Nach einem Jahr: Högel-Urteil liegt noch beim BGH

Der Fall Niels Högel ist komplex und umfangreich - und seine Aufarbeitung langwierig. Am 6. Juni 2019 hatte das Landgericht Oldenburg den früheren Krankenpfleger wegen Mordes an 85 Patientinnen und Patienten zu lebenslanger Haft verurteilt. Jetzt, ein Jahr später, ist das Urteil noch immer nicht rechtskräftig. Högels Verteidigung und einer der Nebenkläger hatten Revision eingelegt. Die Akte wanderte über den Generalbundesanwalt (GBA) zum Bundesgerichtshof (BGH). Dort wird unter anderem geprüft, ob die einzelnen angeklagten Fälle alle korrekt nachgewiesen wurden - bei der Vielzahl der Fälle eine enorm aufwendige Aufgabe.
Wann eine Entscheidung fällt, ist offen
Wie lange sich das Verfahren noch hinzieht, kann man beim BGH derzeit noch gar nicht sagen. "Die Verfahrensakten wurden am 18. März über den Generalbundesanwalt zusammen mit der Revisionsbegründung und der Stellungnahme des GBA dem 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vorgelegt", teilte Sprecherin Dietlind Weinland, Richterin am BGH, NDR.de mit. "Wann mit einer Entscheidung des Senats zu rechnen ist, kann ich im jetzigen Stadium des Verfahrens noch nicht abschätzen."
Landgericht: Länge des Verfahrens erwartbar
Dass der juristische Prozess so lange dauert, überrascht Fachleute indes offenbar nicht. Es gebe mehrere Gründe dafür, hieß es Ende 2019 vom Landgericht Oldenburg. Einer davon ist der Umfang des Urteils: Es umfasse 180 Seiten, so Gerichtssprecherin Melanie Bitter. Die hätten erst einmal geschrieben werden müssen, was schon bis Ende August gedauert habe. Für Außenstehende erscheine es sicherlich unerklärlich, warum das Verfahren so lange dauere, sagte Bitter. Aber: "Unsere Strafprozessordnung sieht das so vor. Und das sind auch sinnvolle kleinere Zwischenschritte."
Sieben Verfahren wegen Falschaussagen und Meineids
Währenddessen laufen auch noch mehrere Verfahren gegen andere Personen im Zusammenhang mit den Morden des ehemaligen Krankenpflegers. Im Frühjahr 2019 hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen zehn Zeuginnen und Zeugen aufgenommen, die im Högel-Prozess ausgesagt hatten. Ihnen wurde Meineid beziehungsweise uneidliche Falschaussage vorgeworfen. Drei dieser Verfahren wurden im März 2020 eingestellt, sieben laufen noch.
Vorwürfe gegen frühere Chefs von Högel
Anklagen gegen fünf frühere Vorgesetzte Högels stehen ebenfalls noch aus. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger wollen erreichen, dass diese sich wegen Totschlags durch Unterlassen vor Gericht verantworten müssen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Vorgesetzen im Klinikum Oldenburg vor, Högel nicht gestoppt zu haben, obwohl sie einen Verdacht hatten. Sie hätten den Ruf ihrer Abteilung und der Klinik schützen wollen.
Högel bereits zu lebenslanger Haft verurteilt
Niels Högel war bereits 2015 in einem anderen Prozess wegen zweifachen Mordes und zweifachen Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er hatte Patientinnen und Patienten Medikamente gespritzt, um sie in lebensbedrohliche Lagen zu versetzen und sie dann wiederzubeleben. Högel tat dies offenbar, um Lob und Anerkennung zu bekommen. In vielen Fällen scheiterte die Reanimation jedoch. Die Patientinnen und Patienten starben.
