Johann Scheerer, erfolgreicher Musikproduzent aus Hamburg, im Interview. © NDR

Spagat zwischen Job und Familie: Johann Scheerer über "Play"

Stand: 08.04.2025 13:06 Uhr

Der Musikproduzent Johann Scheerer kümmert sich um seine Kinder und um seine Rockmusiker gleichermaßen. Darüber schreibt der Autor in seinem Roman "Play". Trotzdem ist es kein autobiografisches Buch.

Hier prallen zwei Welten aufeinander: der Job als Musikproduzent und das Elternsein. David ist Produzent in Berlin - doch in seinem Alltag geht es um weit mehr als Gitarrenriffs und Schlagzeugsounds. Während er im Studio stundenlang an Songs tüftelt, wartet zu Hause seine Familie. Zwischen Babyschlaf, nächtlichen Aufnahmesessions und Künstlern, die ständig seine Aufmerksamkeit fordern, droht immer wieder, die Balance zu kippen.

Den Spagat zwischen Familie und Job kennen ganz viele. Wenn Sie Musikproduzent, aber kein Vater wären, würden wir Sie dann auch um 08.11 Uhr in einem Radiostudio begrüßen dürfen?

Johann Scheerer: Das kann ich nicht beurteilen, aber was ich dazu sagen kann, ist, dass es mir oft begegnet, wenn ich mit Musikerinnen und Musikern arbeite, das es bestimmte Befindlichkeiten gibt, früh anzufangen. Da wollen die Leute immer gerne erst um 23 Uhr anfangen und ihre Gesangstakes einsingen, weil sie vorher nicht singen können. Ich denke, da sind die Musikerinnen und Musiker einem gewachsenen Entertainment Klischee auf den Leim gegangen. Ich glaube, man muss es einfach nur versuchen, morgens um acht einen Take einzusingen. Denn das kann ziemlich gut sein.

Disziplin spielt sowohl in der Familie als auch in Ihrem Beruf eine große Rolle.

Scheerer: Was heißt Disziplin. Vielleicht sollte man ein bisschen das angeblich gelernte Regelwerk missachten.

Sie müssen auf die Rockstars ähnlich aufpassen wie auf Kinder. Das ist in Ihrem Buch ein bisschen herauszulesen. Muss man die auch bemuttern oder betüdeln?

Scheerer: Das ist kein autobiographischer Tatsachenbericht, sondern ich würde sagen, dieses Buch ist im breiten Spektrum des autobiografischen Schreibens angesiedelt. Denn es bereitet alle in mir gewachsenen Ambivalenzen in unterschiedlichen Figuren auf. Ich kann dem Betüdeln von Künstlerinnen und Künstlern schon sehr viel abgewinnen. Ich glaube, dass das ein wichtiger Aspekt in der Musikproduktion ist, dass sich Künstlerinnen und Künstler wohlfühlen. Genauso kann ich die andere Seite der Kunst verstehen, die sagt, sie braucht grenzenlose Freiheit und das Betüdeln.

Es geht in Ihrem Buch um den Rockmusiker, Ian White. Sind seine verschiedenen Eigenschaften welche, die Sie in Ihrem Musikproduzentenleben kennengelernt haben?

Scheerer: Ja, auf jeden Fall. Ian White geht mir in seiner kompromisslosen Art, wie wahrscheinlich der ein oder anderen Leserin oder dem ein oder anderen Leser, auf die Nerven. Aber er hat durchaus einen Punkt, weil er sagt, wie es überhaupt möglich ist, in einer Verwertungsmaschinerie freie Kunst zu machen.

Das ist auch das Spannungsfeld, das ein Musikproduzent hat, der eigentlich für den Kommerz da ist, oder?

Scheerer: Absolut. Das ist etwas, mit dem ich mich - als jemand, der eine Plattenfirma betreibt - tagtäglich auseinandersetzen muss. Wir versuchen in einer Plattenfirma, genauso wie das Galeristen machen, einen Henkel dranzumachen, damit die Leute es raustragen können. Manche Musik oder Kunst ist vielleicht gar nicht dafür da, vom Mainstream verwertet zu werden. Da wird es kompliziert, weil die Künstlerinnen und Künstler weitermachen wollen. Dazu gehört auch der wirtschaftliche Erfolg.

Schon Ihr erstes Buch war sehr autobiografisch geprägt: "Wir sind dann wohl die Angehörigen" über die Entführung ihres Vaters Jan Philipp Reemtsma. Wieviel Therapie oder von der Seeleschreiben ist beim Büchermachen dabei?

Scheerer: Am Schreiben gefällt mir das Alleinsein und das Reflektieren. Das ist was anderes, als mit anderen Leuten Musik zu machen. Das ist eine Kunstform, die mir streckenweise was Anderes gibt. Das Buch "Play" ist sehr dialoglastig. Ich glaube, ich könnte jede Perspektive dieser unterschiedlichen Dialoge in jeder Talkshow dieser Welt zu 100 Prozent vertreten. All meine Ambivalenzen sind eingeflossen, und das ist eine große Empathie-Übung, die da stattfindet. Das ist sehr reinigend.

Bei der Musik sind Sie der Produzent. Wer ist es beim Bücherschreiben? Ist es das Lektorat oder der Verlag, der noch einmal Tipps oder Anweisungen gibt?

Scheerer: Jemanden, der mir Anweisungen gibt, habe ich zum Glück nicht. Das würde ich schwierig finden. Ich finde sogar Tipps schwierig. Ich glaube, ich bin ein sehr empfindlicher Schreiber. Ich empfinde den Schreibprozess als teilweise wirklich große emotionale Belastung, wenn ich das mal so sagen darf. Es ist teilweise quälend. Ich habe jetzt diese drei Bücher, beim Piper-Verlag gemacht, mit dem Lektor Olaf Petersen, der mir tapfer zur Seite gestanden ist.

Jetzt stehen einige Lesungen an. Wird das ein bisschen so sein, wie wenn ein Musiker mit einer neuen Platte auf die Bühne geht?

Scheerer: Ja, ich habe gemerkt, auch wenn Sie von therapeutischen Prozessen beim Schreiben sprechen, ist es vielmehr die Auseinandersetzung bei den Lesungen. Ich liebe Publikumsgespräche. Ich weiß, dass Veranstalterinnen und Veranstalter immer sagen: Machen Sie keine Publikumsgespräche, da kommen immer die dümmsten Fragen. Das stimmt nicht. Da kommen tatsächlich die allerbesten Fragen. Ich war zum Beispiel in Berlin, da war ein acht- oder neunjähriger Junge bei der Lesung. Der hat sich gemeldet und gefragt: "Warum haben Sie das Buch geschrieben?" Die Frage muss man erst mal beantworten.

Warum haben Sie es denn geschrieben?

Scheerer: Dem Jungen habe ich gesagt, dass ich es als eine totale Bereicherung empfinde, über das nachzudenken, was ich den ganzen Tag mache und in der Lage zu sein, in einem Buch Fragen zu stellen, die ich mich selber frage. Das Schöne ist, dass die Figur in dem Buch die Antwortfindung ausleben kann, ohne eine Antwort zu geben. Vielleicht kommt die Antwort ganz von alleine. Dann hat der Junge gesagt, dass er ein kleines Heft auf seinem Nachttisch hat, in das er immer Sachen reinschreibt. Da habe ich ihm gesagt: "Schreib' doch einfach jeden Tag eine Frage auf und ich glaube, wenn du in einem Jahr reinguckst, wirst du merken, die meisten Fragen haben sich von selber geklärt."

Johann Scheerer liest am 16. April in Hamburg im Literaturhaus und am 24. April in Hamburg in der Buchhandlung Wassermann. Am 15. Mai ist er dann zu Gast in Leer, in Ostfriesland.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 07.04.2025 | 08:10 Uhr

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