Machtpoker um Rostocker Kindermedizin?
Zu wenig Ärzte an einer Uni-Kinderklinik, eine Kinderintensivstation, die zeitweise dichtmachen muss, und Machtspiele hinter den Kulissen. Und was ist eigentlich aus dem gar nicht so alten Vorhaben eines Eltern-Kind-Zentrums in Rostock geworden?
Viel wird hinter vorgehaltener Hand kritisiert, doch einige sagen auch laut, was sie von der aktuellen Situation an der Kinderklinik halten. Einer davon ist Dr. Steffen Büchner. Er ist selbst niedergelassener Kinderarzt, praktiziert in Güstrow und ist Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Mecklenburg-Vorpommern. Büchner sagt, es sei einfach schlimm, dass die Kinder-Akutversorgung und auch die Intensivversorgung in der größten Stadt des Landes zeitweise nicht mehr gewährleistet werden könne. Eltern sind in Sorge und Kinderärzte schlagen Alarm. Dabei sind die Probleme seit Jahren bekannt.
Intensivpflichtige Kinder müssten nach Greifswald oder Schwerin
In einer Rostocker Kinderarztpraxis ist die vierjährige Marie-Luise zu einer Nachsorge-Untersuchung. Vor kurzem ist sie wegen ihrer Epilepsie operiert worden. Aber noch immer drohen epileptische Anfälle und dann muss das Kind schnellstmöglich in eine Klinik. Marie-Luises Mutter, Kerstin Braasch, hat große Angst: Sie weiß, dass die Kinderintensivstation der Rostocker Universitätsmedizin, kurz ITS, manchmal nicht arbeitsfähig ist: "Wenn ich dann davon ausgehe, dass hier die ITS nicht zur Verfügung steht, dann wird mir ganz angst und bange. Ich kann nicht nach Greifswald fahren oder bis nach Schwerin." Tatsächlich war die Intensivstation der Rostocker Kinderklinik in den vergangenen Wochen mehrfach "abgemeldet", das heißt, Rettungswagen durften sie nicht ansteuern.
Kinderärztin Rinke übt deutliche Kritik
NDR Informationen zufolge gab es zu diesen Zeiten nicht genug Personal für die Aufrechterhaltung der Intensivstation. Die Kinderärztin Cornelia Rinke behandelt Marie-Luise in ihrer Praxis und übt deutliche Kritik an den Zuständen in der Klinik. Es sei ein Versagen der Landesregierung. Das für die Universitätsmedizin zuständige Bildungsministerium habe seit Jahren, trotz aller Hilferufe auch von niedergelassenen Ärzten, die Situation in der Klinik schlicht ignoriert.
Abwärtsspirale seit 20 Jahren
Nach NDR Recherchen haben die Probleme schon vor rund zwei Jahrzehnten angefangen: Damals wurde politisch die Entscheidung getroffen, verschiedene Bereiche der Kinder- und Jugendmedizin voneinander zu trennen. Ein Teil der medizinischen Leistungen und Angebote ging danach an die städtische Rostocker Südstadtklinik, ein anderer Teil blieb bei der in Trägerschaft des Landes befindlichen Universitätsmedizin.
Für die Berichterstattung über diese Entwicklung finden sich Wenige, die offen kritisch sprechen. Prof. Dr. Michael Radke arbeitet seit vielen Jahren an der Kinderklinik der Universitätsmedizin Rostock, war sogar dort Direktor. Mittlerweile hält er in der Klinik nur noch einzelne Sprechstunden ab, denn er ist im Ruhestand. Für ihn ist klar, so ein Strukturproblem wie in der Rostocker Kindermedizin sei bundesweit einmalig.
Klar ist, Kinder- und Jugendmedizin auf hohem Niveau, wie es von einer Universitätsklinik erwartet wird, ist aufwendig und teuer. Alle Fachleute sind sich einig, dass in diesem Bereich weder eine "schwarze Null" oder gar Gewinne zu erzielen sind. - Gründe hierfür liegen unter anderem in der deutschen Krankenhausfinanzierung und dem dafür eingesetzten Abrechnungssystem, was in Folge 35 unseres Podcasts Dorf Stadt Kreis eingehend beleuchtet worden ist. Gerade hat der Direktor der Kinderklinik um Aufhebung seines Arbeitsvertrages gebeten. Er ist damit schon der zweite Chef, der sagt, unter diesen Bedingungen könne er keine Verantwortung für die Klinik übernehmen.
Schönfärberei auf der Homepage?
Auf der Internetseite der Klinik werden Stand heute 33 Oberärzte, Fachärzte und Assistenzärzte aufgelistet. Hinterfragt man deren tatsächliche Arbeitszeiten in der Kinderklinik, kommt man in Summe auf weniger als 20 Vollzeitstellen. Alle im Zuge der Recherche befragten Fachleute sind sich einig: die medizinische Versorgung von Kindern- und Jugendlichen würde sich in Rostock deutlich verbessern, wenn man ein Eltern-Kind-Zentrum bauen würde. Tatsächlich laufen die Planungen dafür seit vielen Jahren und waren schon sehr konkret: Ein Neubau auf dem Gelände der städtischen Südstadtklinik hätte es werden sollen, betrieben gemeinsam von der Rostocker Universität und der Südstadtklinik. Das bestätigt auch Steffen Büchner vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte MV.
Eltern-Kind-Zentrum als Lösung der Probleme
Auf der Suche nach den Gründen für diese Blockade ist einer der wichtigen Ansprechpartner Professor Emil Reisinger. Seit 2006 ist er Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Rostock und seit 2012 Mitglied im Vorstand der Unimedizin. Für das Eltern-Kind-Zentrums hätte laut der damaligen Pläne bereits 2020 Baubeginn sein sollen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es während der NDR Recherche, Reisinger hätte das Projekt damals maßgeblich blockiert. Direkt danach gefragt, antwortet Reisinger ausweichend und widerspricht - Zitat: "Wir haben viele Gespräche geführt. Ich erinnere mich an intensive Gespräche 2013 um die Schaffung eines Mutter-Kind-Zentrums, wie wir es damals nannten und es war eben die Finanzierung damals nicht gesichert, Baugrund war nicht gesichert, Trägerschaft und Betreiberschaft waren strittig und daher ist es nicht weitergegangen."
Offenbar will niemand Verantwortung übernehmen
Es steht also Aussage gegen Aussage. Denn langjährige Beobachter des Prozesses eines Eltern-Kind-Zentrums, wie Prof. Dr. Michael Radke, bringen es auf den Punkt: Er sagt, es habe schon damals ganz klare detailgetreue Planungen gegeben. Die seien zwar noch nicht vollständig gewesen, aber das medizinische Konzept habe gestanden. Doch offenbar will niemand die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Pläne seit Jahren stagnieren. So entsteht zum jetzigen Zeitpunkt der Recherche der Eindruck, hinter den Kulissen gehe es letztlich um Machtgehabe und das Sichern von Pfründen und das alles auf dem Rücken der Schwächsten, nämlich der kleinen Patienten.
