Anhaltende Vorwürfe um Psychiatrie in Rostock-Gehlsdorf
Insgesamt 30 Beschwerden wegen unrechtmäßiger Sedierung und Fixierung von Patienten sowie Fehltherapien sind in den vergangenen rund zwei Jahren bei der Landesärztekammer in Rostock eingegangen. Sie betreffen die Psychiatrie im Zentrum für Nervenheilkunde in Rostock. Die Universitätsmedizin sieht sich zu Unrecht beschuldigt.
Bereits vor rund zwei Jahren gab es öffentlich heftige Auseinandersetzungen zwischen der Landes-Ärztekammer und der Psychiatrischen Klinik der Unimedizin Rostock. Damals waren sieben Beschwerden bei der Ärztekammer eingegangen. Die Ärztekammer hatte damals Anzeige gegen leitende Ärzte der Psychiatrischen Klinik erstattet. Mittlerweile sind die Ermittlungsverfahren dazu eingestellt, die internen Gutachten offiziell abgeschlossen - und dennoch scheint keine Ruhe einzukehren: Seitdem kamen laut Ärztekammer weitere 23 Beschwerden mit ähnlichem Inhalt an.
Vorwurf: Unrechtmäßige Sedierungen und Fixierungen
Weiterhin beschweren sich Patienten, Angehörige und auch ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Psychiatrie im Rostocker Stadtteil Gehlsdorf bei der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern. "Inhaltlich wird weiterhin eine unrechtmäßige Sedierung beziehungsweise Fixierung beanstandet sowie mangelnde Therapieangebote und zum Teil Fehltherapien", teilt die Sprecherin der Ärztekammer auf NDR Anfrage mit. Bemängelt würden unter anderem eine nicht vorschriftsgemäße Betreuung von fixierten Patienten. Die Ärztekammer verweist darauf, dass die Fixierung von Menschen an Armen, Beinen und Bauch laut Bundesverfassungsgericht sogar die Folterdefinition der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen erfülle. Entsprechend wichtig sei, die Regularien dazu genauestens einzuhalten.
Unimedizin: Fixierungen als "Mittel der letzten Wahl"
Die Rostocker Unimedizin, zu der die Gehlsdorfer Psychiatrie gehört, zeigt sich "tief betroffen" von den wiederholten Anschuldigungen und weist sie klar zurück."Sie verunsichern nicht nur die Mitarbeiter der Klinik, sondern auch unsere Patienten, die vor allem eines verdient haben: Ruhe und Verlässlichkeit", betont eine Sprecherin. Die Vorwürfe zum Thema hätten sich bereits vor zwei Jahren "nach objektiver Prüfung und internen Gutachten" als haltlos erwiesen. Eine Fixierung sei "immer das Mittel der letzten Wahl". Die Methode würde nur in seltenen Ausnahmefällen angewandt, zum Beispiel, wenn Patienten hoch suizidal seien, beziehungsweise ein hohes Aggressionspotenzial gegenüber sich und anderen zeigen. Die Uniklinik beteuert, dass sich Mitarbeitende während der gesamten Zeit der Fixierung um Patienten kümmern. "Keine andere Einrichtung in Rostock und Umgebung ist bereit und in der Lage, diese schwere Verantwortung für psychisch Schwerstkranke zu übernehmen", betont die Unimedizin. Die wiederholten Anschuldigungen werte sie als Angriff: "Sowohl der Vorstand als auch der Klinikdirektor sowie sein Team wünschen sich im Namen der Patienten sehr, dass die Angriffe im Interesse vor allem unserer Patienten und ihrer Angehörigen beendet werden und Ruhe einkehrt." Seit mittlerweile mehr als zwei Jahren stehen Unimedizin-Aussagen gegen Ärztekammer-Aussagen.
Fronten verhärten sich
Die Fronten scheinen sich derweil weiter zu verhärten. Von Seiten der Unimedizin heißt es dazu: "Es ist bedauerlich, dass die Ärztekammer den Bitten nach einem gemeinsamen klärenden Gespräch bis heute nicht entsprochen hat." Die Kammer wiederum teilt mit: "Die Ärztekammer steht weiterhin in Kontakt mit der Unimedizin zu dem Thema." Die Stadt Rostock sieht sich in die aktuellen Entwicklungen nicht involviert: "Die Stadt hat von vermeintlichen neuen Vorwürfen wiederum nur aus Medien erfahren, da die Ärztekammer auch weiterhin darauf verzichtet, entsprechende Dokumente zu übergeben", heißt es aus der Pressestelle des Rathauses. Inhaltlich sieht die Stadt die alten Vorwürfe jedoch als ausreichend aufgearbeitet: "Der Ausschuss war mit der Aufarbeitung der von der Ärztekammer erhobenen Vorwürfe durch das Gesundheitsamt sehr zufrieden und sah keine Notwendigkeit einer weiteren Befassung."
Eklat um Kontrollkommission vor zwei Jahren
Bereits vor rund zwei Jahren hatte die Stadt Rostock die Ärztekammer für eine gemeinsame unangekündigte Kontrolle um Amtshilfe gebeten. Im Kern ging es darum, zu prüfen, ob die Psychiatrische Klinik sich an die Vorgaben des Psychisch-Kranken-Gesetzes MV hält - oder, wie in den Vorwürfen behauptet, nicht. Ergebnisse der Kontrolle wurden jedoch nie veröffentlicht. Die Vorwürfe rund um die Kontrolle machten landesweit Schlagzeilen. Allerdings stufte das Landesgesundheitsministerium sie im Nachgang als unzulässig ein: "Die Kontrollen waren in der vorgenommenen Art und Weise weder recht- noch zweckmäßig", hieß es damals.
Ärztekammer verklagt jetzt Gesundheitsministerium
Die Ärztekammer wollte daraufhin die Akten einsehen, auf denen diese Einschätzung fußte. "Die Ärztekammer steht in der Kritik und muss die Chance haben, die Kritik zu prüfen", so die Kammer in einem aktuellen Statement. Doch die Einsicht wurde nicht gewährt. Das Gesundheitsministerium teilt dazu gegenüber dem NDR mit: "Gegenstand der Prüfung des Ministeriums war allein das behördliche Handeln der Hanse- und Universitätsstadt Rostock." Demnach habe die Ärztekammer keinen Anspruch auf die Akteneinsicht. Als Konsequenz ist die Kammer nun vor Gericht gezogen.
Neubau der Klinik geplant
Zumindest in einem Punkt scheinen sich alle Beteiligten einig zu sein: Die Psychiatrie in Gehlsdorf weise bauliche Mängel auf. Die Uniklinik ist bereits auf Lösungssuche: "Auf dem Gelände in Gehlsdorf sollen perspektivisch zwei große Neubauten für die Psychiatrie entstehen", so die Sprecherin der Uniklinik. Mittelfristig solle ein Modulgebäude die Versorgung der wichtigsten Bereiche absichern und eine Station werde kurzfristig auf die Neurologie in der Schillingallee umziehen. Ein zeitlicher Rahmen für den Neubau ist bisher noch nicht bekannt.
