"All ünner een Dannenboom": Witziges Weihnachtsstück mit Tiefgang
Mit der Komödie "All ünner een Dannenboom" ist das Hamburger Ohnsorg-Theater in die Vorweihnachtszeit gestartet. Für die plattdeutsche Bühnenversion von Lo Malinkes Filmkomödie gab es viel Applaus.
Kurzschluss im Weihnachtsbaum! Als die olle Lichterkette ihren Geist aufgibt, qualmt die Tanne. Da gibt es nichts mehr zu reparieren. Ganz klar: Dieses Weihnachten steht unter Strom.
Komplizierte Familienverhältnisse in "All ünner een Dannenboom"
Der Zahnarzt Robert (herrlich grantelnd und wie immer brillant gespielt von Till Huster) und seine Frau, die Familientherapeutin Eli (ebenso großartig: Meike Meiners) sind seit drei Jahren geschieden. Sie haben sich aber bislang noch nicht getraut, ihren drei erwachsenen Kindern davon zu erzählen. Er ist mit seiner Sprechstundenhilfe Chrissi (Caroline Kiesewetter) liiert, sie hat sich ihren deutlich jüngeren Motorradfahrlehrer Micha (Flavio Kiener) geangelt. Sie versuchen, so Weihnachten zu feiern, als sei nichts geschehen. Dazu müssten die beiden neuen Partner eigentlich wieder über Weihnachten verschwinden.
Richtig gutes Ohnsorg-Material auf der Hamburger Bühne
Das macht die erfrischend unkomplizierte, grundehrliche und immer den entscheidenden Tick zu laute Sprechstundenhilfe Chrissi diesmal aber nicht mit und steht plötzlich mit Koffer und Kuchen in der Familienwohnung und will bleiben.
Kiesewetter spielt das anarchische freie Radikal zum Liebhaben unwiderstehlich. Auch Motorrad-Lover Micha bleibt, und es kommt zu Verwechselungen, immer verworreneren Lügen und sogar einer falschen Verlobung, nur um das Märchen von der perfekten Ehe am Weihnachtsabend aufrechtzuerhalten.
Meike Meiners und Oskar Ketelhut hatten dem Theater die Geschichte als Bühnenversion vorgeschlagen, und tatsächlich: Das Stück ist richtig gutes Ohnsorg-Material.
Schräger stummer Schwager
Denn es stellt sich heraus: Jeder in der Familie hat ein Geheimnis. Der schwule Sohn Tobias (Cem Lukas Yeginer, Sohn des Regisseurs, nach "Dat Frolleinwunder" wieder mit musikalisch-frecher Rolle) hat sein Musikstudium längst geschmissen und verdient sein Geld mit Werbespots für Damenbinden.
Lara-Maria Wichels spielt die junge schwangere Leonie, die nicht weiß, wer genau der Vater des Kindes ist, herrlich zwischen Wahnsinn, Verzweiflung und Keckheit. Die spießige Susanna bevormundet ihren Mann Heiner, den bankrotten Autohändler. Der ist weitgehend stumm, skandiert nur mal bei "Jingle Bells" ein "Hey!", bevor ausgerechnet er am Ende die Wahrheitslawine ins Rollen bringt. Colin Hausberg ist mit seinen runtergezogenen, sprachlosen Mundwinkeln und dem unbeeindruckbaren, eingefrorenen Gesicht ein herrlicher schräger Running Gag.
Wie beim letzten Abendmahl
Der Oberspielleiter Murat Yeginer inszeniert die Komödie mit Tempo und Timing. Wenn alle gemeinsam mit dem Publikum "Leise rieselt der Schnee" auf Plattdeutsch singen, wird’s auch ein bisschen besinnlich.
Die wieder großartige Bühne von Beate Zoff ist ein Weihnachtszimmer aus Rot und Grün. Die Mischpoke sitzt zum Abendessen wie bei Leonardo da Vincis letztem Abendmahl an einer langen Tafel. Dann geschieht wie im biblischen Original der Verrat. In diesem Fall der der Familiengeheimnisse. Am Ende dreht sich die Bühne noch einmal komplett für den Showdown im Schnee vor einem Chinarestaurant. Da ist wieder so viel Thermik auf so wenig Ohnsorg-Quadrametern: Das ist wirklich große Kulissen-Kunst.
Requisiten wie von angeschickerten Designern
Die Requisiteurinnen konnten sich so richtig austoben. Das Ohnsorg hat offenbar einen riesigen Fundus an überdosierten Weihnachts-Acessoires: Pullis mit Rentiernasen, blinkende Christbaumhüte, Ohrringe in allen grün-roten Varianten und Glühweintassen wie von einem Designer im Lumumba-Rausch entworfen. Es ist ein großer Spaß, die vielen Details auf der Bühne zu entdecken.
Meike Meiners feiert 25-jähriges Bühnenjubiläum
Bei allem Witz hat der Abend aber einen ernsten Kern: Meike Meiners als Mutter Elli, die in ihrem Beratungs-Bestseller Wahrheit gegenüber der Familie einfordert und gerade dazu selbst nicht in der Lage ist, steht am Ende von allen verlassen allein in der Wohnung. Und es ist wirklich Kloß-im-Hals-berührend, wenn es dann aus ihr herausbricht, die letzte souveräne Fassade bröckelt und sie ungeschminkt über die Angst vorm Älterwerden spricht.
Der Monolog von Meike Meiners, die in diesen Tagen ihr 25-jähriges Jubiläum als festes Mitglied des Ohnsorg-Ensembles feiert, ist der stärkste Moment eines starken Abends. Man fragt sich sofort: Wie ist das bei mir? Wieviel Wahrheit und wieviel Lüge stecken denn unter unserem Familien-Weihnachtsbaum?
"All ünner een Dannenboom" ist ein spritziges, auch am Ende nie seichtes Patchwork-Weihnachten mit Tempo und Tiefgang: Witzig, dramatisch und besinnlich. Danach hat man richtig neue Lust aufs Familienweihnachten.
"All ünner een Dannenboom": Witziges Weihnachtsstück mit Tiefgang
Die Premiere der plattdeutschen Weihnachtskomödie erntete mit Running Gags und Familiengeheimnissen am Sonntag in Hamburg viel Jubel.
- Art:
- Bühne
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Ohnsorg Theater
Heidi-Kabel-Platz 1
20099 Hamburg