Lidiia Kravchuk und ihr vierjähriger Sohn Wolodymyr. © NDR Foto: Tullio Puoti

Nach der Flucht: Ukrainerin will als Lehrerin arbeiten

Stand: 07.05.2022 08:47 Uhr

Lidiia Kravchuk ist mit ihren Kindern vor dem Krieg in der Ukraine geflohen. In ihrer Heimat hat sie acht Jahre als Deutschlehrerin gearbeitet. Nun würde sie gern in Niedersachsen Fuß fassen.

von Tullio Puoti

"Das wichtigste sind meine Kinder", sagt Lidiia Kravchuk. Sie möchte, dass es ihnen gut geht und sie schnell Freunde finden. Am 8. März ist die Deutschlehrerin mit ihren drei Kindern aus Krywyj Rih im Süden der Ukraine geflohen. Damit ist sie eine der ersten Geflüchteten. Zwei Tage später sind die ersten Züge mit Hunderten Geflüchteten am Messebahnhof in Hannover angekommen. Die Familie ist über Polen mit dem Minibus in die Region Hannover gekommen. "In Laatzen sind wir zur Polizei gegangen und die haben uns geholfen", erklärt Lidiia Kravchuk und berichtet, dass sie von der Polizei ans Sozialamt der Stadt Laatzen vermittelt wurde. Seitdem wohnt die Familie in einer Obdachlosen-Unterkunft der Stadt. Für die Verpflegung bekommt die vierköpfige Familie vom Sozialamt 1.400 Euro im Monat.

Töchter gehen zur Schule, für Sohn sucht sie Kita-Platz

Die Töchter Maria und Irina sind bereits nach etwa einer Woche zur Schule gegangen. Die Sechsjährige Irina besucht die Grundschule und die 13-jährige Maria die Oberschule. Auch dabei hat das Sozialamt geholfen. Mittlerweile geht Maria sogar zum Gymnasium und auch zur Musikschule. Der vierjährige Sohn Wolodymyr hat sich in Laatzen auch eingelebt. Doch noch immer fehlt für ihn ein Kita-Platz. "Wir suchen dringend einen Platz, aber es ist sehr schwer", erzählt die Mutter.

Mutter will wieder als Deutschlehrerin arbeiten

Ein Kita-Platz wird nun aber immer wichtiger. Denn Lidiia Kravchuk möchte arbeiten. Am liebsten als Deutschlehrerin. In der Ukraine hat sie Deutsch studiert und acht Jahre Kinder vom Grundschul- bis ins Teenageralter unterrichtet. Um hier zu unterrichten, muss sie die Anerkennung ihrer Zeugnisse beantragen. Das Kultusministerium empfiehlt ausländischen Lehrkräften im Vorfeld ein qualifiziertes Beratungsgespräch zu führen. Lidiia Kravchuk geht deshalb zur Beratungsstelle IQ-Netzwerk in Hannover. Angegliedert an die Industrie- und Handelskammer wird sie hier von der Fachberaterin Alina Bondari beraten. Nach etwa zehn Minuten Gespräch gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. "Ihre Universität wird hier anerkannt. Das ist schon mal super", erklärt die Beraterin. Doch als vollwertige Lehrerin wird Lidiia Kravchuk nicht arbeiten dürfen.

Gesetzliche Vorgaben sind große Hürden

Der 43-Jährigen fehle ein zweites Unterrichtsfach. Deutsch als Fremdsprache reiche nicht aus. "Das ist ein häufiges Problem, bei ausländischen Lehrkräften", sagt Alina Bondari und führt aus, "die meisten scheitern an der Zwei-Fächer-Kombination." Wenn eine Lehrkraft jedoch zwei Fächer unterrichten kann und die Ausbildung in Deutschland auch zählt, müsse die Anerkennung des Lehrberufs beim Kultusministerium erfolgen. "Das ist ein langer Prozess. Die Bearbeitungszeit dauert in der Regel vier Monate", erläutert die Beraterin des IQ-Netzwerks. Auf Nachfrage hat das niedersächsische Kultusministerium gegenüber dem NDR erklärt, dass angesichts der Notwendigkeit ukrainischer Lehrkräfte, das Prüfungsverfahren bereits verschlankt worden sei und damit auch schneller gehe.

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Aushilfsjob ist oft der schnellste Weg

Für Lidia Kravchuk ist das kurzfristig jedoch keine Option. Um eine vollwertige Lehrkraft zu werden, müsse sie noch ein verkürztes Studium machen, erklärt ihr die Beraterin Bondari. Der schnellste Weg sei nun, als Aushilfskraft in Schulen zu arbeiten. Zum Beispiel im Bereich der Kinderbetreuung oder als Nachhilfelehrerin. Es gebe für sie die Möglichkeit, als pädagogische Mitarbeiterin zu arbeiten. In diesem Fall kann sie sich direkt an allen öffentlichen Schulen bewerben.

Kravchuk dürfte zunächst nicht allein unterrichten

Pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können als Fachkräfte für verschiedene Tätigkeiten eingesetzt werden, geben aber keinen eigenverantwortlichen Unterricht, erklärt das Kultusministerium. Dazu zählt zum Beispiel die therapeutische Unterstützung von Schulkindern oder eben unterrichtsbegleitende Aufgaben, wie Nachhilfe oder Übersetzungshilfen. Das heißt, pädagogische Mitarbeitende dürfen nicht allein unterrichten. Eine pädagogische Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter müsse über eine abgeschlossene Ausbildung aus dem Sozial- und Erziehungsdienst verfügen. Bei nachgewiesenem Bedarf könne so eine Aushilfskraft aber auch bei anderen Qualifikationen für geeignete Tätigkeiten eingesetzt werden, so das Kultusministerium. Für pädagogische Mitarbeitende sind die Regionalen Landesämter für Schulen, kurz RLSB, zuständigen. Die Behörde empfiehlt, sich online beim EIS-Portal zu registrieren. Damit kann die Behörde sehen, welche Fachkräfte sich bewerben.  

Schulen brauchen dringend ukrainische Lehrkräfte

Auch bei Lidiia Kravchuk überprüft das RLSB aktuell ihre Berufsqualifikation. Denn die 43-Jährige hat rund drei Wochen nach ihrem Beratungsgespräch ein Jobangebot des Erich-Kästner-Gymnasiums in Laatzen bekommen. Hier gebe es 32 ukrainische Kinder, die dringend Deutsch lernen müssen. "Ich brauche Frau Kravchuk besser heute als morgen", sagt Schulleiterin Ulrike Mensching und verdeutlicht, "32 Kinder bedeutet: Eine ganze Klasse mehr. Das müssen wir aus unserem aktuellen Bestand erst mal wuppen." Auch der Verband Niedersächsische Lehrkräfte verweist auf die zusätzliche Belastung, bei ohnehin bereits knappem Personal. "Wir brauchen dringend die ukrainischen Lehrkräfte. Die Bürokratie muss da jetzt so einfach wie möglich sein", fordert der Vorsitzende Torsten Neumann.

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Teilweise helfen Russisch sprechende Schüler aus

Das Erich-Kästner-Gymnasium hatte glücklicherweise schon im Vorfeld eine Lehrkraft mit ukrainischen Wurzeln. Außerdem behilft sich die Schule bisher mit Schülerinnen und Schülern, die Russisch sprechen, um die neuen ukrainischen Schulkinder einzugliedern. "Wir wollen, dass die ukrainischen Kinder mindestens dreimal in der Woche zwei bis vier Stunden Deutsch lernen, damit sie hier schnell ankommen", erklärt Schulleiterin Mensching. Genau hier soll Lidiia Kravchuk zum Einsatz kommen. "Sie soll den Kindern unter Aufsicht Deutschkenntnisse vermitteln. Sie spricht beide Sprachen und mit ihrer Erfahrung, was ich ihren Unterlagen entnehmen konnte, ist sie dafür super geeignet", so die Schulleiterin.

Hoffen auf Kita-Platz und Anerkennung der Ausbildung

Aktuell prüft das Regionale Landesamt für Schule und Bildung die Qualifikation von Lidiia Kravchuk. Dies werde wohl mehrere Wochen dauern. Für die dreifache Mutter ist das Jobangebot des Gymnasiums aber schon ein großer Erfolg. "Ich habe mich sehr gefreut. Jetzt suchen wird aber noch dringend einen Kita-Platz für meinen Sohn", sagt sie. Denn ohne den wird sie nicht in der Schule arbeiten können.

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