Lionel Shriver: "Die perfekte Freundin"
Wie kaum eine andere Autorin in den USA versteht Lionel Shriver die Kunst, auf knappem Raum mehrdimensionale Gesellschafts- und Charakterbilder zu entfalten.
Lionel Shriver wird von der Literaturkritik für ihre scharfsinnigen Psychogramme immer wieder enthusiastisch gefeiert. Berühmt wurde zum Beispiel ihr in 25 Sprachen übersetzter Roman "Wir müssen über Kevin reden". Ihr neues Buch hat 160 Seiten und trägt den Titel "Die perfekte Freundin". Es ist eine Art Kammerduell zwischen zwei Frauen, das hier beschrieben wird, mit einem Mann dazwischen, der nicht viel ausrichten kann.
Eine der beiden Frauen heißt Jillian, sieht nahezu unverschämt gut aus, hat beeindruckende Talente, macht aber nicht viel daraus. Seit vielen Jahren ist sie befreundet mit Weston. Früher haben sie auch versucht, ein Liebespaar zu sein - mit wenig Erfolg. Jetzt haben sie zusammen etwas geschaffen, das zwischen Männern und Frauen nur selten gelingt: eine richtige Freundschaft. Sie treffen sich zum Tennisspielen und danach sitzen sie auf einer Bank und sprechen miteinander.
Eine neue Freundin will die Freundschaft zerstören
Weston liebt inzwischen eine Frau namens Paige. Er möchte Jillian seiner Lebensgefährtin vorstellen. Es ist Abneigung auf den ersten Blick. Jillian trägt eine Pelzstola und Paige ist Tierschützerin. Sie fällt Jillian mit beißender Kritik an.
"Damit wirbt man für die Ermordung von Tieren zum Zweck der Verwertung ihrer Körperteile." "Machen wir das nicht die ganze Zeit, wenn wir Fleisch essen?", fragte Jillian vorsichtig. "Ich esse kein Fleisch", erwiderte Paige mit steinerner Miene. "Gut, dann bis du bewundernswert konsequent …" Leseprobe
Es wird ein frostiger Besuch, bei dem alle froh sind, als er vorbei ist. Weston macht wenige Wochen später Paige einen Heiratsantrag. Sie antwortet, dass sie nur einwillige, wenn er bereit sei, seine Freundschaft mit Jillian aufzugeben.
An dieser Stelle wispert, beschwört, warnt man als Leserin oder Leser in den Roman hinein: "Tu es nicht, Weston. Solche Erpressung ist kein guter Start für eine Ehe, und wenn ihr noch so schönen Sex miteinander habt."
Zur Hochzeit gibt es ein kunstvolles Geschenk
Weston hört uns nicht und wer weiß, ob er überhaupt auf uns hören würde. Jillian ahnt nichts vom nahenden Ende ihrer Freundschaft mit Weston. Sie erkundigt sich immer wieder nach den Hochzeitsvorbereitungen. Sie hat in den letzten Wochen ein Kunstwerk gebastelt, eine unglaublich schöne, imponierende Lampe, in der alles aufgehängt ist, was ihr Leben ausmacht - in Miniaturform akribisch nachgebaut.
Doch das Ungetüm war kein Baum aus Müll. Es sah auch nicht aus, als hätte jemand eine Schreibtischschublade ausgekippt, deren Besitzerin nie aufräumte. Jede dieser Objektansammlungen war durchkomponiert, oft in originellen kleinen Behältern. Leseprobe
Ein Lampen-Objekt voller Erinnerungen
Es sind Kindheitserinnerungen darin aufgehängt, ein Troll, eine Trillerpfeife, Pappschachteln mit Samtteppich ausgekleidet, eine winzige Badewanne mit Krallenfüßen, sogar ihr eigener Tisch, der aus bunten Handwerker-Zollstöcken gefertigt wurde, steht hier als Puppenhausversion aus angemalten Zahnstochern nachgebaut. Das Ganze ist raffiniert ausgeleuchtet. Sie zeigt es ihrem Freund Weston:
Der Leuchter sprach zu ihm. Er vermittelte eine Zärtlichkeit für das Leben seiner Schöpferin und nährte damit im Betrachter eine Zärtlichkeit für sein eigenes. Leseprobe
Kurz vor dem Hochzeitstermin, als sie immer noch nicht weiß, dass sie gar nicht eingeladen sein wird, verpackt Jillian diese riesige Lampe, dieses Kunstwerk und schenkt es den beiden schon vorab zur Hochzeit. Weston unternimmt nichts, um ihre Freundschaft zu retten.
Was passiert, als Jillian ein Jahr später wenigstens den Leuchter zurückhaben möchte, ist großartig erzählt von Lionel Shriver, die aus einer solchen Story ein psychodramatisches Meisterstück macht.
Die perfekte Freundin
- Seitenzahl:
- 160 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Piper
- Bestellnummer:
- 978-3-492-07020-1
- Preis:
- 18,00 €
