Stark beschädigtes Fahrzeug auf der Autobahn 7. Daneben eine Person in weißem Schutzanzug. © Clemens Heidrich/dpa Foto: Clemens Heidrich

Gullydeckel-Wurf: Beschuldigter wird psychiatrisch untersucht

Stand: 24.08.2022 14:01 Uhr

Trotz Warnungen war der 50-jährige mutmaßliche Gullydeckel-Werfer aus Harsum nicht eingewiesen worden. Der Landkreis sah dafür nach eigenen Angaben keine Handhabe.

Nun soll der Beschuldigte erneut untersucht werden. Eine Begutachtung zur Schuldfähigkeit und zur Notwendigkeit einer etwaigen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sei in Auftrag gegeben worden, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Hildesheim am Mittwoch. Seinen Angaben nach sitzt der mutmaßliche Täter weiter in Untersuchungshaft und hat sich bislang zu den Vorwürfen "im Wesentlichen nicht geäußert". Der Mann soll am Sonnabend zwei Gullydeckel von einer Brücke auf die A7 geworfen haben. Dabei wurden zwei Personen schwer verletzt. Ihm versuchter Mord zur Last gelegt.

VIDEO: Gullydeckel-Wurf: Mutmaßlicher Täter ist psychisch krank (23.08.2022) (4 Min)

Landkreis: "Keine Hinweise auf Eigen- oder Fremdgefährdung"

Nach der Tat hatten der Bruder des Verdächtigen und der Bürgermeister der Gemeinde Harsum den Behörden Versagen vorgeworfen. Der Landkreis Hildesheim teilte daraufhin am Dienstagabend mit, der Sozialpsychiatrische Dienst habe nicht eingreifen können. Denn bei dem Mann hätten sich keine Hinweise darauf gefunden, dass er sich selbst gefährde. Auch eine Gefährdung anderer Menschen - etwa durch ausgesprochene Drohungen, fremdgefährdendes Verhalten oder Taten - seien in einem Betreuungsgutachten vom März nicht erwähnt worden, heißt es in der Stellungnahme. Und auch der Sozialpädagoge, der seit 2013 für den Mann zuständig ist, habe von dem mutmaßlichen Täter nie Drohungen gegen Dritte gehört. Hinweise auf Fremdgefährdung hätten damit nicht vorgelegen, so der Landkreis.

Dem Gericht fehlte der Antrag des Landkreises

Zuvor hatte das Amtsgericht Hildesheim mitgeteilt, dass es für eine Unterbringung des Mannes einen Antrag des Landkreises gebraucht hätte. Dieser sei nicht gestellt worden, sagte Gerichtssprecher Steffen Kumme am Dienstag dem NDR. Der Landkreis Hildesheim hätte demnach beim Amtsgericht beantragen müssen, dass der Mann untergebracht wird. Ein Gutachten hatte ihn bereits als psychisch krank eingestuft. Doch es gab keinen Antrag vom Landkreis beim Gericht. "Der wäre Voraussetzung für eine Unterbringung gewesen", sagte Kumme.

Videos
Polizeiabsperrung einer Brücke © Screenshot
1 Min

Gullydeckel auf Auto geworfen: Bürgermeister erhebt Vorwürfe (20.08.2022)

Der 50-jährige Täter sei schon länger psychisch auffällig gewesen, das habe er mehrfach den Behörden mitgeteilt. 1 Min

Drohende Körperverletzung ist rechtlich ein Grund für Einweisung

Wenn ein Mensch eine akute Gefahr für sich oder andere darstellt, kann er in einer psychologischen Einrichtung untergebracht werden. Zu unterscheiden ist dies vom Maßregelvollzug: Dafür braucht es einen Strafprozess. Will ein Landkreis einen psychisch kranken Menschen unterbringen lassen, muss dies laut Kumme beim örtlichen Amtsgericht schriftlich beantragt werden. Das Gericht entscheide dann. "Weil es sich dabei aber natürlich um einen Freiheitsentzug handelt, sind die Voraussetzungen auch entsprechend hoch", so Kumme.

"Wegsperren" nur für begrenzten Zeitraum

Solche Voraussetzungen wären, wenn jemand akut selbstmordgefährdet ist oder andere Menschen verletzen könnte, erklärte der Gerichtssprecher weiter. Es reiche nicht, wenn jemand klaut oder verbal ausfällig wird. Ein "Wegsperren" könne zudem nur für einen begrenzten Zeitraum erfolgen. Die Unterbringung einer psychisch kranken Person in einer geschlossenen Anstalt wird geregelt im "Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke". In einem Notfall - sprich wenn wegen der akuten Gefahr die Unterbringung nicht mehr schriftlich beantragt werden kann - kann der Landkreis demnach eine psychiatrisch beurteilte Person auch für einen Tag selbst unterbringen. Nach einem Tag muss dann ein Gericht entscheiden.

Eine lebensgefährlich Verletzte und ein Schwerverletzter

Bei der Attacke am frühen Samstagmorgen hatte einer der Gullydeckel ein auf der A7 fahrendes Auto getroffen und die Windschutzscheibe durchschlagen. Der 52 Jahre alte Fahrer wurde schwer verletzt, seine 43 Jahre alte Beifahrerin lebensgefährlich. Sie stammen aus Baden-Württemberg. Der mutmaßliche Täter war zuvor mit einer Reihe von Straftaten aufgefallen. Der 50-Jährige wurde am Sonntag festgenommen. Ihm wird versuchter Mord vorgeworfen.

Weitere Informationen
Einsatzkräfte in weißer Schutzkleidung halten den Gullydeckel in der Hand, der in das Fahrzeug einschlug. © Hannover Reporter Foto: Hannover Reporter

Gullydeckel auf A7: Bürgermeister wirft Behörden Versagen vor

Die Behörden reagierten nicht angemessen auf Warnungen, so der Vorwurf des Bruder des Tatverdächtigen und des Bürgermeisters. (23.08.2022) mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 23.08.2022 | 21:45 Uhr

Mehr Nachrichten aus der Region

Schriftzug "Feuerwehr" steht auf einem Blaulicht eines Feuerwehrautos. © NDR Foto: Pavel Stoyan

Hannover: Feuerwehr löscht Brand in IGS Bothfeld

Eine Fahrradfahrerin hatte Rauch entdeckt und die Einsatzkräfte informiert. Der Schaden wird auf 50.000 Euro geschätzt. mehr

Mehr Nachrichten aus Niedersachsen