80 Jahre Kriegsende: "Der Überläufer" - Lenz-Roman in ARD-Mediathek
"Der Überläufer" - Die Siegfried-Lenz-Romanadaption wurde 2020 vom NDR in zwei Teilen von Florian Gallenberger verfilmt. Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes sind beide Teile mit Jannis Niewöhner in der ARD-Mediathek zu finden.
Nach dem Tod von Siegfried Lenz im Jahr 2014 fand sich in seinem Nachlass ein Manuskript aus dem Jahr 1951: Die Geschichte eines jungen Wehrmachtsoldaten, der die Fronten wechselt. 2015 wurde "Der Überläufer" posthum veröffentlicht. Regisseur Florian Gallenberger verfilmte den Bestseller 2020 im Auftrag des NDR als Zweiteiler. In der ARD-Mediathek ist er noch bis zum 26. April 2026 zu sehen (FSK 12).
Siegfried Lenz: Roman "Der Überläufer" posthum veröffentlicht

Wahrscheinlich erschien in den 50er-Jahren den Verantwortlichen das Manuskript von Siegfried Lenz zu heikel. Deutschland lag in Trümmern: Wer wollte sich da mit der eigenen Schuld beschäftigen? Im Übrigen betrachteten viele Bundesbürger Wehrmachts-Deserteure Anfang der 50er-Jahre noch immer als Verräter. So kam es, dass "Der Überläufer" in der Schublade verschwand und erst zwei Jahre nach dem Tod von Siegfried Lenz veröffentlicht wurde.
Die Geschichte spielt am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der junge Walter Proska (Jannis Niewöhner) wird noch an die Ostfront geschickt. Bei einem Halt auf der Eisenbahnstrecke bittet eine Polin den Befehlshaber: "Herr Soldat, kann ich mitfahren?" Er entgegnet: "Das ist ein Wehrmachtszug, hier haben Sie nichts verloren. Verschwinden Sie, los!"
Wehrmachtssoldat hilft Partisanin
Heimlich hilft Walter der jungen Frau (Malgorzata Mikolajczak als Wanda Zielinski) in den Waggon. Auf der Fahrt kommen die beiden sich näher. Erst im Nachhinein wird ihm klar, dass er sich in eine Partisanin verliebt hat. Walter ruft: "Du wolltest den Zug in die Luft jagen!" Seinen Tod hätte sie billigend in Kauf genommen. Sie entgegnet: "Als ich eingestiegen bin, wusste ich nicht, dass du in dem Zug bist. Als du ausgestiegen bist, schon."
Aber Walter muss weiter, an die Front. Dort wird er der Truppe von Korporal Stehauf zugeteilt. Er ist ein skrupelloser Sadist: Als die Soldaten im Wald einen polnischen Priester aufgreifen, quält der Unteroffizier den Geistlichen und schießt ihm schließlich ohne jeden Grund in den Rücken.
Mord an Geistlichem bringt Fass zum Überlaufen
Für Wolfgang Kürschner, einen von Walters feinfühligeren Kameraden, bringt der Mord das Fass zum Überlaufen: "Wer ist denn das Deutschland, von dem er immer redet? Wir sind doch auch Deutschland! Nicht nur er und die Clique. Wir müssen's doch besser machen. Wo willst du denn hin? Du läufst den Partisanen direkt in die Arme".
Wolfgang läuft zu den Russen über. Später wird auch Walter die Seiten wechseln. Er muss jedoch feststellen, dass in der Sowjetischen Besatzungszone wenig zu spüren ist von der Gleichheit und Gerechtigkeit, die der Sozialismus den Menschen verspricht. Und so kehrt Walter ein weiteres Mal einem totalitären System den Rücken.
Florian Gallenberger: "Protagonist ist hochaktuelle Figur"
Für Regisseur Florian Gallenberger ist der Protagonist des Lenz-Romans eine hochaktuelle Figur: "In einer Zeit, wo jetzt wieder einfache Phrasen und sehr einfache Rezepte für eine immer komplexer werdende Welt angeboten werden, finde ich eine Figur, die hinterfragt, wertvoll und wichtig." Das Buch enthalte "moralische Fragen, die nie die Aktualität verlieren und deswegen heute genauso gültig sind, wie damals", so Gallenberger.
"Der Überläufer": Verfilmung nicht eng an Roman angelegt
Die ersten 90 Minuten des Zweiteilers, betont der Regisseur, halten sich eng an die Vorlage von Siegried Lenz. Danach entferne sich die Verfilmung dann immer mehr vom Roman, was die Figuren und Geschehnisse anbelange. "Die sind wirklich sehr frei", sagt Gallenberger.
Tatsächlich blieb den Drehbuchautoren nichts anderes übrig, als die Geschichte weiter zu spinnen, sagt Lenz-Herausgeber und frühere Lektor Günter Berg: "Es gibt tatsächlich - und das ist der Entstehungsgeschichte des Romans geschuldet - ein paar lose Enden."
Aus eindimensionaler Wanda wird komplexe Frauenfigur
Lenz hat das Manuskript aus dem Jahr 1951 nie zu Ende durchgearbeitet. Bevor er Ungereimtheiten korrigieren und Fehlstellen ergänzen konnte, kam die Ablehnung des Verlags. Der Roman verschwand unlektoriert in der Schublade. "Man fragt sich, warum die Partisanin Wanda verschwindet. Dass das Drehbuch versucht, diesen Strang der Geschichte weiter zu erzählen, halte ich für legitim", so Berg.
Der Film macht aus der eindimensionalen Wanda eine komplexe Frauenfigur. Auch andere lose Fäden verweben die Drehbuchautoren zu neuen Handlungssträngen. Siegfried Lenz sei für solche Veränderungen immer offen gewesen, sagt Berg. Anders als viele Schriftsteller habe er gewusst, dass eine buchstabengetreue Verfilmung keinem Roman guttut.
