Kolumne: "Nicht an den Krieg gewöhnen"
In einigen Städten in der Ukraine kommt das Leben zurück - in Kiew zum Beispiel. Die Menschen erleben kurze Auszeiten vom Alltag des Krieges sowie den damit verbundenen Sorgen und Nöten.
Ich sehe zwei Frauen in einem Café, ich sehe eine Pizzabäckerin und einen Mann auf einem Elektroroller. Das Verstörende daran ist, dass diese Szenen in Kiew spielen. Angekündigt wurde der kurze Film mit dem Satz: In Kiew kommt langsam das Leben zurück. Wie kann das sein, denke ich, in dem Land herrscht doch Krieg. Und fast gleichzeitig schäme ich mich für diese Gedanken. Wieso sollen die Menschen in Kiew nicht kurze Auszeiten von ihren Sorgen und Ängsten haben, während ich nur zwei Flugstunden entfernt an die Einkäufe fürs Abendessen denke, an das Training mit meiner Kinderfußballmannschaft und daran, was wir alles in den nächsten Ferien unternehmen wollen?
Weich bleiben für das Leid der Menschen
Zehn Wochen wütet der Krieg jetzt schon. Ich höre und lese von dem Leid in Mariupol, von brutalen Übergriffen, immer wieder von Zerstörungen und Toten. Und ich merke mit Erschrecken, dass sich langsam ein Gefühl von Gewöhnung in mir breit macht. Ganz ähnlich wie in der Pandemie irgendwann die Zahl der Infizierten und Coronatoten zum alltäglichen Nachrichtenrauschen wurde. Das liegt beim Krieg in der Ukraine sicher auch daran, dass ich nicht in der Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine engagiert bin und so keinen persönlichen Kontakt habe. Trotzdem will ich mich nicht gewöhnen. Ich will offen und weich bleiben für das Leid der Menschen in der Ukraine.
Nachrichten aus der Ukraine bewusst wahrnehmen
Ich persönlich kann das am besten, wenn ich mir konkrete Dinge vornehme. Einmal am Tag will ich mich bewusst informieren. Nicht schnell ein paar Nachrichten durchscrollen, sondern wirklich lesen oder hören. Und dieses Gehörte dann in einem kurzen Gebet vor Gott tragen. Wenigstens einmal die Woche kann ich auch im Drogeriemarkt etwas extra kaufen. Die haben da eine Sammelstelle für Geflüchtete aus der Ukraine.
Menschen "sitzen auf gepackten Koffern"

In dem Filmbeitrag wurde übrigens auch gezeigt, wie brüchig die erholsame Alltäglichkeit in Kiew ist. Die zwei Frauen in dem Café in Kiew haben noch erzählt, dass sie natürlich gepackte Koffer zu Hause haben, um jederzeit fliehen zu können. Heute einen Anker der Hoffnung für sie und alle Menschen in der Ukraine, die einfach wieder normal leben wollen.
Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Jeden Donnerstag vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.
