Stand: 17.04.2019 16:30 Uhr

Wo Wasserstoffzüge alte Dieselloks ablösen

von Charlotte Horn, NDR Info

Über ein Fahrverbot für Dieselloks wird in der Öffentlichkeit noch nicht diskutiert. Denn die Bahn gilt insgesamt als umweltfreundlicher - mit weniger Treibhausgasen als Lastwagen, Autos oder Flugzeuge. Doch Experten rechnen auch für die Bahn mit verschärften Auflagen wegen des Schadstoff-Ausstoßes. Laut Bundesverkehrsministerium fahren bundesweit noch auf 40 Prozent der Bahnstrecken Dieselloks, vor allem auf weniger befahrenen Regionalverbindungen. Genau auf so einer Strecke im Norden wird jetzt eine umweltfreundliche Alternative zur Diesellok getestet.

Der Wassserstoffzug "Coradia iLint"  Foto: Charlotte Horn
Der Wassserstoffzug "Coradia iLint" fährt seit einigen Monaten in Niedersachsen.

Der blaue Zug, der im Bahnhof Cuxhaven anrollt, sieht aus wie ein moderner Regionalzug. Statt einer dunklen Wolke aus Diesel-Ruß und Feinstaub stößt der Zug aber Wasserdampf aus. Mehrmals am Tag fährt Triebfahrzeugführerin Andrea Jäger von den Elbe-Weser-Verkehrsbetrieben den weltweit ersten Wasserstoffzug, der seit September 2018 in Niedersachsen unterwegs ist. Gut 100 Kilometer sind es zwischen Buxtehude und Cuxhaven. Gerade hat Jäger den Zug wieder gestartet, die Schienen vor sich genau im Blick. "Sehr geehrte Fahrgäste! Wir begrüßen Sie in der RB 33 nach Cuxhaven. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Fahrt im 'Coradia iLint' - dem Nahverkehrs-Triebzug mit Brennstoffzellen-Hybrid-Technologie", sagt Jäger.

"Ohne dieses Dieselgebrummel"

Triebfahrzeugführerin Andrea Jäger sitzt im Wassserstoffzug "Coradia iLint" .  Foto: Charlotte Horn
Triebfahrzeugführerin Andrea Jäger lobt das gute Fahrverhalten des neuartigen Zuges.

Der Strom für den Zug kommt nicht aus Oberleitungen, sondern aus zwei Brennstoffzellen auf dem Dach. Die verwandeln Wasserstoff und Sauerstoff in elektrische Energie. Zwei zusätzliche Batterien unter dem Zug speichern Energie, die beim Bremsen entsteht, und versorgen den Zug beim Beschleunigen mit Strom. Auf der Regionalstrecke fährt der Zug rund 80 Kilometer pro Stunde, würde aber 140 km/h schaffen. "Der Zug ist wesentlich ruhiger beim Fahren", schildert Jäger. "Es gibt nicht im Hintergrund dieses Dieselgebrummel."

Reisende schätzen ruhige Fahrt

Entwickelt und gebaut hat den Zug das französische Bahn-Technikunternehmen Alstom mit Deutschland-Zentrale im niedersächsischen Salzgitter. Nach Angaben des Unternehmens ist der "iLint" 70 Prozent leiser als herkömmliche Dieseltriebwagen. Das merken auch die Fahrgäste. "Das Fahrverhalten des Zuges finde ich top", sagt ein Fahrgast. Der Zug fahre ungemein leise an. "Man hört ihn kaum."

Der Testbetrieb läuft offenbar gut

Bisher haben die beiden Wasserstoffzüge auf der Teststrecke in den ersten sechs Monaten 100.000 Kilometer zurückgelegt. Wie der Sprecher der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG), Rainer Peters, sagt, ist bisher kein Zug liegengeblieben. Die wenigen Störungen, die es gegeben habe, seien mit Software-Updates behoben worden. In den kommenden drei Jahren wird die LNVG alle Dieselloks auf der Strecke gegen Wasserstoffzüge austauschen. Land und Bund fördern das Projekt mit 90 Millionen Euro. Und das, obwohl Wasserstoffzüge ein Drittel teurer sind als Züge mit Dieselloks. "Da solch ein Wasserstoffzug völlig ohne Schadstoffe fährt, ist der Nutzen für unsere Umwelt und für unsere Volkswirtschaft um ein Vielfaches größer als dieses Plus bei den Anschaffungskosten."

Wie klimafreundlich sind die Züge?

Der Wassserstoffzug "Coradia iLint"  Foto: Charlotte Horn
Ein Wasserstoffzug ist in der Anschaffung teurer als eine herkömmliche Diesellok.

Die LNVG hat berechnet, dass ein Wasserstoffzug im Jahr knapp 260 Tonnen Kohlendioxid spart - gegenüber einer Diesellok. Obwohl der Wasserstoff derzeit aus Energieträgern wie Erdgas gewonnen wird. Bisher bringt ein Lastwagen den Wasserstoff zum Zug. Das soll sich bald ändern: Noch in diesem Jahr beginnt in Bremervörde der Bau der weltweit ersten Wasserstoff-Tankstelle direkt an der Schiene. 2021 soll die Tankstelle in Betrieb genommen werden. Ein Teil des Wasserstoffs soll zudem aus Windkraft-Energie erzeugt werden - im Idealfall sind es dann eines Tages 100 Prozent. "Das würde bedeuten, dass der Zug nicht nur im täglichen Betrieb völlig emissionsfrei ist, sondern dass auch der Wasserstoff, mit dem er betankt werden kann, ein grüner Wasserstoff ist, weil er aus erneuerbaren Energien erzeugt wird", sagt LNVG-Sprecher Peters.

Die Vorteile von Oberleitungen

Auch Jens Hilgenberg vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hält es für einen entscheidenden Faktor, wie der Wasserstoff hergestellt wird. Denn es gehe darum, erneuerbare Energien auf die Schiene zu bekommen. Den Wasserstoff-Zug hält er nur für eine Lösung auf Strecken, auf denen sich keine teuren Oberleitungen lohnen. "Grundsätzlich sagen wir aber auch, dass wir daran interessiert sind, dass möglichst viele Strecken mit Oberleitungen ausgestattet werden, denn die direkte Stromnutzung durch Züge ist natürlich noch besser, als erst den Strom in Wasserstoff umzuwandeln, um ihn dann in einem Zug wieder rückumzuwandeln", sagt Hilgenberg. Ein weiterer Vorteil der Oberleitungen: Die so mit Strom versorgten Loks könnten schwere Güter transportieren. Der Antrieb der Wasserstoffzüge sei dafür zu schwach.

130 Dieselloks müssen ersetzt werden

LNVG-Sprecher Peters setzt daher auch auf einen Mix zur Ablösung der Diesel-Strecken. "Auf der einen Seite werden Strecken elektrifiziert, auf der anderen Seite wird man Wasserstoffzüge einsetzen." Die LNVG muss in den kommenden 20 Jahren rund 130 Dieselloks ersetzen. "Deswegen ist die Erprobung des Wasserstoffzuges so wichtig, weil uns das Aufschluss gibt, ob das eine Technologie ist, mit der wir Dieselzüge ersetzen können und auch etwas für den Klimaschutz tun können", sagt Peters.

Weltweites Interesse

Alstom ist inzwischen auch mit anderen Bundesländern in Verhandlungen. Und auch weltweit ist das Interesse groß. Bisher kamen nicht nur Bahn-Touristen nach Buxtehude, sondern auch offizielle Vertreter aus den Niederlanden, Spanien und Kanada.

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Illustration: Zwei Hände umfassen eine Glühbirne © NDR

NDR Info Perspektiven: Auf der Suche nach Lösungen

In der Reihe NDR Info Perspektiven beschäftigen wir uns mit Lösungsansätzen für die großen Herausforderungen unserer Zeit. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 17.04.2019 | 08:08 Uhr

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