IGLU-Studie: Jeder vierte Viertklässler kann nicht richtig lesen

Stand: 16.05.2023 17:20 Uhr

Immer mehr Viertklässler in Deutschland können laut einer Studie nicht richtig lesen. Jedem vierten Kind fehlt demnach das Mindestniveau beim Textverständnis, das für die Anforderungen im weiteren Verlauf der Schulzeit nötig wäre.

Die am Dienstag in Berlin veröffentlichte Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) zeigt, dass 25 Prozent der Kinder in dieser Altersstufe 2021 nicht die entsprechende Lesekompetenz hatten, die eigentlich für einen weiteren Schulbesuch nötig wäre. Bei der letzten IGLU-Erhebung, die Ende 2017 veröffentlicht wurde, lag der Anteil dieser Gruppe noch bei 19 Prozent. Die betroffene Gruppe werde in ihrer weiteren Schullaufbahn "erhebliche Schwierigkeiten in fast allen Schulfächern haben", sofern sie den Rückstand nicht aufholen könne.

Schlechtes Zeugnis für deutsche Bildungspolitik

Die Autorinnen und Autoren der Studie stellen der deutschen Bildungspolitik ein schlechtes Zeugnis aus: Die von der Kultusministerkonferenz (KMK) vor mehr als 20 Jahren im Zuge des sogenannten PISA-Schocks formulierten Ziele für die Weiterentwicklung der Bildung in Deutschland seien an vielen Stellen verfehlt worden. Die Lesezeit im Unterricht pro Woche sei in Deutschland mit durchschnittlich 141 Minuten im internationalen Vergleich gering.

Weitere Informationen
Kirsten Boie © Screenshot

Kommentar zur IGLU-Studie: Lesekompetenz ist nationale Aufgabe

Fast 20 Prozent der Viertklässler können nicht richtig lesen. Dagegen müsse dringend etwas getan werden, meint Kirsten Boie im Kommentar. mehr

Bildungsministerin: Studienergebnisse "alarmierend"

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) nannte die Studienergebnisse in Bezug auf die Lesekompetenz "alarmierend". Gut lesen zu können, sei "eine der wichtigsten Grundkompetenzen und das Fundament für Bildungserfolg". Die Studie zeige, "dass wir dringend eine bildungspolitische Trendwende benötigen, damit es mit den Leistungen unserer Kinder und Jugendlichen wieder bergauf geht", resümierte Stark-Watzinger.

Weitere Informationen
Ein Junge stützt seinen Kopf auf seine Hand und schaut skeptisch in ein Buch. © picture alliance / imageBROKER Foto: Dr. Wilfried Bahnmüller

IGLU-Studie: Schulleiter rät Eltern, mehr mit Kindern zu lesen

Grundschulleiter Hartmut Lenz befürchtet, dass die Pandemie sich negativ auf die Lesefähigkeit ausgewirkt hat. Heute wird eine neue Studie dazu vorgestellt. mehr

GEW: "Ohne solide Lesekompetenz kein Schulabschluss"

Bernd Schauer, Schleswig-Holsteins Landes-Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sprach im Interview mit dem NDR von einem gesellschaftlichen Skandal: "Ohne solide Lesekompetenz kriegt man keinen Schulabschluss, man kriegt keinen Ausbildungsplatz und da muss die Politik unbedingt etwas tun." Schauer forderte mehr Geld für Bildung, mehr gezielte Leseförderprogramme, mehr multiprofessionelle Teams in den Grundschulen. Zudem müssten die Lehrerinnen und Lehrer dort in die Lage versetzt werden, mit den "schwierigen Bedingungen", die sich durch viele Kinder verschiedener Herkunft abzeichneten, zurechtzukommen.

Keine Fortschritte bei Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Im Hinblick auf die Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland habe sich in den vergangenen 20 Jahren praktisch nichts verändert. "Die sozialen und migrationsbedingten Disparitäten in Deutschland konnten seit 2001 nicht reduziert werden", heißt es in der Untersuchung. Weiterhin haben Kinder aus privilegierten Elternhäusern größere Chancen auf Bildungserfolg als andere Kinder.

Negative Einflüsse durch Corona-bedingte Schulschließungen

Aber die Entwicklung sei nicht nur auf eine Veränderung der Zusammensetzung der Schülerschaft zurückzuführen. Angenommen wird auch, dass es einen Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gibt. Der Schulbetrieb war während dieser Zeit stark eingeschränkt, etwa durch Schließungen.

Weitere Informationen
Ein Mädchen hält einen Kugelschreiber in der Hand. © fotolia.com Foto: WavebreakMediaMicro

Corona-Aufholprogramme sollen an Hamburgs Schulen weitergehen

Laut Schulsenator Rabe will die Stadt einen Teil der Angebote weiter finanzieren, die bisher vom Bund bezahlt wurden. mehr

Lese-Leistung in Deutschland schlechter als in England oder Polen

Die Viertklässler in Deutschland landen im internationalen Lese-Vergleich im Mittelfeld, etwa im EU- und OECD-Schnitt. Länder wie Spanien, Frankreich oder Belgien schneiden schlechter ab. Weit besser als in Deutschland sind die Lese-Leistungen dagegen zum Beispiel in England oder Polen.

Die IGLU-Studie untersucht im Fünfjahresabstand das Leseverständnis der Schulkinder, ihre Einstellung zum Lesen und ihre Lesegewohnheiten. In Deutschland beteiligten sich im vergangenen Jahr 4.611 Schülerinnen und Schüler aus 252 vierten Klassen an der Studie. International nahmen rund 400.000 Viertklässler aus 65 Staaten und Regionen daran teil.

Weitere Informationen
Zwei Kinder liegen auf einer Wiese und lesen © IMAGO / YAY Images
4 Min

Neue IGLU-Studie: Wie steht es um die Lesekompetenz der Grundschüler?

Grundschulleiter Hartmut Lenz befürchtet, dass sich die Corona-Pandemie negativ auf die Lesekompetenz der Schüler und Schülerinnen ausgewirkt hat. 4 Min

Ein Schüler lernt zu Hause © Fotolia.com Foto: Firma V

Jeder vierte Viertklässler kann nicht richtig lesen

Schülerinnen und Schüler schneiden weit schlechter ab als Gleichaltrige in vielen anderen Ländern. Mehr bei tagesschau.de extern

Ein Junge stützt seinen Kopf auf seine Hand und schaut skeptisch in ein Buch. © picture alliance / imageBROKER Foto: Dr. Wilfried Bahnmüller

Jedes fünfte Kind kann nicht richtig lesen

Fast 20 Prozent der Viertklässler können nicht richtig lesen. Experten erklären, warum Grundschulen in Deutschland Nachholbedarf in der Leseförderung haben. (23.04.2019) mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 16.05.2023 | 10:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Schule

Mehr Nachrichten

Stau auf der Autobahn - in einem Rückspiegel sind stehende Autos zu sehen. © picture alliance / dpa | Daniel Bockwoldt Foto: Daniel Bockwoldt

Osterverkehr: ADAC rechnet ab heute mit vielen Staus

So werden Pendelnde und Urlaubsreisende zeitgleich unterwegs sein. Auch für Ostermontag wird viel Verkehr erwartet. mehr