Jemand hält ein englischsprachiges Buch in der Hand. "Cloud Money" von Brett Scott. © Screenshot

Weg vom Bargeld - hin zum komplett digitalen Geld

Stand: 10.10.2022 09:31 Uhr

Die Geldentwicklung geht immer mehr Richtung Digitalisierung. Der Journalist, Aktivist und ehemalige Broker Brett Scott beobachtet diesen schleichenden Prozess mit großer Sorge.

"Es wird oft so getan, als handele es sich bei der Digitalisierung des Geldes um einen 'Bottom-up-Prozess', bei dem gewöhnliche Menschen den Wandel 'Weg vom Bargeld' vorantreiben", sagt Brett Scott. "In Wirklichkeit hat es aber überall auf der Welt einen Druck von 'Oben nach unten" gegeben, einen richtigen 'Krieg gegen das Bargeld'. Es sind mächtige Akteure, die die Gesellschaft beeinflussen und massiv gegen das Bargeldsystem vorgehen."

Große Banken, Finanzkonzerne und Regierungen arbeiten weltweit daran, das Bargeld abzuschaffen, warnt Scott. Für Banken seien einzelne Kunden oft lästig und viel zu arbeitsaufwändig, "Automatisierung" bringt Profit. In "Cloud Money" schreibt Brett Scott eindrücklich mit welchen Mitteln dies geschieht. Und was das für Folgen hat: "Unternehmen wie Visa führen Propagandakampagnen gegen Bargeld. Oder Banken schließen einfach Filialen, was es für Geschäfte schwieriger macht, Bargeld einzuzahlen. Wenn man diese Infrastruktur schließt, drängt man die Menschen mehr und mehr vom Bargeld weg."

Digitales Geld produziert gläsernen Menschen

Im Alltag zahlt er am liebsten bar. Vorausgesetzt es geht. Das klappt nicht immer, wie an diesem Automat: "Der Apparat zwingt mich jetzt, meine Kreditkarte zu benutzen. Und jetzt werden Informationen zu meiner Bank nach England geschickt. Bevor diese Flasche hier rauskommt, haben die all meine Daten und die lieben das. Jetzt ist ein Dritter im Spiel, der beobachtet, was ich hier mache."

Brett Scott ist kein Verschwörungstheoretiker, er benutzt auch Karten und Apps. Aber: Er will die Wahl behalten, denn digitale Zahlungssysteme gehören privaten Konzernen und die wollen den gläsernen Menschen, sagt er: "Wenn man vom Bargeld weg geht und hin zu digitalen Systemen, hinterlässt man natürlich eine riesige Datenspur. Plötzlich sehen diese Institutionen was Sie kaufen, wann, wo und bei wem. Diese Daten sind sehr aussagekräftig. Viele dieser Organisationen tauschen sie sogar untereinander aus. PayPal zum Beispiel teilt Daten mit bis zu 600 verschiedenen Organisationen."

Entstehung ein enormes Überwachungspotenzial

Nicht nur für private Unternehmen sind Daten hochinteressant, auch Staaten können mit ihnen sehr viel anfangen. So schreibt Scott, dass wir uns auf eine Welt zu bewegen, in der die technischen Vorrausetzungen für eine gigantische ökonomische Überwachung gegeben sind. Und die bargeldlose Gesellschaft macht das noch viel einfacher und effektiver. Big Brother is watching you: "Das Hauptrisiko der bargeldlosen Gesellschaft besteht darin, dass man die Kontrolle über das Geldsystem an die großen Finanz- und Internetgiganten abgibt, die diese Systeme kontrollieren. Dadurch entsteht ein enormes Überwachungspotenzial, für Unternehmen und für den Staat. Und das wird zu einem großen Problem, besonders in autoritären Ländern. Plötzlich kann man die Menschen auch so beobachten. Außerdem kann man diese Zahlungssysteme dafür nutzen, um Menschen auszugrenzen und ihr Verhalten zu kontrollieren."

Welche Auswirkungen das haben kann, zeigt bereits China. Der chinesische Staat baut gerade sein System der digitalen Überwachung weiter aus - auch mit Hilfe von persönlichen Einkaufsdaten. Wer regimetreu ist, bekommt Vorteile, wer nicht funktioniert, wird bestraft.

Abschaffung des Bargeldes trifft vor allem die Arme hart

Die Abschaffung des Bargeldes trifft vor allem die Armen hart. In Indien wurden 2016 über Nacht wichtige Geldnoten abgeschafft, angeblich um Korruption und Schwarzgeldhandel einzudämmen. Die Folge: Verunsicherung und Existenzangst bei den kleinen Händlern, die bis dato nur mit Bargeld arbeiteten. Brett Scott meint: "Für die Banken sind ärmere Menschen nicht sehr profitabel. Und arme Menschen haben oft kein Vertrauen in den Bankensektor. Sie sind der Meinung, dass er von den Eliten der Gesellschaft geführt wird. Wenn man eine Person ist, die die Banken nicht mag, oder eine Person, die von Banken nicht gemocht wird, und man plötzlich gezwungen ist, nur noch digital zu zahlen - dann können diese Personen nicht mehr teilhaben, sind ausgeschlossen."

Vor einiger Zeit zog Brett Scott nach Berlin. Hier kann er fast noch überall mit Bargeld zahlen. Für ihn ist die Lösung einfach: Das Bargeldsystem erhalten. Seitens der Politik und von uns allen. Denn: Bargeld sei inklusiv, sicher und die Privatsphäre schützend.

 

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