Cover von "Die Natur hat Recht" von Elisabeth Weydt © Knesebeck

"Die Natur hat Recht": Wenn die Natur zum Rechtssubjekt wird

Stand: 29.11.2023 14:24 Uhr

In ihrem Buch "Die Natur hat Recht" spricht die Journalistin Elisabeth Weydt über mögliche radikale wie zukunftsweisende Lösungsmöglichkeiten, um den ökologischen Kollaps noch zu verhindern.

Frau Weydt, Sie geben in "Die Natur hat Recht" Beispiele für ein radikales Umdenken im Miteinander von Mensch und Natur. Untertitel: "Wenn Tiere, Wälder und Flüsse vor Gericht ziehen". Letzteres klingt für manche sicher wie ein uraltes ganzheitliches Märchen indigener Völker oder nach Weltengericht. Aber Sie meinen das durchaus im Wortsinn. Wie können denn Tiere, Wälder oder Flüsse vor Gericht ziehen?

Elisabeth Weydt: Da die Gerichte ja menschliche Institutionen sind, brauchen sie durchaus einen Menschen dafür, der im Namen dieser Wälder vor Gericht zieht. In Ecuador, wo die ganze Natur als Rechtssubjekt anerkannt worden ist, kann einfach jeder Mensch im Namen der Natur vor die Gerichte ziehen. In Deutschland können das nur Institutionen machen oder findige Anwälte. Aber da in Ecuador ganze Ökosysteme als Rechtspersonen anerkannt sind, haben sie dort viel mehr Rechte und Möglichkeiten, dass sie geschützt werden.

Zum Beispiel der langnasige Harlekinfrosch: Der hat Klage erhoben, eine ausgestorben geglaubte und dann wiederentdeckte Art. Dann wäre, könnte man sagen, im Fall von Stuttgart21 der Juchtenkäfer vor Gericht gezogen, in Hamburg der Wachtelkönig und in Dresden die Fledermausart bei der Waldschlößchenbrücke - die Kleine Hufeisennase. Alles Tiere, die große Bauvorhaben wenn schon nicht ganz verhindert, dann doch zumindest erschwert haben.

Elisabeth Weydt © NDR Foto: Christian Spielmann
Elisabeth Weydt ist Journalistin. Ihre Geschichten drehen sich oft um das Leid in Lieferketten, um unterschiedliche Weltbilder und um die transformative Kraft der Zivilgesellschaft.

Weydt: Und schöne Namen besitzen! Aber es geht bei der Natur als Rechtsperson gar nicht um die einzelnen Frösche und Tiere, sondern es geht um ein Verständnis, dass wir die Natur als großes ganzes Ökosystem sehen, von dem wir selber auch Teil sind. Dann bedeutet die Natur als Rechtspersonen, dass diese Ökosysteme nicht unwiederbringlich zerstört werden dürfen. Man darf weiterhin Tiere töten, um sie zu essen. Man darf weiterhin Bäume fällen, um irgendwas damit zu machen. Aber man darf Wälder nicht so weit ausbeuten, dass sie nicht mehr nachwachsen können.

Der Gedanke ist also: Die Natur kann sich nach unseren Maßstäben nicht selbst vertreten, auch wenn sie am Ende immer die stärkere sein wird. Fürsprecher der Natur gibt es jede Menge, aber wer würde im konkreten Fall die Interessen und Belange der Natur vertreten?

Weydt: In Ecuador kann einfach jeder Mensch vor Gericht ziehen. In Deutschland kann man natürlich auch die Natur verteidigen, aber da braucht es Institutionen, die vor Gericht ziehen.

In Hamburg und Bayern setzt sich eine Initiative zur Zeit für so etwas ein, aber ansonsten ist das ein relativ unbespieltes Terrain. Gibt es schon Rechtsprechungen zugunsten oder auch gegen die Natur?

Weydt: Das ist ein Feld, das immer größer wird und immer mehr Aufmerksamkeit findet. Es gibt weltweit aktuell um die 400 Initiativen, die sich für die Rechte der Natur einsetzen. Es sind weltweit auch schon einzelne Ökosysteme als Rechtspersonen anerkannt worden. Der erste Fluss war zum Beispiel in Neuseeland der Whanganui River. Es gibt andere Flüsse in anderen Ländern, die Rechtspersonen wurden. In Europa gibt es das Mar Menor. Das ist eine Salzwasserlagune in Spanien, die zu Rechtspersonen erklärt wurde.

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Ist diese Position in irgendeiner Art bei der Weltklimakonferenz vertreten, dieser Gedanke, dass Natur auch eine juristische Person seien kann?

Weydt: Ob das auf der Tagesordnung steht, kann ich gar nicht so genau sagen. Ich weiß aber, dass Leute aus Ecuador dort sein werden, die das leben, die aus dem Amazonas kommen. Sarayacu heißt die Gemeinschaft, die - schon lange bevor Ecuador die Natur zur Rechtsperson erklärt hat - im Einklang mit der Natur und ihrem Wald gelebt haben. Sie sehen sich selbst eher als Schützer und Guardians dieser Natur, als dass sie sich daran bedienen. Die waren sogar schon 2015 auf der Weltklimakonferenz und hatten ihren Vorschlag dabei und auch auf dem Tisch, aber die großen Politiker wollten ihren Vorschlag nicht hören. Vielleicht hören sie ja diesmal zu.

Wie realistisch schätzen Sie die Chance ein, dass Natur in Zukunft mit einer Flut von Klagen die Gerichte beschäftigen könnte?

Weydt: Sehr groß. Gestern gab es zum Beispiel ein großes Urteil in Panama. Da gibt es gar nicht die Rechte auf Verfassungsrang. Aber da haben die Menschen mit der Verfassung und den Gesetzen, die sie so haben, es geschafft, eine der größten Kupferminen der Welt zu verbieten. Und da muss das Unternehmen jetzt auch das Land verlassen.

Das Gespräch führte Philipp Cavert.

Die Natur hat Recht

von Elisabeth Weydt
Seitenzahl:
288 Seiten
Genre:
Sachbuch
Verlag:
Knesebeck
Bestellnummer:
978-3-95728-723-6
Preis:
20 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 29.11.2023 | 16:30 Uhr

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