Blick von oben auf eine Straße in Kiew: Nach russischen Angriffen versuchen offenbar viele Menschen, die Stadt per Auto zu verlassen. © dpa Foto: Emilio Morenatti

Flucht aus der Ukraine: Ein Dachdecker aus SH berichtet

Stand: 25.02.2022 18:51 Uhr

Andrej Mucha war zu Besuch bei seiner Familie in der Ukraine, als die russischen Truppen das Land angegriffen haben. Er ist zu seiner Frau nach Schleswig-Holstein geflohen und berichtet von chaotischen Zuständen.

Odessa ist eine ukrainische Großstadt am Schwarzen Meer. Fast eine Million Menschen leben hier. Die Familie von Andrej Mucha hat dort ein Ferienhaus, in dem sie sich einmal im Jahr trifft. Der gebürtige Ukrainer wohnt heute in Burg in Dithmarschen, ist dort Teilhaber einer Reetdachdeckerei. Vor wenigen Tagen war der 32-Jährige aber noch in Odessa, als das russische Militär die Ukraine überraschend angegriffen hat. Während seine Familie in ihre Heimatstadt - das westukrainischen Lemberg - geflüchtet ist, musste Andrej Mucha sie dort schweren Herzens zurücklassen.

Ein schwerer Weg zurück nach Schleswig-Holstein

"Wir hatten lange Diskussionen mit meiner Frau und meinen Arbeitskollegen. Weil ich felsenfest der Auffassung war, ich hätte dort bleiben müssen, irgendwie versuchen zu helfen", sagt er im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein.

Mit der Familie flüchtet Andrej Mucha von Odessa aus nach Lemberg, von dort geht es für ihn also allein weiter. In der Nacht zum Donnerstag wird sein Flug nach Deutschland gecancelt, also fährt er mit dem Bus erst nach Krakau, von dort aus nach Breslau und weiter nach Berlin. Dann nimmt er einen Zug, der ihn nach Duisburg bringt. Ein Weiterer fährt ihn bis an den Flughafen Weeze an der niederländischen Grenze. Dort hatte Mucha sein Auto abgestellt, als er in die Ukraine geflogen ist. Zuletzt muss er noch mehr als 500 Kilometer bis nach Burg fahren.

Schüsse, Bomben und Unfälle

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Seine Flucht begann in einem Land, das sich im Chaos befindet, wie der gebürtige Ukrainer erzählt. "Wir haben Schüsse gehört, wir haben Bomben gehört, wir haben Unfälle gesehen, wir haben Menschen in Panik gesehen." Andrej Mucha berichtet davon, dass in der Ukraine zivile Ziele beschossen werden. In einem Fall sei ein Mensch vor ein Auto gelaufen und dabei ums Leben gekommen, weil er weglaufen wollte.

An den Tankstellen hätten sich zwei bis drei Kilometer lange Schlangen gebildet, weil jeder noch einmal volltanken will. "Den Menschen wurde jetzt auch gezeigt, wie man Molotowcocktails macht, jeder braucht also Benzin zu Hause", sagt Andrej Mucha. Die Menschen dürften sich jetzt auch eine Schusswaffe abholen, wenn sie das wollten.

Familie will in der Ukraine bleiben

Zurück in Deutschland fühlt er sich zerrissen und bangt um seine Familie. Patriotismus stehe in der Ukraine in vielen Orten an erster Stelle. "Ich habe zu meinem Vater gesagt: 'Fahre mit mir nach Deutschland' - und er sagte zu mir: 'Ich helfe dir herauszukommen, aber ich bin hier geboren, ich werde auch hier sterben'."

Während Andrej Mucha in Schleswig-Holstein nichts anderes übrig bleibt, als die Geschichte seiner Heimat zu erzählen, würde seine Familie in der Ukraine versuchen zu helfen. "Meine Cousinen und Schwiegereltern waren Blut abnehmen, damit sie den Verwundeten helfen können." Zur Not, so erzählt es Andrej Mucha, sagen alle: wir nehmen die Waffen in die Hand und werden dann kämpfen. Eigentlich würde er auch gern zurück und für sein Vaterland kämpfen. Doch seiner Frau und seinen Kollegen zuliebe tut er das nicht.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Moin! Schleswig-Holstein mittendrin | 25.02.2022 | 16:20 Uhr

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