77. Sommerlichen Musiktage Hitzacker sind gestartet
Es ist das älteste Kammermusikfestival Deutschlands: die Sommerlichen Musiktage Hitzacker. Dabei treffen Tradition und die Gegenwart aufeinander. Das Motto: "Zeit.Räume". Nun haben sie begonnen.
Acht nach acht oder elf nach elf - selbst bei den Anfangszeiten gehen die Sommerlichen Musiktage Hitzacker eigene Wege. Um fünf nach fünf können Frühaufsteher sogar ein Open Air-Klavierkonzert zum Sonnenaufgang erleben, sagt Oliver Wille, Festivalintendant: "Es gibt zwar vertraute Komponisten, die gespielt werden, aber eigentlich ist fast jedes Konzert außergewöhnlich ungewöhnlich“.
Wille ist als Geiger des Kuss Quartetts selbst an vielen ungewöhnlichen Projekten beteiligt. Das fängt gleich an mit der Uraufführung von "Kokon" im Eröffnungskonzert. Ein Kooperationsprojekt von Künstlern verschiedener Sparten, das durch lustvolles Experimentieren entstanden ist, so Wille: "Wir haben zum Beispiel einen Mendelssohn-Streichquartettsatz gespielt, und der wurde durch Schlagzeug, durch Slam Poetry oder durch Choreographie, Tanz unterbrochen, mit verschiedenen Störfaktoren oder genau dem Gegenteil von Störung. Und das hat so eine Freude gemacht, und da sind so tolle Ideen daraus geworden, dass wir uns damals gedacht haben, wir stellen verschiedene Module zusammen, die wir dann später in Konzerten zusammenbauen können, je nach Bedarf."
Kammerorchester präsentiert Musik zum Thema Insektensterben
"Zeit.Räume" lautet das Festivalmotto in diesem Jahr, entstanden aus den Erfahrungen im ersten Pandemie-Jahr 2020. Dieses Motto eröffnet - buchstäblich - unzählige Spiel-Möglichkeiten. Der Pianist Jan Philip Schulze, zum Beispiel, möchte gleich 1.000 Jahre Lied-Geschichte unter die Lupe nehmen: "Ich ärgere mich nämlich immer wieder darüber, dass man eigentlich von Schubert bis Strauss das Repertoire pflegt, und alles andere, was es da zu entdecken gibt, stiefmütterlich behandelt. Und das können wir jetzt in Hitzacker mal beleuchten."
Dazu gehören etwa eine Masterclass und ein Konzert des Tenors Ian Bostridge, eine eigene Liedakademie, sowie ein Abend mit preisgekrönten Liedduos und dem Mandolinisten Alon Sariel. Zu Gast im Sommer 2022 sind auch Künstlerinnen und Künstler, die in den vergangenen beiden Jahren aufgrund von Reisebeschränkungen nicht kommen konnten: die armenisch-amerikanische Bratschistin Kim Kashkashian und die Camerata Bern. Das innovative Kammerorchester präsentiert ein ganzes "Insektarium", konzipiert von dem Cellisten Martin Merker: "Dahinter steckt die Challenge, auf irgendeine Weise das Thema Insektensterben zu thematisieren. Neben dem Flohwalzer fällt einem da vielleicht erst mal der Hummelflug von Rimskij-Korsakow ein. Ich hab‘ aber so viele Dinge gefunden, dass sie kaum in dieses Programm zu bringen waren, und hab‘ diese Insekten-Stücke über die verschiedenen Epochen versucht, mit Trauermusiken tatsächlich zu kombinieren."
Publikum wird nicht nur unterhalten, sondern auch gefordert
Weitere Künstlergespräche und Videogrüße sind schon jetzt auf der Website der Sommerlichen Musiktage zu finden. Kein Zweifel: Das Publikum in Hitzacker wird nicht nur unterhalten, sondern auch gefordert - und zur Beteiligung eingeladen: beim täglichen Chorsingen für alle um neun nach neun, bei kleinen Festival-Walks und bei Hörer-Akademien mit Künstlern wie Pierre Laurent Aimard und Viviane Hagner.
Rückblick auf die Entstehung der Musiktage
Seit 1946 ist es so: Immer Ende Juli/Anfang August ist Hitzacker, der verträumte Ort an der Elbe, eine gute Woche lang erfüllt von Klängen unterschiedlichster Art und wird zu einem Platz der Begegnung und des intensiven Austauschs. Das besondere Profil des ältesten Kammermusik-Festivals in Deutschland war von Anfang an geprägt von der Idee, alte und neue Kammermusik zusammenzuführen. Bis heute hat sich dieses Prinzip erhalten, wurde aber immer wieder auf originelle Weise neu interpretiert.