Ein Liftvan mit dem Umzugsgut jüdischer Emigranten mit dem Ziel Montevideo. © Stadtarchiv Dannenberg (Elbe)

TV-Tipp: "Das Raubkunst-Puzzle" - geraubt, versteigert, verschwunden

Stand: 08.06.2022 13:00 Uhr

Möbel, Kunst, Kleider: All das sollte vielen jüdischen Emigranten nachgeschickt werden. Doch oft konfiszierten die Nazis den Besitz und ließen das Raubgut versteigern. Kathrin Kleibl geht auf Spurensuche.

von Silke Lahmann-Lammert

Stellen Sie sich vor, Sie müssen aus Ihrem Land fliehen. Sie packen alles, was Sie besitzen, in einen Container und bezahlen dafür, dass er Ihnen nachgeschickt wird. Doch wenn Sie Ihr Ziel erreichen, warten Sie dort vergeblich auf ihr Hab und Gut. Unzähligen jüdischen Familien, die von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben wurden, ist genau das passiert. Ein Film im NDR Fernsehen erzählt nicht nur die schmerzhafte Geschichte der Betroffenen, er beleuchtet auch, wer davon profitiert hat.

Ihr Leben kann Lotte Koch retten. Mit einem der letzten Schiffe, auf denen jüdische Emigranten Deutschland verlassen dürfen, flieht die Wiesbadener Arztwitwe nach England.

Ihr Hab und Gut - auch die Kunstsammlung - soll folgen. So das Versprechen. Über Hamburg - den Südwesthafen. Filmmoderation aus "Das Raubkunst-Puzzle"

Doch Lotte Koch wartet vergeblich auf ihren "Liftvan": Den hölzernen Container mit ihren Möbeln und all den Gegenständen, an denen ihr Herz hängt. Ein ganzes Leben ist darin aufbewahrt: Briefe, Fotos, Erinnerungen.

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Montage eines Porträts der Provenienzforscherin Dr. Kathrin Kleibl und eines chinesischen Buddha-Kopfes. © NDR

Das Raubkunst-Puzzle - Suche nach Gerechtigkeit

Der organisierte Kunstraub der Nationalsozialisten an jüdischen Familien ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt. mehr

Umzugsgüter von Gestapo beschlagnahmt und versteigert

Erst nach dem Krieg erfährt Lotte Koch, dass die geraubten Umzugsgüter nicht einfach so verschwanden. Sie wurden von der Gestapo beschlagnahmt und dann oft versteigert. Der Historiker Frank Bajohr erklärt: "Es war natürlich das Ziel der Nationalsozialisten, nicht nur die jüdische Minderheit außer Landes zu drängen, sondern auch komplett finanziell zu entrechten und auszuplündern."

Auktionen von Raubgut offenes Geheimnis

Menschenansammlung bei einer Versteigerung jüdischer Umzugsgüter in Lörrach Anfang der 40er-Jahre. © Stadtarchiv Lörrach
Zur öffentlichen Versteigerung jüdischer Umzugsgüter kamen oft viele Menschen.

Die Auktionshäuser gaben sich keine Mühe zu verschleiern, wessen Sofas, Teppiche und Ölgemälde bei ihnen unter den Hammer kamen. Der Historiker Frank Bajohr glaubt, "dass es ein offenes Geheimnis war, dass hier jüdischer Besitz öffentlich versteigert wurde. Die Leute konnten sich ausrechnen, dass die jetzt nicht zu einem Erholungsurlaub oder zu einer Kur gefahren waren."

Scharen von Schnäppchenjägern kamen zu den Auktionen: Privatleute, Kunsthändler, Mitarbeiter kleiner und großer Museen. Davon erfahren hatten sie durch Zeitungsannoncen, die unverhohlen die Versteigerung sogenannter "Judenkisten" ankündigten.

Kathrin Kleibl: "Behörden haben nicht genau hingeschaut"

Provenienzforscherin Kathrin Kleibl an einem Tisch mit alten Akten. © NDR
Provenienzforscherin Kathrin Kleibl forscht in alten Akten nach dem Verbleib jüdischer Besitztümer.

Nach dem Krieg forderte Lotte Koch ihr Eigentum zurück. Aber die deutschen Behörden speisten die Emigrantin mit lapidaren Auskünften ab: Verbrannt, verschollen, unauffindbar. Die Provenienzforscherin Kathrin Kleibl meint, dass die Behörden nicht genau hingeschaut haben: "Wenn ich jetzt diese Akten anschaue, finde ich doch einiges heraus, was die Behörden damals nicht beachtet haben. Man hätte doch eigentlich so kurze Zeit nach dem Krieg etwas genauer hinschauen müssen."

Nolde-Gemälde immer noch verschollen

Als Provenienzforscherin am Deutschen Schifffahrtsmuseum Bremerhaven versucht Kleibl rekonstruieren, welche Wege der beschlagnahmte jüdische Besitz genommen hat. Die Arztwitwe Lotte Koch besaß wertvolle Gemälde. Darunter ein Werk von Emil Nolde. Nach dem Krieg wechselte das Bild mehrfach den Besitzer:

Ein norddeutscher Viehhändler griff mal zu, dann verschwand das Bild in einem Banktresor. Später kaufte es die Kieler Galerie Negelein. Die ließ sich sogar die Echtheit des Gemäldes von der Nolde-Stiftung bestätigen. Dann tauchte es mal in Bremen auf. Letztlich wurde es mit der Hilfe einer Galerie in Österreich nach Frankreich verkauft. Wer es jetzt hat - will Koch niemand sagen. Filmkommentar aus "Das Raubgut-Puzzle"

Kunsthandel profitierte von Raubkunst

Das Versteigerungshaus der "Gerichtsvollzieherei" während der NS-Zeit in Hamburg an der Drehbahn 36, heute Sitz der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz. © NDR
In Versteigerungshäusern wie diesem ehemaligen Haus der NS-Gerichtsvollzieherei in Hamburg wurde jüdisches Raubgut versteigert.

Profitiert haben also nicht nur die Nationalsozialisten. Auch Kunsthändler und -händlerinnen machten mit der Raubkunst gute Geschäfte - im Krieg und Jahre danach. Wussten sie, dass die Werke de jure emigrierten Juden und Jüdinnen gehörten? Der Verdacht liegt nahe: Warum sonst weigern sich viele von ihnen bis heute, ihre Verkaufsakten offenzulegen?

Die bestohlenen Familien setzen ihre Hoffnungen nun in Forscherinnen wie Kathrin Kleibl. Ein Dreivierteljahrhundert nach dem Krieg holt sie in mühevoller Detektivarbeit nach, was die Behörden in der jungen Bundesrepublik so sträflich versäumt haben: Raubkunst aufzuspüren und ihren rechtmäßigen Besitzern und Besitzerinnen zurückzugeben.

Der Film "Das Raubkunst-Puzzle" von Sophia Münder ist heute um 21.00 Uhr, in der Reihe "Unsere Geschichte" im NDR Fernsehen zu sehen. Oder schon jetzt in der NDR Mediathek.

 

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Menschenansammlung bei einer Versteigerung jüdischer Umzugsgüter in Lörrach Anfang der 40er-Jahre. © Stadtarchiv Lörrach

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Matinee | 08.06.2022 | 11:20 Uhr

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