Kateryna Ostrovska im Porträt © Luciola Villela

Kateryna Ostrovska will jüdische Landschaften kulturell neu bepflanzen

Stand: 11.11.2022 06:35 Uhr

Kateryna Ostrovska komponiert über kulturelle Grenzen hinweg. Wenn man auf ihre Biografie schaut, wundert das nicht: Mit 17 Jahren kam sie aus der Ukraine nach Hamburg, wo sie eine neue Heimat fand.

Die jüdischen Wurzeln hat Kateryna Ostrovska nie vergessen. Unter dem Künstlernamen Rosa Morena Russa singt sie auf Russisch, Portugiesisch und Deutsch. Gerade ist ihr neues Album mit Liedern in jiddischer Sprache erschienen: "Blondzhendike Lider" heißt auf Deutsch so viel wie "Wandernde Lieder" oder "Wandernde Gedichte".

Inspiriert dazu wurde Kateryna, als sie in einer Pandemie-Nacht Werke von vier jüdischen Dichterinnen las und viele Gemeinsamkeiten zwischen sich und ihnen entdeckte - als Frau, Jüdin, Künstlerin und Immigrantin. Herausgekommen ist ein bemerkenswert internationales Album, an dem mehr als 50 Künstlerinnen und Künstler aus Deutschland, Russland, Brasilien, Argentinien und den USA beteiligt sind. Bei NDR Kultur hat Kateryna Ostrovksa gemeinsam mit dem Gitarristen Hartmut Preyer eine Duofassung der "Blondzhendike Lider" präsentiert.

Eine Idee von Dir war es, auf dem Album Menschen zusammenzubringen. Was war die Initialzündung für Dich, das zu machen?

Kateryna Ostrovska: Das war die Corona-Pandemie. Man hatte sehr viel Zeit und es gab sehr lange Winternächte. Ich habe mich grundsätzlich gefragt, was will ich in diesem Leben noch machen? Gleichzeitig fiel mir ein Buch in die Hände, das mir ein Freund geschenkt hat. In diesem Buch standen jiddische Gedichte von vier herausragenden jüdischen Dichterinnen. Das waren alles Frauen, ungefähr Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.

Ich fühlte mich diesen Bildern in den Gedichten besonders verbunden und so ist das entstanden. Ich wollte diese Gedichte unbedingt vertonen. Vorher habe ich so gut wie noch nie Gedichte vertont. Und ich wollte mich auch mit meiner Herkunft auseinandersetzen. Ich hatte das Gefühl, dass ich ganz viel mit diesen Gedichten anfangen kann, vor allem auf emotionaler Ebene. So habe ich mich mit diesen Frauen verbunden, beziehungsweise ihre Kunst fortgeführt. So ist das entstanden.

Der 9. November ist der Tag des Gedenkens an die Pogromnacht von 1938. Was für ein Signal willst Du an diesem Tag senden?

Ostrovska: Die riesige Verwüstung, die nicht nur in den jüdischen Läden, sondern auch in der jüdischen Kultur hinterlassen wurde, ist furchtbar. Dadurch ist auch maßgeblich die Sprache verloren gegangen. Und genau die sollte man benutzen und dadurch wieder eine Kultur schaffen, damit da, wo vielleicht nichts ist, etwas Neues entsteht - wie eine kulturelle Neubepflanzung von jüdischen Landschaften. Das ist das, was ich heute mache, und darüber bin ich sehr froh.

Du singst neben dem Jiddischen auch in anderen Sprachen. Hat dich das Jiddische denn schon lange begleitet?

Ostrovska: Ja, das hat mich seit meiner Geburt begleitet. Ich bin mit einer jiddischsprachigen Oma aufgewachsen, sie sprach nicht mehr fließend, aber diese ganzen Floskeln, die normalerweise in jüdischen Familien vorkommen, die auch international bekannt sind, darunter auch ein paar Schimpfworte, die sprach sie noch. Ich bin noch in der Sowjetunion aufgewachsen, wo der Antisemitismus sehr präsent war, auch in meiner Familie. Da gab es auch die Angst, sich als Jude zu outen. Das war etwas, womit ich als Kind sehr viel zu tun hatte. Mit der Perestroika ist die kulturelle Identität in das Leben der Leute getreten. Ich kann mich gut erinnern, dass in der Zeit - da habe ich schon in der Ukraine gelebt - nicht nur jüdische Kollektive entstanden sind.

Ich war zum Beispiel in einem jüdischen Kindertheater aktiv, wo man viel auf Jiddisch gesungen hat. Die meisten Kinder sprachen kein Jiddisch, hatten aber einen jüdischen Hintergrund. Die Leute, die sie betreut haben, waren damals schon älter und sprachen Jiddisch - die haben die jiddische Sprache an die Kinder weitergegeben. Aber in der Ukraine war es so, dass es ein Revival der ukrainischen Sprache gab. Die ersten Rockbands haben plötzlich hippe Musik auf ukrainisch gemacht. Es gab dann auch die ersten multiethnischen Festivals. Plötzlich waren wir zu einem Festival eingeladen, wo auch griechische Minderheiten waren. Das war einfach eine ganz besondere Zeit. Seit dieser Zeit ist das Jiddische präsent in meinem Leben.

Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.

 

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