Osnabrück: Kontroverse um Verleihung des Friedenspreises

Stand: 23.06.2023 00:00 Uhr

Der Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis wird seit 1991 alle zwei Jahre verliehen. Gestern war es wieder so weit: Die Preisträger sind die Russin Ljudmila Ulitzkaja und der Ukrainer Sergiy Maidukov. Aber beim Festakt am Abend hat nur Ulitzkaja teilgenommen.

von Göran Ladewig

Um den Krieg in der Ukraine ist sie nicht herumgekommen. Die Jury des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises um Universitätspräsidentin Susanne Menzel-Riedl hat eine symbolische Kombination versucht: Der Sonderpreis für den ukrainischen Zeichner Sergiy Maidukov und der Hauptpreis für Ljudmila Ulitzkaja, eine "Autorin russischer Staatsbürgerschaft, die im Exil in Berlin lebt, deren Schriften in Russland verboten sind und die sich seit vielen Dekaden regimekritisch in Russland unter Inkaufnahme sehr schwieriger persönlicher Konsequenzen kritisch äußert", erklärt Susanne Menzel-Riedl.

"Herr Maidukov begleitet das Kriegsgeschehen zeichnerisch. Seine Karikaturen und künstlerischen Darstellungen sind sehr eingängig und er ist ein Künstler, der das gesamte Kriegsgeschehen unter einer enorm hohen Produktivität ausdrückt." Mit einem Zeichenstil, der eher bunt als düster daherkommt: Eine Reihe von Panzersperren steht auf einem menschenleeren Platz in Kiew. Ein einsamer Mann fährt auf einer Dorfstraße vorbei an einem zerbombten Militärfahrzeug. Alltagsbeobachtungen aus einer Ukraine im Krieg.

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Ljudmila Ulitzkaja sitzt mit einer Tasse in der Hand an einem Tisch. © Claudia Thaler/dpa Foto: Claudia Thaler

Debatte um Osnabrücker Friedenspreis wegen Preisträgerauswahl

Der Friedenspreises der Stadt Osnabrück geht an die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja, der Sonderpreis an den ukrainischen Zeichner Sergiy Maidukov. Das sorgt für Diskussionen. mehr

Preisverleihung in Abwesenheit von Sergiy Maidukov

"Wir haben natürlich auch Personen aus der Ukraine und aus Russland, die hier in Osnabrück leben und ganz unterschiedliche Perspektiven mitbringen auf diesen Konflikt. Wir werden sehen, wie die Auszeichnungen wahrgenommen werden in den jeweiligen Communities", sagt Menzel-Riedl bei der Bekanntgabe der Preisträger im April. Die Hoffnung damals: eine Russin und ein Ukrainer gemeinsam auf der Bühne. Ein Zeichen des Friedens. Doch daraus wird nichts, denn schon bald schrieb Sergiy Maidukov einen Brief an die Stadt Osnabrück: "Da ich mich um meine Psyche sorge, vermeide ich schwierige Gefühle in diesen Zeiten. Ich habe bisher genug russische Präsenz in meinem Leben, also würde ich nur an einem anderen Tag als der Zeremonie kommen. Es wäre mir eine Ehre, zu kommen und Sie und das Team live zu treffen und mich live zu bedanken."

Remarque und Ljudmila Ulitzkaja: Verbunden im Exil

Ljudmila Ulitzkaja © ELKOST Intl. Literary Agency
Wie auch Erich Maria Remarque seiner Zeit lebt Preisträgerin Ljudmila Ulitzkaja derzeit im Exil.

Mittlerweile ist auch das ungewiss - ganz davon abgesehen, dass Maidukov in Kriegszeiten sein Land wohl sowieso nicht verlassen darf. Doch die Jury steht zu ihrer Entscheidung, sagt Mitglied Sven Jürgensen, Leiter des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums in Osnabrück: "Wir haben dieses Risiko in Kauf genommen, weil wir wussten, dass der Namensgeber dieses Preises eine ähnliche, vielleicht vergleichbare Situation kennt, in der auch Frau Ulitzkaja lebt. Wir sind der Auffassung gewesen, dass der Namensgeber dieses Preises diese Entscheidung von uns verlangt hat." Jürgensen will darauf hinaus, dass Remarque während der Nazizeit in der Schweiz und in den USA im Exil lebte.

Debatte um den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis

Gut gemeint, aber das Ergebnis war eine mediale Debatte, ob man einen Ukrainer in diesen Zeiten dazu drängen könne, mit einer Russin auf der Bühne zu stehen. Am Donnerstagabend in der Osnabrücker Stadthalle hat nur Ljudmila Ulitzkaja den Preis entgegennommen. Vorher hat sich die Preisträgerin ins Goldene Buch der Stadt Osnabrück eingetragen. Ihre Auszeichnung ist dotiert mit 25.000 Euro. Sergiy Maidukov bekommt 5.000 Euro.

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Ljudmila Ulitzkaja sitzt mit einer Tasse in der Hand an einem Tisch. © Claudia Thaler/dpa Foto: Claudia Thaler

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 22.06.2023 | 07:40 Uhr

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