Marieke Anderszon hilft beim Kreisliga-Team der Männer aus © NDR

Allein unter Männern: Marieke spielt dank neuer Regel im Herrenteam

Stand: 22.01.2023 19:59 Uhr

Was im Jugendbereich längst gelebt wird, ist nun auch bei den Erwachsenen erlaubt: Fußballerinnen dürfen in Männerteams auflaufen. Für den SV Karze aus dem Landkreis Lüneburg ist das ein Segen.

Leere Bänke. Eine Seelenruhe liegt in der Kabine des SV Karze. In knapp einer Strunde ist Anpfiff für das Testspiel gegen den Dahlenburger SK. Die einzige Spielerin: Marieke Anderßon. Von Teamkollegen keine Spur. Die müssen draußen warten.

Denn die Stürmerin ist allein unter Männern. Bei den 1. Herren des SV Karze gilt neuerdings "ladies first". "Ich habe nicht das Gefühl, dass das jemanden gestört hat, dass sie warten müssen", sagt die Fußballerin. Zum zweiten Mal spielt die 23-Jährige bei den Männern in der 2. Fußballkreisklasse mit.

"Es gibt aber auch welche, die sagen: 'Jetzt mit einer Frau Fußball spielen, muss das sein?'" Philipp Rabsahl, Trainer SV Karze

Marieke hilft aus, sie hat sich freiwillig gemeldet. Die Personalnot im Team war groß, der Trainer ratlos. Bis der niedersächsische Fußballverband zum 1. Dezember eine neue Regel verabschiedet hat. Seither dürfen Frauen in Männermannschaften spielen.

Man muss ein wenig moderieren

Für viele ist das noch gewöhnungsbedürftig. "Viele sind dabei, die sehr offen sind und sagen: Ja, machen wir so. Es ist natürlich ein organisatorischer Aufwand: eine Kabine teilen und so weiter", erklärt Trainer Philipp Rabsahl: "Es gibt aber auch welche, die sagen: 'Jetzt mit einer Frau Fußball spielen, muss das sein?' Am Ende sind alle d’accord. Aber man muss auch ein bisschen moderieren."

Hamburger Verband sträubt sich noch

Bereits im Juni vergangenen Jahres hat der Deutsche Fußball-Bund in der Spielordnung verankert, dass Frauen in Männermannschaften auflaufen dürfen. Alle Landesverbände können für ihre Wettbewerbe von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Im Norden hat Mecklenburg-Vorpommern bereits am 17.9. vergangenen Jahres den Weg für Frauen in Männerteams freigemacht.

Der niedersächsische Fußballverband (NFV), folgte im Dezember. "Im Gegensatz zu Bayern haben wir das auch an keine weiteren Hürden geknüpft", sagt NFV-Präsident Ralph-Uwe Schaffert im NDR Interview, "Da muss auf Kreisebene der jeweilige Spielausschuss noch seine Zustimmung geben. Das brauchen wir nicht."

In Bremen dürfen Frauen seit dem 1. Januar in Männerteams kicken. In Schleswig-Holstein besteht eine solche Regelung derzeit noch nicht. "Es ist aber gut vorstellbar, dass diese Möglichkeit auch im SHFV geschaffen wird", heißt es auf Nachfrage des NDR. Allein der Hamburger Fußballverband möchte keinen Gebrauch von der neuen Regel machen: Es sei eine "Entscheidung der spielleitenden Ausschüsse im HFV", heißt es dort: "Und die wollen keine Änderung."

Zahl von Frauenteams sinkt deutlich

Dabei könnte das Pilotprojekt mit vierjähriger Laufzeit durchaus einige Probleme lösen. Frauen füllen zum einen die Lücken in Männermannschaften. Das freut auch Karzes Trainer Philipp Rabsahl: "Bei uns ist es jetzt auch noch so, dass wir zahlenmäßig bei den Damen mehr sind als bei den Herren. Und wenn ich dann auf sie zurückgreifen kann, ist es für uns als kleiner Verein super."

Und auch die Frauen selbst bekommen so erst die Möglichkeit, am Spielbetrieb teilzunehmen. Denn nur ein Viertel der Vereine in Deutschland hat mindestens ein weibliches Team gemeldet. Besonders die Zahl der Frauenteams sinkt stetig. Waren es 2013 noch 5.782 Teams, sind es im vergangenen Jahr lediglich noch 4.475 gewesen.

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Viele Spielerinnen sind vergeblich auf der Suche nach einer Spielmöglichkeit. "Und wenn ich als Frau gezwungen bin, zum Training erst 40 bis 50 Kilometer zu fahren, für eine Familie verantwortlich und berufstätig bin, dann kann ich das nicht leisten und gehe dem Fußballsport verloren", warnt NFV-Präsident Schaffert, "Das ist eigentlich das Schlimmste, was uns passieren kann."

Die neue Regelung - eine Notlösung?

Auch deshalb begrüßt Marieke die neue Regelung: "Vor allem dort, wo es keine Damenmannschaft gibt, können Frauen dann auch Fußball spielen - ohne, dass sie weit fahren müssen." Die Stürmerin selbst kickt aber auch weiterhin für ihr Frauenkreisligateam. Denn die Spielerlaubnis in der Frauenmannschaft bleibt von der Erteilung des Spielrechts in einer Herrenmannschaft unberührt.

Das DFB-Pilotprojekt löst mit der Neuerung immerhin kurzfristige Probleme. Ist es also eher eine Notlösung? Der DFB reagiere "pragmatisch auf die akute Situation", heißt es auf NDR Nachfrage und mit weiteren Strategien "perspektivisch, um mittel- bis langfristige Verbesserungen zu erzielen, also um die Wurzel zu packen, um im Bild zu bleiben." Dem Trend, dass Frauenteams weniger werden, wirkt die neue Regel aber nicht entgegen.

"Ich habe damit gerechnet, dass sie vorsichtiger sind" Marieke Anderßon, Spielerin SV Karze

Zurück zum SV Karze. Das Spiel läuft, 20. Minute. Marieke Anderßon steht an der Seitenlinie. Die 23-Jährige wird eingewechselt. Angst sich zu verletzen, hat die Stürmerin nicht: "Ich habe damit gerechnet, dass sie ein bisschen vorsichtiger sind. Ist ja für die Männer auch das erste Mal, dass sie mit einer Frau spielen."

Sowohl Mitspieler als auch der Gegner machen kein großes Ding daraus, dass eine Frau mitspielt. MANN will sich sich sogar das ein oder andere abgucken: "Das Stellungsspiel vielleicht, die Passgenauigkeit oder die Feinfühligkeit", sagt Teamkollege David Rehfeld, "Das ist bei dem ein oder anderen von uns nicht so gut."

Jirka Schultz aus der gegnerischen Mannschaft hat großen Respekt vor Mariekes Einsatz: "Ich würde es als Frau wahrscheinlich nicht machen, aber wenn sie das will, kann sie das machen, ich find's okay."

Ausnahme statt Regel: "Sie sollen lieber unter sich spielen"

Okay fand es auch Marieke Anderßon selbst, auch wenn sie eine große Chance hat liegen lassen. Die Stürmerin will weiter aushelfen, wenn Not am Mann ist. Zur Regel sollte das ihrer Meinung nach aber nicht werden: "Wenn die genug sind, sollen die mal unter sich spielen", sagt die 23-Jährige ,"Wir haben ja ein Damenteam, da möchte ich schon lieber spielen." Und da hat sie auch wieder mehr Gesellschaft in der Kabine.

Dieses Thema im Programm:

Sportclub | 22.01.2023 | 22:50 Uhr

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