumen abgenommen hatte, weil ich nämlich keine hatte für sie hatte, da war mir das überhaupt nicht peinlich. Meryl Streep hat es mit Fassung getragen, und dieses Foto hat unsere Freundschaft am Schluss auf eine andere Ebene gebracht, weil sie es erzählt hat. Dieser Satz "I never got flowers from a gazoline station", das ist einfach eine schöne Geschichte.
Haben Sie letztes Jahr die Berlinale besucht? Das war das erste Jahr ohne Sie.
Kosslick. Nein, ich habe meine jährliche Fastenkur in Bayern vorgezogen.
Sie widmen das Schlusskapitel in Ihrem Buch der Zukunft des Kinos. Sie kommen zur Aussage "die Corona-Krise kann das Kino retten". Das klang für mich ziemlich überraschend...
Kosslick: Das ist auch überraschend und man muss schon weiterlesen, weil sonst sagen alle, dem ist die Tinte ausgegangen. So, wie die Corona-Krise vieles retten könnte, wenn man die Zeit nutzt, darüber nachzudenken, wie es in Zukunft anders sein sollte. Es ist kein Geheimnis und ich bin nicht der einzige, der sagt, dass etwas schiefläuft in unserer Welt. Und zwar im Großen und im Kleinen.
Ob das nun die Flüchtlingsströme sind, ob es die Pandemie ist, die ja auch bestimmte Gründe hat. So etwas fällt nicht vom Himmel. Alles einfach auf einen Impfvorgang zu reduzieren, ist sowieso eine völlig falsche Sache. Impfen ist das eine, aber man muss auch ganz anders leben. Es muss eine ganz andere Tierhaltung eben. Die Natur muss wieder geachtet werden. Es müssen bei uns völlig neue Systeme eingeführt werden, andere ökologische Kreisläufe.
Diese Wachstumskreisläufe, wo wir alle zehn Jahre mit Milliarden von Steuergeldern die Banken retten müssen, das ist doch absurd! Das kann doch nicht so weitergehen. Das gilt natürlich auch für den Film- und Kinobereich. Und wenn wir eine andere Welt haben wollen oder eine neue Welt, dann sollten wir jetzt diese Zeit nutzen, um mal darüber nachdenken, was für alternative Konzepte es gibt. Es gibt ganz, ganz viele alternative Konzepte.
Welchen Beitrag genau soll aus Ihrer Sicht das Kino leisten? Vor allem grün produzieren? Oder sollten Geschichten erzählt werden, um die Stimmung verändern?
Kosslick: Das wäre schön. Aber das kann man den Künstlern nicht aufoktroyieren. Das Filmförderungsgesetz ist gerade novelliert worden und tritt in einem Jahr in Kraft. Man kann sagen, es soll ökologischer produziert werden, mit weniger Schadstoffemissionen. Aber man kann nicht sagen, im Rahmen der Kunstfreiheit, "bitte, erzähl uns doch mal eine Geschichte, wie Herr Habeck mit seinem Segelboot über die Ostsee, und so weiter und so fort, der ist ja auch grün". Das geht nicht.
Aber dass man ganz anders produzieren kann, dass man nicht dauernd durch die Welt fliegt, dass der ganze Tross bei Filmfestivals nicht alle 14 Tage woanders hingeht, was oft auch mit Steuergeld finanziert wird. Es gibt zu allem immer eine Alternative. Ich glaube, die Zukunft ist die Welt der Alternativen. Aber nicht die, die wir bisher gelebt haben.
Und Sie glauben, dass wir alle wieder viel ins Kino gehen werden?
Kosslick: Davon bin ich überzeugt. Denn dieser Verlust ist wirklich spürbar. Da sehe ich die große Renaissance oder das große Comeback des Kinos vor mir. Ich bin wirklich überzeugt, das ist nicht Pfeifen im Walde, was ich hier mache. Sondern ich bin überzeugt, dass das Kino uns wieder zusammenbringen wird und dass wir weinen und lachen. Und dass wir dann anschließend zum Essen gehen und dass wir letztendlich glücklicher sind, als wir es im Moment sind.
Das Gespräch führte NDR Kultur Moderatorin Katja Weise.
