Als Corona nach Uetze kam: Drei Ärzte erinnern sich
Am 29. Februar 2020 erreichte das Coronavirus Niedersachsen. Ein Mann aus Uetze in der Region Hannover hatte sich in Südtirol mit dem Virus infiziert. Nicht nur für den Patienten selbst und seine Angehörigen - und später viele weitere Betroffene im ganzen Land - brach damit eine herausfordernde Zeit an. Auch viele Ärzte und Praxen fanden sich in einer neuen Situation. Felix Reck, Axel Brümmer und Annette Linke sind Ärzte in einer Gemeinschaftspraxis in Uetze - nur wenige Kilometer vom Wohnort des "Patienten 0" entfernt.
Wie haben Sie von dem ersten Fall in Uetze erfahren und was ist Ihnen durch den Kopf gegangen?
Felix Reck: Ich habe es aus der Zeitung erfahren und gleich gedacht: Mensch, jetzt geht's bei uns auch los. Sind wir gut genug vorbereitet? Was müssen wir als Ärzte, als Praxis, jetzt tun, um dem zu erwartenden Infektionsgeschehen zu begegnen? Es hat dann auch nur drei, vier Tage gedauert, da sind wir vom Gesundheitsamt gebeten worden, bei einer Person einen Hausbesuch zu machen. Diese Person war dann auch infiziert. Das ging dann alles recht schnell, dass wir direkt mit Corona konfrontiert worden sind.
Axel Brümmer: Wir waren erst mal völlig perplex. Dass das Infektionsgeschehen näher nach Deutschland kommen wird, das war ja klar. Auch nachdem die ersten Fälle in Bayern aufgetaucht waren. Aber es ist schon ein bisschen die Frage gewesen, warum jetzt gerade Uetze. Es ist eine ländliche Gegend, wo die Menschen relativ viel Platz haben. Es hat sich dann ja herausgestellt, wie das Infektionsgeschehen nach Uetze gelangt ist.
Reiserückkehrer aus Südtirol haben es mitgebracht. Wie hat sich der erste Corona-Hausbesuch angefühlt?
Annette Linke: Ich hatte die ganze Schutzkleidung mit im Auto und habe sie dann vor der Tür draußen angezogen. Es war ein sehr komisches Gefühl. Das kennt man sonst nur aus dem Krankenhaus, dass man sich so intensiv "verkleidet". Wenn man das jetzt draußen auf der Straße machen soll, das war schon komisch. Das hält auch bis heute an.
Wie haben Sie die Menschen in Uetze erlebt - in dem Ort, der als erster in Niedersachsen betroffen war?
Axel Brümmer: Die Menschen waren geschockt. Ähnlich wie wir das waren. Dass man plötzlich mit solchen Bildern konfrontiert wurde, als hier die ersten Rettungswagen mit voll verkleideten Rettungssanitätern in Uetze unterwegs waren und die Bilder durch die sozialen Netzwerke gingen. Das sind Bilder, die kennen wir bisher nur aus den asiatischen Ländern. So etwas hatten wir hier ja noch nicht erlebt. Das gilt für uns Ärzte gleichermaßen.
Haben Sie sich gut auf die Situation vorbereitet gefühlt?
Axel Brümmer: Vorbereitet kann man - glaube ich - auf solch eine Situation, auf solch eine Pandemie, nicht sein. Selbst die älteren Menschen haben so etwas in dieser Form noch nicht mitgemacht. Insofern: Vorbereitet waren wir darauf nicht. Wir haben versucht, zu improvisieren, uns mit Schutzmaterialien zu versorgen und unsere Abläufe zu verändern.
Was haben Sie verändert seit dem Ausbruch?
Felix Reck: Wir haben eine Infekt-Sprechstunde eingerichtet. Das bedeutet, dass wir hier vormittags ab 11.30 Uhr nur noch Patienten mit akuten Infekten einzeln in die Praxis lassen. Wir Ärzte legen dann Schutzkleidung an und versorgen die Patienten. Wir machen Abstriche und schicken sie ins Labor.
Sie mussten auch bei der Schutzkleidung improvisieren. Wie sah das aus?
Annette Linke: Wir hatten schon immer FFP2-Masken, um Tuberkulose-Patienten versorgen zu können - aber natürlich nicht in der erforderlichen Menge. Man hat sich dann beholfen, in dem man auch Sachen von zu Hause mitgebracht hat. Ich habe FFP2-Masken genommen, die ich eigentlich zum Reinigen des Hühnerstalls hatte. Wir haben Schutzkleidung - Maleranzüge - im Baumarkt gekauft. Und wir haben viele Masken genäht, die die Patienten dann nutzen konnten.
Felix Reck: Wir haben uns nach und nach ausgestattet, haben uns auch privat Gesichtsschutz besorgt - mit einer Plexiglasscheibe, die wir dann mit elastischen Bändern am Kopf festgemacht haben - als Spuckschutz. Das hat keiner von uns vorher je machen müssen. Und wir wussten auch gar nicht, ob der Schutz ausreichend ist. Bisher hat sich aber niemand in der Praxis angesteckt.
Haben Sie sich Sorgen gemacht - um sich und Ihre Familien?
Felix Reck: Natürlich. Ich hatte Angst um mich, um meine Familie, meine Angestellten. Die Angst, sich in der Praxis zu infizieren und es mit nach Hause zu tragen, ist immer noch da.
Axel Brümmer: Ja, aber nicht unbedingt um Frau und Kinder, die zum Glück jung und gesund sind. Aber natürlich insbesondere um die ältere Generation, um die Großeltern. Das hat im vergangenen Jahr das Zusammenleben verändert. Wir haben uns nur auf Distanz gesehen, mit mehreren Metern Abstand draußen auf der Terrasse. Das ist für uns genauso belastend wie für den Rest der Bevölkerung auch.
Wie fällt Ihre Bilanz für das vergangene Jahr aus?
Annette Linke: Es war ein schlimmes Jahr. Viele Sorgen, viel Stress. Die Sorge um die Patienten und die Mitarbeiter, das war sehr schlimm.
Axel Brümmer: Ich würde es als dauerhaften Ausnahmezustand beschreiben, aus dem wir uns vielleicht nach und nach herausarbeiten, aber in dem wir uns eigentlich momentan noch befinden.
Haben Sie Hoffnung, dass es bald besser wird?
Annette Linke: Ich habe im Moment nicht so viel Hoffnung, dass es deutlich besser wird. Aber natürlich wünscht man sich das für die Zukunft.
Felix Reck: Wir hoffen erst mal für die nahe Zukunft, dass wir als niedergelassene Ärzte schnell in die Lage versetzt werden, dass wir die Patienten selbst impfen können. Dass genug Impfstoff vorhanden ist, den wir auch lagern können, sodass wir die Bevölkerung schnell durchimpfen können.
Axel Brümmer: Man ist jeden Tag in einem Wechselbad der Gefühle, zwischen hoffnungsvollen Nachrichten - Stichwort Impfung und Rückgang der Infektionszahlen - und einer neuen Fieberkurve, wo dann doch die schlechten Nachrichten überwiegen. Und das geht meiner Wahrnehmung nach noch so weiter.
Haben Sie Kritikpunkte an der Impfstrategie?
Felix Reck: Wir hätten uns sicherlich gewünscht, dass wir als Ärzte und Mitarbeiter, die unmittelbar mit den meisten Erkrankten konfrontiert sind, früher geimpft worden wären. Aber wir sind jetzt ja in der Impf-Priorisierung aufgestiegen.
Axel Brümmer: Wir hätten uns an einigen Stellen auch eine bessere Kommunikation gewünscht. Zum einen was das Impfen angeht, aber auch zu der Entwicklung der breiter angelegten Teststrategien. Das geht leider etwas durcheinander und die Informationen kommen teilweise sehr zögerlich. Wir erfahren viele Dinge auch erst aus der Presse. Als an der Front tätige Arztpraxis würde man sich eine schnelle Information wünschen.
Haben Sie aus der Pandemie etwas gelernt?
Axel Brümmer: Ich glaube, dass wir als Praxis besser für weitere Pandemien gewappnet sein werden, zum Beispiel dass wir mehr Schutzkleidung lagern. Das war bisher nicht im Fokus. Und wir werden sehr wahrscheinlich die Infekt-Sprechstunde fortführen. In der Vergangenheit saßen häufig die Infekt-Patienten und die chirurgischen Patienten beispielsweise zusammen im Wartezimmer. Wir werden sicherlich versuchen, diese Patientengruppen zukünftig voneinander zu trennen.
Das Gespräch führte Martina Witt
Schlagwörter zu diesem Artikel
Coronavirus
