Aufnahmen der Hörspielproduktion "Der große Gatsby" von Oliver Sturm. Drei weiße, mittelalte Männer stehen sich gegenüber. Zwei davon stehen an einem Pult, darüber hängen jeweils große Mikrofone. © NDR Foto: Andreas Rehmann

Hörspiel "Der große Gatsby": Spielfreude mit großer Literatur

Stand: 27.05.2023 06:00 Uhr

Acht Wochen verbrachten Regisseur Oliver Sturm und Regie-Assistent Simon Hastreiter im Studio. Gemeinsam mit über 40 Kolleginnen und Kollegen kreierten sie das erste Hörspiel des spannenden, bereits vielfach an Theatern inszenierten und legendär verfilmten Literaturklassikers "Der große Gatsby".

Aufnahmen der Hörspielproduktion "Der große Gatsby" von Oliver Sturm. Drei weiße, mittelalte Männer stehen sich gegenüber. Zwei davon stehen an einem Pult, darüber hängen jeweils große Mikrofone. © NDR Foto: Andreas Rehmann
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von Laura Gruebler und Jennifer Philipp

Knapp 100 Jahre hat es gedauert bis der literarische Klassiker aus den "Roaring Twenties" erstmals als Hörspiel inszeniert wurde. Dabei bietet die Stimmung des Romans großes Potential für eine akustische Inszenierung, findet Regisseur Oliver Sturm. "Fitzgeralds ureigene Kunst ist das Wort. Und was er in einem Satz manchmal an Verdichtungen schafft und an Bildern erzeugt, das lässt sich tatsächlich auch nur durchs Wort herbeiholen." Regie-Assistent Simon Hastreiter ergänzt: "Das Tolle am Hörspiel ist, dass wir ähnlich wie beim Lesen unsere eigenen Welten und Bilder gestalten und der Fantasie freien Lauf lassen können."  Wochenlang arbeitete das Produktionsteam in Hamburg daran, die Stimmung der 20er-Jahre, die Lust auf Neues und Aufbruch akustisch einzufangen. Am 28. und 29. Mai wird es auf NDR Kultur gesendet. In der ARD Audiothek und als Podcast in der NDR Hörspiel Box können Sie es bereits hören.

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250 Roman-Seiten wurden zu 120 Seiten Hörspiel-Skript  

Schon ein Jahr vor der Produktion, die Anfang 2023 startete, fiel in der Radiokunst des NDR die Entscheidung, F. Scott Fitzgeralds "Der große Gatsby" erstmals als Hörspiel zu inszenieren. Dramaturgin Susanne Hoffmann und Oliver Sturm kürzten den Text und überarbeiteten ihn nach redaktionellen und dramaturgischen Gesichtspunkten. Aus über 250 Seiten Roman wurden 120 Seiten Hörspiel-Manuskript. Es folgte die sorgfältige Suche nach passenden Stimmen. Als die 32 Darstellerinnen und Darsteller gefunden waren, organisierte Regie-Assistent Simon Hastreiter den Zeitplan für die Aufnahmen im Studio. Dabei musste er die Terminkalender aller Mitwirkenden koordinieren und möglichst effizient planen: "Wir haben versucht, die Aufnahmephase möglichst kompakt innerhalb einer Woche zu halten, was bei einem Zweiteiler dieser Größe durchaus eine Herausforderung ist."  Eine Woche lang, täglich von 10 bis 18 Uhr war das Studio 8 am Rothenbaum vom Team des "kleinen Gatsby", wie ihn Oliver Sturm augenzwinkernd nannte, besetzt. Hastreiter hatte den Tag streng getaktet. Bei 32 Mitwirkenden ist die Koordinierung ein kleines Kunststück. Nicht zu vergessen ist die im Hinterkopf des Regie-Assistenten schlummernde Sorge darüber, dass jemand zu spät kommen, den Zug verpassen oder sogar ganz ausfallen könnte. "Beim Gatsby lief aber zum Glück alles wie geschmiert", erzählt Hastreiter zufrieden.  

"Ein ganz schönes Gewusel": 10 Schauspieler*innen improvisieren Partyszenen 

F. Scott Fitzgerald eröffnet den Lesern und Leserinnen im Roman eine Welt voller Glanz und Prunk. Nick Carraway und Jay Gatsby umgibt die euphorische Aufbruchstimmung der amerikanischen "Roaring Twenties". Sie tauchen ein in materiellen Überfluss, laszive Partys, Champagnerrausch, Ausgelassenheit, aber auch Einsamkeit und Bedrückung der reichen Gesellschaft des fiktiven Ortes "West Egg".

Die atmosphärischen Partyszenen tragen diese Stimmungen ans Ohr und spiegeln die inneren Vorgänge der Hauptfiguren. Ihre Produktion forderte das Team auf besondere Weise: "Wir hatten bis zu zehn Schauspieler*innen gleichzeitig im Studio, die diese Sequenzen improvisiert haben", berichtet Hastreiter. Als Assistent hatte er die Aufgabe von Regisseur Oliver Sturm erhalten, diese Szenen zu koordinieren. "Wenn man so viele Leute im Studio hat, ist das ein unglaubliches Gewusel", erinnert sich Sturm. "Das ist sehr schwer zu kontrollieren."

Die Szenen sollten an einer Stelle heiterer, an der anderen düsterer, mal laut und mal ruhiger klingen. Während der Regisseur die Schauspieler nach einem inhaltlichen Briefing in die Aufnahme schickte und diese außerhalb des Studios verfolgte, war Simon Hastreiter bei den Akteuren im Studio. Aufgeteilt in Gruppen dirigierte er die Vorgänge während der Improvisation per Handbewegung. Ein Vorteil war die gute Stimmung unter den Kollegen, erzählt Hastreiter. Außerdem zeigten die Sprecher eine ungewöhnliche Motivation: "Ja, da war ich ziemlich baff, mit welcher Voreinstellung die Schauspielerinnen und Schauspieler schon gekommen sind", berichtet Oliver Sturm. "Die waren sowas von scharf auf diesen Text, dass ich die gar nicht erst auf so einen bestimmten Ton hochtreiben musste. (…) Die waren direkt auf einem Energielevel, das mich wirklich erstaunt hat. Und das muss damit zu tun gehabt haben, dass der Text bei ihnen ziemlich eingeschlagen hat."  

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Fitzgeralds Rollen begeistern 

Die Umschreibungen der Rollen im Roman ermöglichen den Leserinnen und Lesern die Figuren sehr gut fassen zu können. Das hilft auch den Darstellern dabei in ihre Rollen zu finden und sie mit Spielfreude auszufüllen. "Die Sprecher*innen mochten das Stück durch die Bank", erzählt Hastreiter. Die Rollen seien teils absurd karikiert und ihnen sei ein gewisser Humor eingeschrieben. "Wenn man die Figuren in ihren Makeln und ihrer Aufgekratztheit ernst nimmt, macht es großen Spaß, sie zu spielen und es entsteht eine liebevolle Kollage von hoffnungsvollen, rebellischen, lebenslustigen, aber auch von Krieg und der Industrialisierung verhärteten und verwirrten Menschen." 

Sabine Worthmann komponierte einen glamourösen Rahmen

Zentrale Aspekte in den Filmen des "großen Gatsby"s sind Kulissen voller Glanz und Glamour. Die Hörspiel-Inszenierung wird von der komponierten Musik Sabine Worthmanns getragen. Auch ohne Bild entsteht auf diese Weise der Sog von Glanz Glamour und Verlorenheit. Oliver Sturm: "Ich erzeuge Glanz und Glamour durch die wunderbare Musik, die Sabine Wortmann dafür geschrieben hat. Die hat ganz viele Anklänge an die Musik dieser Zeit gemacht, also viel Jazziges. Und sie ist dann aber verrückt genug, um das Ganze noch zu überzeichnen und noch mehr zu machen als nur Musikabbildung. Sie zieht die Dinge noch etwas höher als sie eigentlich sind. Dadurch kriegt das son doppelten Kick. Es wird so ein bisschen überhysterisch und so kommt dann dieser Glanz zustande."

Sieben Wochen Mischung  

Die gemeinsame Aufnahmewoche mit den Kolleginnen und Kollegen habe für einen "positiven Schub" gesorgt, berichtet Simon Hastreiter, mit dem das Produktionsteam dann in die Mischung der einzelnen Ton-Elemente ging: Sprache, Musik und Geräusche wurden hier im Computerprogramm übereinander gelegt. Auf diese Weise entstand das akustische Ganzes. Dabei achtete Regisseur Oliver Sturm genau auf jeden einzelnen Klang: "Das Arbeiten mit Geräuschen, das ist auch Teil der Hörspielkunst. Das heißt, wenn ne Tür aufgeht, dann sagt man nicht einfach 'Haste mal ne Tür?' Sondern dann hat die Tür immer schon eine Pathos-Qualität." Im dieser Produktionsphase wurden Lautstärken diskutiert, Geschwindigkeiten und Dynamiken festgelegt, die dem Hörer später bestenfalls nicht auffallen, aber einen stimmigen Eindruck vermitteln. Simon Hastreiter erklärt das technische Vorgehen: "Zuerst werden alle Stimmen zusammengelegt. Das Grundgerüst wird gebildet. Dann ist der Toningenieur gefragt, der alle Komponenten einbaut. Dabei entstehen bis zu 20 Spuren, die übereinander liegen. Oliver Sturm sorgte dann für das stimmige Gesamtbild."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 25.05.2023 | 06:40 Uhr

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