Tigerfest - Tim Fischers Hommage an Georg Kreisler

Stand: 01.11.2023 12:15 Uhr

Als der legendäre Sprachkünstler Georg Kreisler 2001 seine Abschiedstournee gegeben hat, trat sein Freund und Kollege Tim Fischer an, um von ihm "die Fackel der kultivierten Boshaftigkeit zu übernehmen". Am 18. Juli 2022 wäre Kreisler 100 Jahre alt geworden.

Tim Fischer nahm den runden Geburtstag zum Anlass, um den gebürtigen Wiener mit einer Hommage zu ehren. "Tigerfest" heißt das Programm, ein gleichnamiges Album ist ebenfalls erschienen. Tim Fischer hat dafür in Kreislers Repertoire Neues gesucht und gefunden: zeitlos aktuelle Höhepunkte aus dem Gesamtkunstwerk eines optimistischen Pessimisten. Für sein Livekonzert bei NDR Kultur EXTRA am 23. November 2022 reduzierte Fischer seine Band auf den fabelhaften Vibraphonisten Hauke Renken.

Georg Kreisler hatte ein auffällig gutes Gespür für das weibliche Seelenleben. Du singst in deinem Programm einige Titel, die er für Frauen geschrieben hat. Woher hatte Kreisler dieses Gespür?

Tim Fischer: Das ist ganz besonders. Es gibt wenige männliche Texter und Kompositeure, die sich so feinfühlig in das Seelenleben einer Frau einfühlen können. Kurt Tucholsky hatte die Fähigkeit, der hat auch wunderbare Gedichte geschrieben, zum Beispiel "Die geschiedene Frau", wo man denkt, das ist wie selbst erlebt. Kreisler war nichts Menschliches fremd und so konnte er sich auch gut mit der weiblichen Psyche auseinandersetzen und diese in Liedform gießen. So haben wir uns entschlossen, im ersten Programmteil in unserem Konzert die männlichen Lieder zu singen, wenn es so etwas überhaupt gibt, weil letztendlich ist es ja alles menschlich. Im zweiten Teil bringe ich die Frauen-Lieder. Das ist so abwechslungsreich und von einer solchen Schönheit - von der aggressiven Furie, von der Eifersüchtigen bis hin zur verzweifelten, total introvertierten Mädchenseele. Er hat alle oder sehr viele Zustände in Lieder gefasst.

Tim Fischer © picture alliance / Eventpress Hoensch
AUDIO: Tigerfest - Tim Fischers Hommage an Georg Kreisler (54 Min)

Das kommt Dir als Chansonnier sehr entgegen. Du liebst den Wechsel zwischen den Rollen. Und Du machst das auch optisch mit dem Kostümwechsel in deiner Show. Am Anfang seid ihr alle in eleganten Fräcken und dann steigst du um auf hautenges Latex - ein Latexkleid in knallrot mit Perücke.

Fischer: Mein Bestreben war eigentlich, eine Frau darzustellen, die die Traumfrau von Georg Kreisler sein könnte. Also habe ich rote Haare auf der Bühne, ein sexy Kleid und schmeiß mich wirklich in die verschiedensten weiblichen Stimmungen hinein.

Hätte Kreisler das gefallen?

Fischer: Ja, ich bin überzeugt. Georg Kreisler war überhaupt sehr offen. Der hat nicht besonders kategorisiert. Er hat es nur nicht gemocht, wenn seine Lieder verunstaltet wurden. Jemand wie Kreisler musste, glaube ich, sehr stark reflektieren, um überhaupt überleben zu können. Ich glaube, er war - Konstantin Wecker hat das mal gesagt - ein verzweifelt Liebender. Er brauchte die Kunst, um sich auszudrücken und um nicht zu implodieren oder Amok zu laufen.

Das Gespräch führte Claus Röck

Weitere Informationen
Drei Männer stehen nebeneinander und lächeln in die Kamera. © Ekaterina Shurygina / NDR Foto: Ekaterina Shurygina / NDR

NDR Kultur EXTRA: Musiker bekommen eine Bühne

Immer mittwochs bietet NDR Kultur ab 13 Uhr Künstlerinnen und Künstlern im Studio eine Bühne. mehr

Eine Frau steht neben einem Mann, der sitzt und hält eine Gitarre. Beide lächeln freundlich in die Kamera. © Claus Röck / NDR Foto: Claus Röck

Kateryna Ostrovska will jüdische Landschaften kulturell neu bepflanzen

Die russisch-ukrainische Sängerin mit Wahlheimat Hamburg stellt mit "Blondzhendike Lider" ein "modernes jüdisches Gesamtkunstwerk" vor. mehr

Ein junger Mann sitzt vor einer Wand und hält seine Geige am Kinn, bereit zum Spielen. © Matthias Well

Matthias Well und Lilian Akopova - Faszination Jazz

Der Münchner Geiger und die armenisch-ukrainische Pianistin lassen die Grenzen zwischen Jazz und Klassik verschwinden. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur à la carte | 01.11.2023 | 13:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Klassik

Theater

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Porträt von Philipp Schmid © NDR Foto: Sinje Hasheider

Philipps Playlist

Philipp Schmid kennt für jede Lebenslage die richtige Musik. Egal ob Pop, Klassik oder Jazz. Träumt Euch zusammen mit ihm aus dem Alltag! mehr

Peter Urban © NDR Foto: Andreas Rehmann

Urban Pop - Musiktalk mit Peter Urban

Spannende Stories, legendäre Konzerte, bewegende Begegnungen: Peter Urban hat viel erlebt und noch mehr zu erzählen. mehr

Mehr Kultur

Ein Schlagzeug steht vor einem Banner von NDR Kultur und einer Topfplanze. © NDR Foto: Tom Holste

NDR Kultur PopUp! Konzerte: "Es war toll, im Norden unterwegs zu sein!"

Vier Wochen lang haben Künstlerinnen und Künstler an besonderen Orten in Norddeutschland gespielt. Lesen Sie hier, wie es war! mehr