Corona und Senioren: Zwischen Schutz und Ausgrenzung
von Julia Schumacher
Für ältere Menschen ist das Coronavirus ein besonders großes Risiko. Deswegen werden sie - zu Hause oder im Pflegeheim - auch besonders geschützt, indem sie möglichst wenig Kontakt zu anderen haben sollen. Einerseits ist das ein Akt von Schutz und Fürsorge einer gefährdeten Gruppe, andererseits kann diese Isolation auf Dauer schaden und einsam machen. Wie kommt man aus diesem Konflikt raus?
83-Jährige: "Es lässt sich gerade nicht ändern"
Elke Schultz nimmt es mit Fassung: Die 83-Jährige lebt in einem Pflegeheim in Kiel. Seit Wochen gilt ein Besuchsverbot. "Ich bin traurig, es lässt sich aber gerade nicht ändern", sagt sie. Mit ihren Kindern habe sie telefonischen Kontakt. "Das reicht mir schon, das ist in Ordnung." Doch irgendwann müsse das enden, meint Schultz.
Doch wann ist ein guter Zeitpunkt, das Betretungsverbot in Pflegeheimen zu lockern? Wie lange kann man überhaupt eine ganze Gruppe zu ihrem Schutz abschotten? Denn isoliert sind nicht nur Menschen in Pflegeheimen, sondern auch die, die in ihren Häusern und Wohnungen sind.
Schmaler Grat zwischen Fürsorge und Ausgrenzung
So wie Käthe Isensee. Sie wohnt allein in ihrer Wohnung in Neumünster, trifft niemanden und bekommt keinen Besuch. In zwei Wochen hat sie Geburtstag, den wollte sie feiern: "90 wird man ja nur einmal. Aber ich glaube, das können wir abschreiben."
Durch ihren Status als Risikogruppe haben alte Menschen gerade eine Sonderrolle. Es ist ein schmaler Grat zwischen Fürsorge und Ausgrenzung. Annette Rogge vom Ethikkomitee am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) sagt: "Das ist ein ganz großer Kraftakt an Solidarität, der da jetzt geleistet wird." Der käme aber nicht nur einer Bevölkerungsgruppe zugute, sondern letztlich allen. "Wir alle wissen ja nicht, wie wir eine Infektion überstehen würden. Das ist ja nicht allein eine Frage des Alters."
Junge wieder an die Arbeit, Ältere in Quarantäne?
Im Moment ist es noch so, dass auch andere Gesellschaftsgruppen keine großen Geburtstage feiern und wenig Besuch empfangen. Doch es gibt die Diskussion darum, nur für einen Teil der Gesellschaft die Restriktionen zu lockern - und die Risikogruppen in Quarantäne zu schicken. Risikogruppen wie eben auch ältere Menschen.
"Man fängt jetzt erst an zu überlegen, wie man aus dem totalen Shutdown wieder herauskommt. Und dabei ist Differenzierung natürlich ein Weg, wahrscheinlich der einzig mögliche Weg", sagt Verfassungsrechtler Sebastian von Kielmannsegg. "Dass man den Teil, der die Volkswirtschaft irgendwie aufrechterhalten muss, nicht dauerhaft lahmlegen will, das ist ja ein legitimes Interesse." Umgekehrt sei es kein willkürlicher Grundgedanke, die zu schützen, die besonders verwundbar sind.
Völlige Isolation nicht auf Dauer möglich
Doch: "Totalisolation über einen längeren Zeitraum ist auf jeden Fall etwas, was sehr problematisch ist", sagt von Kielmannsegg. "Die haben wir im Moment aber eigentlich nur in Alten- und Pflegeheimen, dort allerdings aus besonderen Gründen." Denn es müsse abgewogen werden zwischen der Verletzlichkeit des Bewohners, der Gefährdungslage, die von Kontakten zu anderen Menschen ausgeht, und der Frage, ob es zur Isolation vertretbare Alternativen gibt. Gemeint sind Wege und Möglichkeiten, die die Totalisolation etwas abpuffern.
Denn je mehr die Isolation abgepuffert werden könne, desto länger könne sie zum nötigen Schutz der Risikogruppe bleiben, sagt von Kielmannsegg. Eine solche Möglichkeit könnte sein: Jede Bewohnerin und jeder Bewohner eines Pflegeheims darf eine Kontaktperson bestimmen, die unter Einhaltung strenger Hygieneregeln zu Besuch kommen darf.
Ein Vorschlag: Ein registrierter Besucher pro Bewohner
Über diese Möglichkeit verhandelt zum Beispiel das Kieler Stadtkloster mit dem Land. Daniela Bialluch, Einrichtungleiterin der Professorenhäuser im Verbund Kieler Stadtkloster, sagt: "Es geht darum, einfach wieder die sozialen Kontakte zu ermöglichen. Wir können ja nicht wochenlang die Angehörigen von uns fernhalten." Wenn die Angehörigen sich an alle Maßnahmen hielten - Hände desinfizieren, Mund-Nasen-Schutz tragen - und es nur ein Gast pro Bewohner wäre, müsste das gehen, sagt Bialluch.
Ministerium: Konzept für mögliche Besuche in Arbeit
Aus dem Sozialministerium heißt es: Eine weitgehende Isolierung und Betretungsverbote von Einrichtungen sind keine Lösung von Dauer. Gerade ältere Menschen suchen und brauchen den Kontakt zu ihren Familien und ihrem nahen sozialen Umfeld. Zurzeit werde ein Konzept zur möglichen Umsetzung von verantwortbaren Anpassungen des Betretungsverbots erarbeitet, immer im Rahmen der jeweiligen Infektionslage in Pflegeheimen.
